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CONNY BECKER
 

BEDROHLICHE GEGENWART DER GESCHICHTE - MARCEL DZAMAS SURREALE WELTEN IN DER PINAKOTHEK DER MODERNE

Marcel Dzama: Zeichnung aus der Serie: Der personifizierte Lauf der Menschheitsgeschichte, 2008
Zeichnungen für die Edition 46 des Süddeutsche Zeitung Magazins
Bleistift und Aquarell auf Papier
Eigentum des Künstlers | Courtesy David Zwirner, New York, und Sies + Höke, Düsseldorf
Marcel Dzama: The Underground, 2008
Diorama: Holz, Keramikskulpturen, Glasfasern, Harz, Sand, Metall, Stoff
Edition 5/5, 132,1 x 73,7 x 210,8 cm
© Marcel Dzama
David Zwirner, New York, und Sies + Höke, Düsseldorf
Foto: Ronald Amstutz
In Braun, Grau und Okka gekleidet unterscheiden sich die Bildfiguren von Marcel Dzama kaum voneinander. Das bisschen Rot ihrer Lippen, Halstücher oder Skimasken setzt Akzente, ohne dass bestimmte Personen hervorstechen. Der kanadische Künstler lässt meist homogene Menschengruppen in seinen Tuschezeichnungen auftreten, die ohne Hintergrund wie auf einer leeren Bühne dargestellt sind. Ihre konservativen Kostüme erinnern an faschistische Regime der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Protagonisten bleiben aber gleichsam zeitlos. Akrobatengleich scheinen sie sich zu bewegen, bis sie ihre Standpose in der Dzama-Choreographie gefunden haben – eine schreckliche Pose, in der sie das Resultat ihres grausamen Waffentanzes präsentieren und ein nächstes bereits erahnen lassen.

In der Pinakothek der Moderne zeigt Dzama auf eine stille und harmonische Weise die Gewalttätigkeiten und Grausamkeiten im Variete des Lebens. „Der personifizierte Lauf der Menschheitsgeschichte“, so der Titel einer Serie von neun Zeichnungen, bildet das Thema in der „Edition 46-Ausstellung“, und der, sagt Dzama, sei eben nicht nur lieblich. Quellen für seine Arbeiten bieten sich ihm wahrlich genug: von Dantes „Göttlicher Komödie“ über Goyas „Schrecken des Krieges“ bis hin zu Selbstmordattentätern, Abu Ghraib oder zeitgenössischen Diktatoren. Sie alle fügt Dzama in seinen Arbeiten zusammen, die damit ebenso retro wie aktuell wirken.

Die Münchner Ausstellung geht auf die Süddeutsche Zeitung zurück, die seit 1990 zeitgenössische Künstler einlädt, ihr Magazin in der 46 Kalenderwoche zu gestalten. Für die diesjährige „Edition 46“ schuf Dzama die neun Zeichnungen, die neben einem ausführlichen Interview im Magazin abgedruckt sind. In der Ausstellung sind darüber hinaus auch drei Dioramen des 34-Jährigen zu sehen, die seine komplexen Bilderwelten in die dritte Dimension übertragen und den Betrachter im schummerigen Licht geradezu einsaugen. Wer sich nun auf die Alpträume Dzamas einlässt, wird jedoch harsch aufgeweckt, wenn er beim dritten, nicht beleuchteten Schaukasten auf das Schild „Außer Betrieb“ stößt, das in seiner Nüchternheit jede Atmosphäre tötet. Es gehört vielleicht vor Fahrstühle oder Toiletten, aber hier ist es sicher fehlplaziert.

Ein bisschen mehr Sensibilität hätte man von den Verantwortlichen erwarten können. Und letztlich auch eine reichere Ausstellung. Hat man im Frühjahr während der New Yorker Armory Show bereits die insgesamt fünf Dioramen in der Galerie Zwirner gesehen, fragt man sich unwillkürlich, warum in München eine Längswand frei und dazu weiß bleiben musste. So hellt sie den Raum unangenehm auf, anstatt die Ausstellung zu bereichern. Mit wenig Aufwand und viel Mehrwert hätte es Platz für einen weiteren Raum gegeben, um Dzamas grandiosen surrealen Stummfilm „The Lotus Eaters“ mit Pianobegleitung zu zeigen. So bleibt dem Besucher die vierte Dimension, die ihn restlos absorbieren würde, leider vorenthalten.


PS: Die Ausstellung lohnt sich trotzdem, inzwischen ist auch das dritte Diorama wieder beleuchtet.


Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40, 80333 München, bis 15.02.09

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