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ANDREA PICHL
 

PETER LANG STERN UND PUNK

Man könnte dieses Raumkonstrukt als kunsthistorische Übertreibung verstehen. Punk aus dem Osten und eine Ausstellungsarchitektur, die mit russischer Avantgarde, Dada und dem Aktionistischen der 60er Jahre spielt. Aber der Kastenbau stimmt, DDR-Punk, oder treffender seine Relikte, sind darin gut aufgehoben, ja strukturiert, soweit das eben geht mit Punk in den von Andrea Pichl eingerichteten Räumen. So eine Installation über mehrere Stockwerke kann nur eine Spurensicherung in Kabinetten sein, aber immerhin unter zerbrochenen Sternen: „Vielleicht sind in der Tat nur Spuren von den Momenten geblieben, die mich bestätigt haben oder Möglichkeiten aufzeigten. Aber Spuren sind nicht nichts ..."1
In der angeschlagenen Industriearchitektur, die nach der verschwundenen Arbeit nichts von der Schönheit der Arbeit übrig lässt, in einer Verlassenheitsästhetik von Sockeln in russisch Ölgrün und blatternarbigen Unfarben, wurden architektonische Versatzstücke in symbolische Guckkastenbühnen inszeniert, erinnernd an Gerd Neumanns Architekturen in der Volksbühne oder an die durchgreifenden Bühnenbilder des Wieners Erich Wonder.
DDR-Architektur in Beton, wie das abgerissene Ahornblatt, Schaufensterfassaden verlassener HO-Geschäfte, Ausstellungskataloge über russische Avantgarde2 und Kluzis3, dem verwegenen Gestalter von Ausstellungs- und Demonstrationsarchitektur4, dienten als Hintergrund für das Ausstellungsdesign in verschlissenen Fabrikräumen. Anfang der 90er wollte im Osten niemand etwas von kommunistischer Avantgarde hören. Schon gar nicht die Punks, die den Osten gerade überlebt hatten und sich nun der Freiheit um den Preis der kapitalistischen Rechenmaschine gegenüber sahen. Heute, aus einem kurzen historischen Rückblick, sieht das schon anders aus. Gespeist aus der Ferienlagertristesse, aber auch jenseits der Bausparverträge, kann man Ostpunk durchaus den reelleren deutschen Punk nennen, ihm situationistische und dadaistische Qualitäten bestätigen. So wäre er als entgrenztere Variante des deutschen Punk zu verstehen. Sein vielfach aufgesplittertes Bewußtseinsfeld nimmt eine Counterposition zu ähnlichen Punk-Aussageformen des Westens wie zum Ideologiediktat des Ostens ein.Verweise auf Ostarchitektur in der Ausstellung (die DDR hielt allein 7 Patente für die Oberflächengestaltung von Beton) betonen nicht nur den realen, egalitären „Plattenbau“-Lebensraum aus dem Ostpunk erwuchs, sie sind auch Hinweis auf eine Lebensweise in der Norm, aus der es auszubrechen galt. Am Fernsehturm, dessen eine Ecke in die Ausstellung ragt, trafen sich die Gebeutelten von „too much future“ im Posthorn oder im Tutti Frutti, mitten in der überwachten sozialistischen Stadt der Zukunft.
Andrea Pichl baut einen großen Assoziationsraum für eine gestrandete Revolte innerhalb einer untergegangenen Utopie. „Punks not dead“, erlebt gerade ein europaweites Revival und ist gut platziert unter dem „Wolkenbügel“ El Lissitzkys, zwischen den Anklängen an einen kommunistischen Konsum und Adaptionen der „Lautsprechertribüne“, 1922 und des „7 Stunden Arbeitstag“ von 1929. So stellen sich für eine drastische DDR-Jugendkultur Projektionsräume hin zur bildenden Kunst der Gegenwart her, zum Umbau des Venedig Pavillons von Gregor Schneider 2001 oder zum 1999 von Thomas Hirschhorn in die Universität Zürich implementierten „Robert Walser Kiosk“. Das sind große, vielleicht die Vergleichsebene überstrapazierende Verknüpfungen. Aber lebte nicht Punk schon immer in einem „Merzbau“? Bleiben nicht letztlich auf der Wichtigkeitsskala der DDR-Kunst der 80er Jahre kaum mehr als die ungeheuer erfrischenden und verstörenden Frustrations- und Begeisterungsattacken des Punk als entscheidender Beitrag zu einer Kultur des Aufbruchs übrig? Was war radikaler, als die Shows von „Chic, Charmant und Dauerhaft“ oder die predigenden Irokesen auf der Kanzel der St. Augustinus Kirche, einem Kleinod expressionistischer Architektur in Pankow? Fotografieren war da nicht nur für die Stasi, sondern auch für Künstler verboten. „This is the story of Johnny Rotten, he was never vorgotten“, wie langweilig wäre es, erleben zu müssen, daß Punk erwacxhsen wird und auf dem Sofa unter Palmen landet. Dafür wäre dann allerdings eine völlig andere Architektur zuständig.


1 Greil Marcus, „Lipstick Traces, Von Dada bis Punk - kulturelle Avantgarden und ihre Wege aus dem 20. Jahrhundert“.
2 Die russische Avantgarde 1915-1932, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 1992.
3 Gustav Gustawowitsch Kluzis, geboren 1895 in Ruiena bei Wolmar in Lettland, 1938 hingerichtet.
4 Gustav Kluzis, Museum Fridericianum Kassel, 1991.
5 „My My, Hey Hey (Out of the blue)“ Neil Young.



Petra Stegmann
Andrea Pichl: Form-Fit

„Just when I think I’m winning,
When I’ve broken every door
The ghosts of my life
Blow wilder than before“
Japan

Jeder lebt in seiner eigenen Welt, trägt Erinnerungen und Bilder in sich, die immer wieder zurück an die Oberfläche des Bewusstseins drängen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – das alles sind nur unterschiedliche Aggregatzustände des Seins, die sich einer klar umrissenen Abgrenzung verweigern. Wenn wir eine Situation erleben, spuken uns immer auch die Bilder des Erlebten und Gesehenen im Kopf herum und oft sind es gerade die kleinen unbedeutenden Situationen, Orte, Geräusche, die sich später als Wiedergänger entpuppen.

Andrea Pichl zeigt in ihren Arbeiten das Versatzstückhafte unserer Welt und bedient sich dabei des Mittels der Collage, die – das behaupteten schon die Dadaisten – einzig geeignet erscheint, der Realität gerecht zu werden. In raumgreifenden Installationen und auf Bildcollagen durchdringen sich spielerisch die verschiedenen Ebenen des hier und jetzt, des dort und damals, des high und low. Vergangenheit und Gegenwart, Osten und Westen, Kommunismus und Konsumismus ringen miteinander. Die verlorenen Utopien der russischen Konstruktivisten und die Realität der DDR-Betonfassadengestaltung mischen sich mit den allseits bekannten Stoffmustern schwedischer Möbelhäuser, Werbeslogans, subversivem Liedgut, den Auswüchsen der Trash-Kultur, verblassenden Ikonen und den Menschen eines ganzen Jahrhunderts. Die Umsetzung ihrer Raumfindungen mit billigsten Materialien – Pappe, Sperrholz, Folie – mag als Kommentar der Künstlerin zur Haltbarkeit so mancher Utopie verstanden werden.

Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Dabei durchlaufen die von Andrea Pichl collagierten Elemente, die Architektur- und Skulpturfragmente, vielfältige Transformationen. So wird eine Potsdamer Außenraumskulptur mit einer der Marx’schen Feuerbachthesen zum Wortträger für die Sex Pistols: „I am an antichrist (...) I wanna destroy the passerby ́Cause I wanna be anarchy in the city“. An anderer Stelle vereint sich eine, der gläsernen Blume des Palasts der Republik nachempfundene Skulptur mit einem Stoffmuster von Ikea. Und drei athletische Blondschöpfe des sowjetischen Malers Alexander Dejneka sitzen vor einer Plattenbau-Filiale von Getränke-Hoffmann und betrachten ein Flugzeug am blauen Himmel. Pichls Bildfindungen beherbergen auch autobiographische Fragmente: So trifft die Künstlerin mit Schwester, aufgenommen an einem 1. Mai der frühen 70er Jahre in Moskau, auf die Handy- und Coffee-to-go-bewehrten Menschen der Gegenwart.

Die Aushebelung sämtlicher Größenverhältnisse stellt den Betrachter vor eine Herausforderung: So entziehen sich altbekannte Elemente – in ungewohnten Dimensionen und Zusammenhängen, die Grenzen von Ort, Zeit und Größe sprengend – der schnellen Zuordnung. Die einzelnen Fragmente verdichten sich zu Wahrnehmungsclustern, sind dingfest gemachte Cultural Memory.

Andrea Pichls Arbeiten sind dabei weder Retro noch nostalgisch. Im Gegenteil: Indem sie den Blick für unsere Zeit, dieses Puzzle aus verschiedenen Realitäten und Orten, aus Vergangenem und Neuem, schärfen, behaupten sie eine hoch aktuelle künstlerische Position. Sie sind die Collage gewordene Erkenntnis, dass sich Alltagsgeschichte, selbst wenn sie nur vierzig Jahre währt, nicht in Luft auflösen kann, sondern weiter wirkt und uns täglich begegnet.