KATRIN MAYER PASSER QC EN REVUE 28 JUNE + 19 JULY 2008 ANNA-CATHARINA GEBBERS | BIBLIOTHEKSWOHNUNG
Katrin Mayer
passer qc en revue
(Installation view ©Anna-Catharina | Bibliothekswohnung; Foto: Hans-Georg Gaul)
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(Installation view ©Anna-Catharina | Bibliothekswohnung; Foto: Hans-Georg Gaul)
Der Blick aus der Bibliothekswohnung fällt auf den Friedrichstadtpalast und die an den Art Déco angelehnte Fassadendekoration seiner Plattenbauarchitektur. In den 1920er Jahren sprachen die wilden, verruchten Revuen in den Theatern der Friedrichstrasse auch von einem neuen Lebensentwurf, der ein aufregend befreites Überschreiten der Grenzen der Sexualität und offene Geschlechterrollenverteilungen verhieß; in den 1930ern feierten unfassbar aufwendige Choreografien als geglättete, entleerte Bilder durchschlagende Erfolge in Hollywood-Revue-filmen; in den Inszenierungen im gegenwärtigen, 1980 als Plattenbau-Architektur neu erbauten Friedrichstadtpalast ist die Ästhetik der Revuen vollständig dem Talmi-Glanz von Plastik-oberflächen verfallen.
Katrin Mayer hat für ihre Arbeit in der Bibliothekswohnung Bilder und Textzitate ausgewählt, die den historischen Kontext reflektieren und unterzieht ihre Wirkungsweise einer aktuellen Überprüfung im gegenwärtigen Kontext. Die Bilder zeigen Revue- und Theaterszenen aus den 1920er Jahren mit ihren oft etwas provisorisch wirkenden Ausstattungen, Ausdrucks-tänzerin-nen wie Gret Palucca und Valeska Gert, die Interpretation dieser „Goldenen Zwanziger Jahre“ („Roaring Twenties“) im Film Cabaret (1972) und die pompösen Filmchoreografien von Busby Berkeley (1930er Jahre). Entwürfe für die legendären Multimedia-Inszenierungen von Erwin Piscator wie das Totaltheater (Walter Gropius, 1927) kombiniert Katrin Mayer mit Zitaten aus Christopher Alexander’s Buch Eine Mustersprache („A Pattern Language“, 1977) und stellt Abbildungen aus Display-Lehrbüchern dem Paravent von Eileen Gray gegenüber - um nur einige Beispiele zu nennen.
Die für die Bibliothekswohnung entwickelte Arbeit spielt mit den Begriffen der dekorativen Kunst, der Fassade und Oberfläche, mit dem in Architektur und Dekor materiell gewordenen Traum von Gleichheit und Freiheit, aber auch mit der ambivalenten Entwicklung des Tanztheaters. In der Wohnung zitieren weiße, „halbseiden“ schimmernde Satinvorhänge und glänzende Papiere, die sich über die Mauern erstrecken, den schillernden Charakter der Revue. Stoffbahnen, Papierbögen, Weißflächen, Textfragmente und Bilder überziehen die Wände mit einem prinzipiell offenen Spiel der Verknüpfungen. Katrin Mayer verweist damit auf die etymologische Herkunft des Wortes „Wand“ von „geflochtene Mauer“, „Flechtwerk“ und lädt die Betrachter dazu ein, eigene Verbindungen zu weben. Die recherchierten Texte sind sparsam zitiert, die fotokopierten Bildvorlagen zeigen gerade so viel, dass Relationen möglich, aber nicht zwingend werden. Die zahlreichen weißen Blätter lassen Raum für Assoziationen.
Bildmotive, Wortfolgen, Ausstellungsdisplay und die Inszenierung in der Wohnung kommuni-zieren mit einander, aktivieren im Betrachter Erinnerungen wie neue Gedankenverbindungen und verweisen zugleich auf die Arbeitsweise der Künstlerin: Bedeutungsebenen und Materiallagen werden aus ihren ursprünglichen Kontexten herausgelöst, in der Installation collagiert, durchdringen einander und erzeugen neue semantische und visuelle Korrespondenzen.