FÜR EIN PAAR FARBEN MEHR
(Katalogtext zur Ausstellung von Christian Sauer in der M.J. Wewerka Galerie in der Kupferfabrik -4.Juli-8.August 2008- von Olga Wewerka)Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
ich begrüße Sie herzlich in den gerade frisch renovierten Räumen unter dem Dach der Kupferfabrik. Die M. J. Wewerka Galerie ist bekannt für Ihre Vorliebe zum Umziehen. Es ist auch nicht ihre Gewohnheit mit dem Mainstream schwimmen zu wollen. In den Zeiten wo jeder Quadratmeter mehr bedeutet und wo sich Berlin überschlägt in besseren Räumen und Locations, haben wir eine Alternative gewählt. Wir zeigen Kunst direkt am Ort seiner Entstehung, bei dem Künstler, möglichst nah an seinem Atelier.
Wir fangen mit der plastischen Malerei von Christian Sauer an. Das Adjektiv plastisch möchte ich betonen, denn das Auseinandersetzen des Künstlers mit dem Medium der Malerei trägt durchaus bildhauerische Züge.
Christian Sauer, seit drei Jahren Absolvent der Universität der Künste in Berlin, verdankt sicherlich viel in seiner künstlerischen Entwicklung seinem Mentor Karl H. Hödicke. Als sein Meisterschüler hatte er die Möglichkeit, die Handschrift und auch die Technik eines wichtigen Lehrers der Neuen Wilden kennen zu lernen. Allerdings waren deren Hauptmerkmale: breiter Pinsel, große Leinwand und billige Farben dieser gerade in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sehr erfolgreichen Künstlergruppe, nicht gerade seine Sache. Die gestische Malerei geriet immer in die gleiche Farbstruktur, und auch viele Details sind beim diesem Duktus auf der Strecke geblieben. Er wollte in die Fläche eindringen, bald suchte er sich einen eigenen Weg und fand das peinture collée. Eine bemerkenswerte Technik, die unter anderem auch aus seiner Begeisterung für das Werk von Henri Matisse resultiert. Matisse hatte schon sehr früh mit leuchtenden Farben experimentiert. Er gehörte der Gruppe „les fauves“ an, die am Anfang des 20 Jahrhunderts die Farbe in der Malerei revolutionierten. Am Ende seines Lebens widmete er sich, schwer krank, dem Scherenschnitt, aber auch hier spielte die Farbe die Hauptrolle. Unmittelbar in die lebendige Farbe hineinzuschneiden, das erinnert mich an den direkten Schnitt des Bildhauers (*1), hat er einmal gesagt. Von hier führt uns der Bogen direkt zum Werk von Christian Sauer, dessen Malerei mehrere Dimensionen enthält und verbirgt.
Am Anfang steht tatsächlich die Farbe sie ist für ihn der Hauptgrund ein Bild zu malen. Seine Skizzen entstehen nicht mehr auf einem Blatt Papier, sondern im Computer, hier wird die Grundtendenz des Bildes vorherbestimmt, inklusive Fotoshop-Effekte mit seinen Zauberfiltern. Die Umsetzung der Computersimulation ist der zweite Schritt, im wahrstem Sinne des Wortes Action. Sauer gießt von ihm streng ausgewählte Farben auf eine Unterlage. Am „Action Painting“, so wie sie Jackson Pollock vorgeführt hat, kommen wir nicht vorbei. Aber es geht weiter. Mehrere Farbschichten überlagern sich und lassen so eine arabeske Struktur entstehen und Acryl sorgt dafür, dass sie nicht stumpf werden. Sie strahlen und nach einer nötigen Trocknung werden sie zerschnitten, gegebenenfalls zerrissen und zu einem Bild modelliert. Es entstehen gegenständliche Kompositionen, die im inneren doch Ihre Abstraktion aufbewahren. Und die Farbe gewinnt.
So auch das Motto dieser Ausstellung: Für ein paar Farben mehr. Dem Künstler ist bewusst, wie expansiv sich die Kunst in den letzten Jahren entwickelt hat, dennoch plädiert er für das Weitermachen. Die Farbe, als wichtiger Botschafter, soll in seinem Werk die Hauptrolle spielen. Sie bestimmt die Situation und deutet den Ort.
Es zeigt auch sein neustes Werk: The Kupferfabrik, aufgenommen von der Kreuzung an Heinrich Heine Strasse und der Köpenicker Strasse. So saftig und bunt sieht sie auf dem ersten Blick nicht aus, aber mit dem Wissen, dass hier, in der ehemaligen Fabrik Kupfer verarbeitet wurde und nach dem Mauerfall Pharmaka hergestellt wurden und heute eins von den kreativen Zentren Berlins sitzt, fängt man an der Farbe zu huldigen. Für Sauer, der sich längere Zeit mit exotischen Szenerien beschäftigt hat, bedeuten die Kupferfabrik Bilder eine Art Verortung, Rückbesinnung auf den Ort an dem er tatsächlich lebt und arbeitet und Versorgung mit Inspiration schon bei dem bloßen Blick aus dem Fenster. Seit mehr als zwei Jahren hat er hier sein Atelier.
Der größte Teil der Ausstellung ist dennoch dem Künstlerblick weit in die Welt gewidmet, dessen Vermittlung meistens über die Massenmedien wie Fernsehen und Internet stattfindet, den auch der Künstler handelt heute global, er muss nicht reisen, um sich mit der Weltsituation zu beschäftigen, und touristische Momentaufnahmen interessieren ihn nicht, eher die schnelle aufdringliche Information, mit der man sich zwangsläufig beschäftigen muss.
Geschehen in den Städten und auf dem Lande in Asien und vor allem in Afrika bieten ihm genügend Stoff. Im wahrstem Sinne des Wortes bunte Szenen, wie auf dem Markt in Bamako, der Hauptstadt von Mali, wo gerade ein Schiff ausgeladen wird und die Produkte, im meisten Fall Lebensmittel, die direkt auf dem Markt am Fluss verkauft werden, sind geradezu ideal zur Umsetzung seiner Technik peinture collée. Denn unser, sich meistens auf schwarz und weiß, beige und grau begrenzten Alltag, wobei hier nicht nur die Kleidung, sondern auch das Stadtgesicht gemeint ist, benötigt viel Vorstellungskraft, die aber Sauer schon längst bewiesen hat.
Die Welt der Schamanen bietet allerdings viel mehr Möglichkeiten, als unsere festgefahrene Rationalität, hier ist der „Regenmann“, der eigentlicher Heiler, der seinem Land in den Dürreperioden den gesehnten Regen bringt, oder der Wodabee Tänzer, der im Ritualtanz sein Stamm verteidigt, bei dem nicht sicher ist ob er Rache oder Frieden mit uns abgeschlossen hat.
Es sind alle Zonen des Unbekannten, des Geheimnisvollen, um die das Werk von Christian Sauer kreist. Diese Lage reflektiert auch das immer wieder zurückkehrende Motiv des Schiffes, das für den Künstler, dem passionierten Kanufahrer, immer noch ein romantisches Abenteuer bedeutet. Im Bild Up the River ist zwar an der unteren Kante noch erkennbare Schiffform zu sehen, aber alles andere verwandelt sich in einer konzentrierten Farbexplosion, wo aber zu ahnen ist, dass die gänzlich abstrakte Umsetzung, reale Konnotationen hat.
Die Gedankenprozesse des Künstlers zeichnen vielleicht am besten seine Zapping Bilder, hier wird der Umgang mit Medien und persönliche Erinnerung am deutlichsten. Man steuert und schaltet um, daraus entsteht ein Kaleidoskop, das aber erstaunlicherweise klare Zusammenhänge aufbewahrt hat. Es ist interessant die Parallelentwicklungen zwischen einem Vaterbauernhof in Deutschland, einem Ghetto für geistig behinderte Frauen in Afrika, der Opiumernte in Afghanistan, der sich weiterdrehenden Erde, den Totenmasken in Mexiko, Plünderungen im Libanon, Atomanlage in Iran, den Praktiken der Nachwuchsbemühungen mit Hilfe von Kamasutra, oder der ältesten, 3000 Jahre alten Darstellung von unserem Sonnensystem. Das die Zusammenhänge eine überdimensionale Ausstrahlung haben, wird hier langsam klar.
Christian Sauer will nicht nur deuten, er will auch hinweisen, manchmal mit bittersüßem Humor. Heute feiern die USA den 4. Juli, der Tag der Unabhängigkeit, gleichzeitig wird auch die Amerikanische Botschaft auf dem Pariser Platz eröffnet. Die amerikanische Flagge ist auch heute bei uns, allerdings künstlerisch wesentlich verändert, als ein Update der Flaggenbilder von Jasper Johns. Die 50 Sterne, die amerikanische Staaten symbolisieren, sind aus dem „White Rabbit“, einer Verpackung für Kaugummi aus China herausgeschnitten. Sollte also China bald die Vereinigtenstaaten verschlingen? Eine kühne künstlerische Vorstellung, aber angesichts der USA Schulden, vielleicht doch nicht so utopisch. Auch die 13 Streifen auf der Flagge weisen Risse auf. Die Roten, die Tapferkeit darstellen, sind bei näherer Betrachtung nicht vollständig und die weißen, als Unschuldikone, weisen viele dunklere Stellen auf.
Die alten Mächte bröckeln, die neuen kommen und die Kunst behält hier das Oberhaupt. Es ist die Botschaft des heutigen Abends, seien Sie willkommen!
Olga Wewerka
1) Néret, G: Mattise . Köln am Rhein: Taschen Verlag, 1997