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ANDREA PICHL
 

SUSANNE PRINZ ANDREA PICHL / "DELIRIOUS DINGE" (GERMAN VERSION)

Ausgerechnet das ‚Herz von Berlin',den Alexanderplatz, hat sich Andrea Pichl als schematisches Gerüst ihrer neuen Installation in der Galerie Krome zum Vorbild genommen. Der emblematisch strenge Grundriss seiner heutigen Gestalt ist das Raster, in das sich die individuellen Ausstellungsteile einfügen müssen. Wie gewöhnlich begannen auch diesmal die einzelnen Arbeiten ihre Existenz als Foto. Einige sind in diesem Modus verblieben, einzelne Elemente aus der Vielzahl der Vorlagen wurden jedoch durch den Filter der Collage geschickt und als Skulptur wieder in den Raum eingefügt.

Dabei galt die Aufmerksamkeit der Künstlerin nicht dem ästhetisch besonders Begeisternden sondern eher dem Banalen, das sich so oder so ähnlich Vielerorts wieder findet. Der sezierende Blick der Künstlerin richtet sich auf Details, auf abstrakte Bauelemente, seltsame Blumenkästen, eigenwillig platzierte Poller und ihrer Funktion längst enthobene, im öffentlichen Raum vergessene Stadtmöbel aller Art. Distanziert, aber ohne die Kälte wissenschaftlicher Diagnostik, werden städtische Phänomene auf ihre skulpturale Qualität hin überprüft. Pichl analysiert die Orte und Formen, in denen sich eine konsumierend auf Dinge konzentrierte Gesellschaft einrichtet und lotet die Möglichkeiten der bildenden Kunst aus, eine kritische Funktion auszuüben ohne selbst in Ideologie zu verfallen. Sie tut das, indem sie die Ordnung der Dinge vor unseren Augen auflöst, neu sortiert und gruppiert, Analogien aufzeigt, wo man sie selber nie suchen würde. Dieser Blick auf die Stadt ist archäologisch. Einen kategorialen Unterschied scheint es daher weder zwischen den aus Baumärkten transferierten Dingen und den von der Künstlerin nachgebildeten, noch zwischen einer authentischen, städtebaulich konsequenten Architektur sozialistischer Provenienz und ihrer miniaturisierten Möbelversion zu geben. Das Vokabular öffentlicher Plätze und die Bestände der Baumärkte erweisen sich bei Pichl als frei flottierende Zeichenformation, die sich ohne historischen Zusammenhang und Lesbarkeit über die Welt legen lassen. Unsere Ordnungen, so scheint es, verleugnen die Quellen, denen sie entstammen.

Die Frage ist nun, wie wir Andrea Pichls Skulpturen, Collagen und Installationen lesen sollen, da alle ornamentalen Phänomene im öffentlichen Raum aus derselben Form zu kommen scheinen; da jeder Vorgarten wahlweise englische Landschaftsgärten oder strenge französischer Parks zitiert und Schrebergärten längst von Subsidiaritätsgrundlage zu Parodien großer Parkanlagen wurden. Gehört die Kitsch-Attitude - sowohl in ihrem objektiven Erscheinungen wie in ihrer subjektiven Aspekten – vielleicht einfach in unserer Zeit? Oder winken aus weiter Ferne Thomas Morus Insula Utopia mit ihrem radiozentrischen halbmondförmigen Lageplan, die perfekten und komplizierten Geometrien von Dürers Schachbrettern und Filaretes sternenförmige Idealstädte? Wohnt am Ende noch jedem dümmlichen Baumarktelement ein Rest utopisches Potentials inne? Handelt es sich quasi um archäologische Überbleibsel aus dem Zeitalter heroischer Architektur, als LeCorbusier eine Millionenstadt vollständig aus vorgefertigten standardisierten Bauelementen plante und in Berlin das Magazin G erschien, in dem Mies van der Rohe seine ersten Texte über das industrielle Bauen veröffentlichte?

Angesichts dieser widersprüchlichen Fragen an die Arbeit von Andrea Pichl dämmert es dem Betrachter, dass es der Künstlerin weder um Apotheose noch um Verdammung gehen kann. Vielmehr lässt sich an ihren Arbeiten beobachten, was mit Dingen im Transfer passiert. Was es für ein Objekt heißt, wenn es aus seinem ohnehin absurden Kontext gelöst und in den nicht minder befremdlichen Kontext einer Galerie versetzt wird. Dabei führt sie auf sehr behutsame Weise, quasi durch die Hintertür, einen völlig eigenständigen Weg der Re-Konstruktion ein, der dem künstlerischen Interesse an der Beziehungshaftigkeit der Dinge, an ihren Verhältnissen zueinander, an wechselseitigen Bezügen und Verbindungen entspringt und nebenbei die Aufmerksamkeit des Umfelds schärft.