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ANDREA PICHL
 

CHRISTINE HEIDEMANN GIBST DU MIR STEINE, GEB’ ICH DIR SAND / GIBST DU MIR WASSER, RÜHR’ ICH DEN KALK / WIR BAUEN EINE NEUE STADT. (PALAIS SCHAUMBURG, 1981)



Steine, Sand, Kalk – Baustoffe, die für jede Stadt gebraucht werden; und für eine neue allemal. Eine neue Stadt ist ein Versprechen und immer auch der Entwurf einer moderneren, besseren Gesellschaft. Mit architektonischen Entwürfen und Stadtplanungen der Moderne setzt sich Andrea Pichl in ihrer künstlerischen Arbeit seit langem auseinander. Dabei nimmt sie die damit verbundenen Versprechen und Hoffnungen aber auch die Realitäten der gebauten Visionen in den Blick. In den letzten Jahren hat sie vielfach die Architektur und Gestaltung des öffentlichen und privaten Raums der DDR und anderer sozialistischer Länder thematisiert: von großen Bauten am Alexanderplatz bis hin zu typischen Inneneinrichtungen. Ihre Zeichnungen, Collagen, Skulpturen und Objekte zeigen zum Beispiel Fassadenelemente oder spezifische Formen, die sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst hat. Eine Differenz zum Original ergibt sich durch Auslassungen, Verkleinerungen, Hervorhebungen von Details und durch die Materialität der entstehenden künstlerischen Arbeit. In dieser Differenz besteht die Qualität von Andrea Pichls Praxis, die weit über das bloße Abbilden hinausgeht und gerade in der Konzentration des Blicks die Perspektive weitet: Neben einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der Formensprache der DDR, die auch ein Versuch ist, sich der Geschichte mittels ihrer materiellen Zeugnisse zu versichern, arbeitet sie an einer umfassenderen Typologie der Architektur der Moderne. In dieser wird sichtbar, wie allen ideologischen Unterschieden zum Trotz urbanistische Visionen des 20. Jahrhunderts in Ost und West aus demselben Formenkanon schöpfen. Verblüffend sind beispielsweise die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Fassaden des sozialen Wohnungsbaus der 1960er bis 1990er Jahre in den Randbezirken von Paris und sozialistischen Wohnmaschinen wie etwa in Berlin Marzahn. Aber auch die modulare Bauweise einer ‚neuen Stadt’ wie sie der Schuhfabrikant Tomas Bata in den 1920er Jahren im tschechischen Zlín direkt neben den Produktionsstätten für seine Arbeiter errichtete, findet sich ähnlich auch in anderen Teilen der Welt. Ganz gleich ob das Versprechen eines besseren Lebens im sozialen Wohnungsbau, ob sozialistische Ideale oder der Wunsch nach wirtschaftlicher Maximierung den Anstoß für die Planung einer ‚neue Stadt’ geben: Steine, Sand und Kalk werden überall verbaut, und nur durch genaues Hinsehen werden neben den Gemeinsamkeiten die Unterschiede architektonischer Strukturen sichtbar, die Andrea Pichl mit künstlerischen Mitteln herausarbeitet und zu einer Typologie der Architektur der Moderne zusammenfügt.