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ANTON QUIRING
 

"ZEITMASSSTÄBE" HOLGER BIRKHOLZ, DRESDEN, 2016

Zeitmaßstäbe

Der Status des legendären Vogels Phönix in Form seiner Asche markiert den Nullpunkt einer zyklischen Zeitvorstellung, hier ist die vergangene Zeit als verlorene enthalten, und die Zukunft liegt im Dunkeln. So absolut die Fläche zunächst erscheint, könnte man sich sorgen, die Zeit würde in diesem Zustand verharren. Aber Quirings Tafel aus selbst hergestellter, kristallin glimmernder Holzkohle ist nicht allein, sie hat ein Pendant, das als erster Nachfolger einer Reihe die Zeit gewissermaßen fortsetzt. Die schwarzen rechteckigen Flächen beziehen sich auf die Geschichte der Abstraktion, die sich in der Suche nach reiner Form manifestartig von allem Erzählerischen zu befreien suchte. In seinen minimalistischen Arbeiten bietet Quiring Modelle der Messung: Ein aufgewickelter Bitumenstreifen umkreist einen Anfangspunkt und gewinnt allmählich Raum. Zwei in Breite und Durchmesser verschiedene Zylinder umspannen unterschiedliche Grundflächen; man fragt sich, ob ihre jeweilige Breite darauf zielt, dennoch ein gleiches Volumen zu umfassen. Mit einfachsten Mitteln legt der Künstler den Finger auf die Begrenzungen der Maße. Zwei Holzstäbe unterscheiden sich durch ihre Markierungen, beide tragen in der Mitte schwarzes Klebeband. Bei dem einen wird die Mitte ausgemessen, beim anderen intuitiv gesetzt. Der eine wird zusätzlich durch solche Setzungen an seinen Enden begrenzt, während der andere dem gegenüber unbemessen bleibt. Wenn ein 25 Zentimeter langer schwarzer Stift in den Raum ragt und den Titel „Zeit“ trägt, fragt man sich, welche Zeit damit eigentlich abgesteckt ist, und ob der Zeitraum an den Enden abschließt. Die Verwendung von schwarzer Holzkohle bei solchen Arbeiten enthält einen Absolutheitsanspruch, der im graphischen Zeichen liegt. Sanfte Lichtreflexionen in der Tiefe des Schwarz jedoch versetzen die Formen sachte wieder in Bewegung und offenbaren ein Energiepotential an seinem Umschlagpunkt von einer vergangenen, im Feuer aufgezehrten Kraft, hin zu einer neuen Perspektive, die aus der Zeichenhaftigkeit erwächst und damit Ansprüche stellt für die Wirklichkeitswahrnehmung jenseits der Begegnung mit dem künstlerischen Objekt.

Dr. Holger Birkholz, Kunstwissenschaftler, Dresden, 2016