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ANDREA PICHL
 

JULE REUTER: ZERRBILDER DER MODERNE

Sozialistischer Wohnungsbau ist nicht mehr unbedingt ein Thema heute tätiger Künstler - vorbei sind die Zeiten, als neu errichtete Großwohnsiedlungen als Inbegriff eines besseren Lebens wirkungsvoll ins Bild gesetzt wurden. Die Künstlerin Andrea Pichl verfolgt seit einigen Jahren ihre Verbreitung und ihren Formenkanon in Ost und West wie in Berlin, Paris, Tallinn oder Zlín. Es sind Orte, die die Utopie der Moderne, die Wohnverhältnisse für einen großen Teil der Bevölkerung zu verändern, einzulösen suchten. Der Ansatz dafür war von den Begründern der Idee sozial und zukunftsorientiert gedacht: So versprach sich Le Corbusier von der standardisierten Serienproduktion seiner „Wohnmaschine“ die Möglichkeit einer effizienten und flächendeckenden Verbreitung. Eine gleichförmige Bauweise sollte zudem egalisierend wirken und Klassenunterschiede zum Verschwinden bringen. Sozialistische Städteplaner haben mit Bezug auf diese Glaubenssätze die Plattenbauweise in den Nachkriegsjahren zum wichtigsten Neubautyp erhoben.
Andrea Pichls künstlerischer Ansatz zielt auf die Analyse des Scheiterns dieser hehren Programme, indem sie bauliche Realitäten am gedachten Ideal misst. Interessant wird es für die Künstlerin dort, wo der Moment des Abweichens visuell zu fassen ist und Massenproduktion zum Verlust des Gestaltungsanspruchs und Serialität zu Uniformität führt. Mit dem scharfen Blick für das Detail recherchiert sie architektonische Notlösungen und bauliche Absonderlichkeiten. Aus dem Ungelenken und Misslungenen formaler Befunde entwickelt sie hybride Konstrukte, die sich im Spannungsverhältnis von reiner Form und Verzerrung bewegen. In der Nationalgalerie Taschkent hat sie eine mehrschichtige Raumcollage aufgespannt, in der sich verschiedene Elemente überlagern: Ein Wandfries, bestehend aus einem sich wiederholenden, ideal komponierten Ornament, gibt den Grundakkord vor und wird von transluzenten Bildern, die stereotype Wohnblockfassaden und deplatziertes Stadtmobiliar zeigen, überlagert.
Jule Reuter