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CONNY BECKER
 

ALCHEMISTISCHE EXPERIMENTE

Heinz Hajek-Halke, Flügelmutter, um 1955: Die Vogelform entstand aus einem Klebstoff-Relief auf Glas, das für die Blasenbildung erhitzt wurde. Die Regenwirkung erzielte der Künstler mit gepresster Ölfarbe.
Alle Fotos: Heinz Hajek-Halke, Sammlung Michael Ruetz / Nachlass Heinz Hajek-Halke
Heinz Hajek-Halke, Selbstporträt, 1935
Heinz Hajek-Halke, Ohne Titel, um 1963: Hajek-Halke experimentierte im Labor der Agfa in Leverkusen auch mit Farben und Schichtsilikaten (Glimmer).

Künstler werden gern mit Alchemisten verglichen, doch bei kaum einen trifft dieses Bild so gut wie bei dem Fotografen Heinz Hajek-Halke. Die Resultate seiner ungewöhnlichen Dunkelkammer-Experimente sind derzeit in der Berliner Akademie der Künste zu sehen und zeigen unter anderem, wie Fotos ohne reales Vorbild entstehen können.


Wenn Heinz Hajek-Halke die Stablampen seiner Großformatkamera mit Kohle auf einige hundert Grad Celsius aufheizte, muss er wie ein Alchemist an seinem Ofen gewirkt haben. Mit diesem übernatürlich hellen Licht konnte er Pflanzen durchleuchten und Makroaufnahmen von Kleinstlebewesen machen, die Arbeitsbedingungen muten jedoch wie in einem archaischen Versuchslabor an. Mithilfe diverser Fotochemikalien, aber auch unüblicher Ingredienzien wie Tusche, Ölfarbe, Syndetikon oder anderen Klebstoffen synthetisierte Hajek-Halke seine Fotos geradezu, überlagerte verschiedene Negative und schuf die meisten Bilder seines in Berlin gezeigten Spätwerks sogar ohne Kamera.

Nach seinem Tod im Jahr 1983 zunächst in Vergessenheit geraten, interessierten sich um die Jahrtausendwende zunehmend ausländische Kuratoren für sein Werk. Zehn Jahre nach einer Einzelausstellung im Centre Georges Pompidou in Paris, kann man das Spätwerk des Künstlers nun auch in seiner Heimatstadt erkunden.

Abstrakte Fotografie nach dem Zweiten Weltkrieg

Hajek-Halke begann seine Karriere in den „goldenen“ 20er-Jahren als Grafiker, Plakatkünstler und Pressefotograf in Berlin. Seine Frauenakte, die er durch Doppelbelichtung mit einem zweiten Motiv überlagerte, trafen den Nerv der Zeit und machten ihn als Künstler bekannt. Unter den Nationalsozialisten zog er sich in die innere Emigration an den Bodensee zurück, wo er Kreuzottern und Blutegel züchtete und das Schlangengift an die dortige Pharmaindustrie verkaufte. Da er nach französischer Inhaftierung zum Ende des Zweiten Weltkriegs ohne Kamera auskommen musste, begann er im Alter von rund 50 Jahren künstlerisch noch einmal ganz neu. Die einzigen Konstanten waren das Medium der Fotografie und die Überlagerungen.

Abgesehen davon änderte sich alles. Ohne Kamera arbeitete Hajek-Halke direkt auf dem Negativ, das heißt auf mit Fotoemulsion beschichteten Glasplatten. Mal ließ er die chemische Schicht antrocknen und schabte dann mit einer aufgestellten Rasierklinge sonnenartige Strukturen aus. Mal zeichnete er mit Tusche abstrakte, an japanische Schriftzeichen erinnernde Formen auf die poröse Schicht, wodurch sich im Abzug netzartige, quasiorganische Gebilde zeigten. Teilweise verwandte Hajek-Halke sogar einfache Glasplatten aus Gewächshäusern als Negative, die er beispielsweise von unten anrußte (für einen verschwommenen Hintergrund) und von oben mit Tusche bemalte. Dabei bediente er sich ganz ähnlicher Maltechniken wie die zeitgenössischen abstrakten Maler der frühen Nachkriegszeit: Zu finden sind sowohl gestische Pinselstriche wie auch das Tropfenlassen (Dripping) von Farbe, chemischen Mixturen (zum Beispiel Kupfersulfat mit Kobaltchlorid) oder auch Spiritus, welchen Hajek-Halke beizeiten auch mal anzündete, um bestimmte Risse zu erzielen.

„In Hajek-Halkes Spätwerk geht es um Formfindungsprozesse“, sagte Kurator Rolf Sachsse während des Presserundgangs durch die Berliner Ausstellung. Der Künstler ist damit der Kunstrichtung des Informel (Sachsse: „vor der Form“) zuzuordnen, die in dem vom Krieg erschütterten Westeuropa als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen sowie sowjetischen Realismus Verbreitung fand. Anders als viele seiner Zeitgenossen arbeitete Hajek-Halke jedoch nicht aus dem Moment, aus der Intuition heraus. Vielmehr bereitete er jedes Foto in Skizzen genauestens vor, in denen er wie in einem alchemistischen Rezept alle Details zur Herstellung festhielt. „Das war ein gezielt eingesetzter Zufall, so gesteuert, dass das Ergebnis reproduzierbar bleibt“, erklärte Sachsse.

Im Abstrakten scheinen jedoch immer wieder vereinzelte reale Elemente durch. Sei es, dass Hajek-Halke Pflanzen, Stoffe oder kleine Metallgegenstände direkt auf das Negativ legte und so Fotogramme erzielte. Oder dass wie bei „Flügelmutter“ der auf die Glasplatte aufgetragene Klebstoff in seiner Form einem Vogel ähnelt und damit den nachträglich vergebenen Titel bestimmt. Im Jahr 1955 als Professor für Fotografie nach Berlin gerufen, standen dem Künstler wieder alle klassischen Fotoutensilien zu Verfügung, so dass er auch mit der Kamera fotografierte Motive mit abstrakten Entwürfen in seiner Sandwich-Technik aus zwei Negativen kombinierte.

Eine Einladung ins Agfa-Labor nach Leverkusen ermöglichte es ihm, Anfang der 60er-Jahre mit Farben zu experimentieren, was aber zu den Ausnahmen zählen sollte. Hajek-Halkes letzten fünf Ausstellungen zwischen 1967 und 1972, die ebenfalls in Berlin zu sehen sind, umfassen ausschließlich schwarz-weiße Experimente. Die Farbfotografie sollte erst in den 80er-Jahren Einzug in die Kunst halten, als die Fotografie als Kunstrichtung bereits breitere Akzeptanz gefunden hatte.

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„Der Alchemist Heinz Hajek-Halke – Lichtgrafisches Spätwerk“, bis 4.11.2012,
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Dienstags bis sonntags 11–19 Uhr. € 6/4, bis 18 Jahre + am 1. So im Monat frei.

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veröffentlicht in der PZ 40/12 S. 64 f.

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