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CONNY BECKER
 

BERLIN-PARIS UND RETOUR. ZUM ZWEITEN MAL: PARISER PROGRAMM IN BERLINER GALERIEN

Yona Friedman
Installationsansicht neugerriemschneider, Berlin
courtesy of neugerriemschneider, Berlin und kamel mennour, Paris
Laurent Montaron, "After" (2007), installation (slide, projector, fan)
courtesy galerie schleicher+lange Paris
© Blaise Adilon
Mathieu Matégot, “Nagasaki” chair, 1954, Gestanzetes Blech, 56 x 60 x 71 cm
courtesy of Galerie Johann König / jousse entreprise
© Marc Domage
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Galerie week-end im Berliner Winter.

Nein, dies ist kein Tippfehler, sondern Französisch. Denn genau so – wie eine kleinere, französische Variante des inzwischen etablierten Berliner Gallery Weekends – erschien das Eröffnungswochenende des unter dem Titel Berlin-Paris firmierenden Galerientauschs. Wie sonst im Mai waren (hier: französische) Sammler angereist, wie im Mai herrschte Event-Stimmung und man versuchte, möglichst viele der gleichzeitig eröffnenden Galerien zu besuchen und den momentan noch ungeräumten Straßen zu trotzen. Im vergangenen Jahr auf Initiative der französischen Botschaft erstmalig organisiert, ist der Austausch von 23 auf 27 Galerien angewachsen, von denen zehn bereits 2009 teilnahmen.

Zu den Neuzugängen zählt etwa die Galerie neugerriemschneider, die für drei Wochen kamel mennour seine Räume leiht und dadurch wie verwandelt erscheint. Gezeigt werden hier Arbeiten des idealistischen Architekten Yona Friedman, der Dach und Fassade der charakteristischen Berliner Fabrikarchitektur eine zweite Haut aus Hasendraht überzog. „Ich fand ihn traurig, also habe ich ihn verkleidet“, sagte der in Paris lebende Ungar über den backsteinernen Schornstein, den er mit Aluminiumdraht und bunten, mit fantastischen Schriftzeichen überzogenen Fahnen umhüllt hat. Damit wird jener zu einem Beispiel für die improvisierten, utopistischen Architekturentwürfe des 86-Jährigen, die im Ausstellungsraum durch Fotocollagen und zeichnerischen Studien zur Berliner Innenstadt repräsentiert werden. Die Wechselwirkung mit dem Raum ist auch eine Konstante in der Präsentation dreier Positionen der Galerie Balice Hertling im Kreuzberger Ableger MD 72 der Galerie Neu: Drei raumgreifende Installationen scheinen in die Repräsentationszimmer mit Zuckergussstuckatur passgenau eingeschrieben, was keinen Außenblick zulässt, sondern nur das direkte Interagieren mit den konzeptuell-analytischen Arbeiten von Falke Pisano, Luca Frei sowie Isabelle Cornaro.

Was man derzeit in 13 Berliner Galerieräumen zu sehen bekommt, bricht nicht selten die hiesigen Sehgewohnheiten auf, da sich einige der Galerien einen französischen Partner gesucht haben, dessen Programm sich deutlich von dem eigenen abhebt. So sind etwa bei Johann König, und damit erstmals in Berlin überhaupt, 50er-Jahre-Möbel des französischen Designers Mathieu Matégot zu sehen, der in deutscher Gefangenschaft perforiertes Metallblech kennen lernte und es zu seinem Markenzeichen machte: Aus dem „rigitulle“ getauften Lochblech formte er Stühle, Tische und Lampen, die er zuweilen mit eigens entwickelten Maschinen Lampion-artig auffächterte. Auch die Galerie 1900-2000 transformiert die Räume von Mehdi Chouakri wie schon vergangenes Jahr in einen Ort für die Moderne und zeigt Arbeiten aus allen Werkphasen von Francis Picabia.

Kaum erkennbar ist der Austausch dagegen bei Gregor Podnar, der sich mit schleicher+lange aufgrund programmatischer Parallelen für eine gemeinsam kuratierte Doppelausstellung entschieden hat, bei der der jeweilige Gast allerdings den größeren Teil der Künstler stellt. Unter dem Titel „Ellipse/Eclipse Part I“ hinterfragen fünf Künstler unsere begrenzte, aber durch Instrumentarien steigerbare Wahrnehmung, weisen auf Techniken der Simulation hin und scheinen diese dennoch zu feiern, experimentieren mit Perspektiven und Dimensionen und widmen sich räumlichen und zeitlichen Zwischenräumen. Ebenfalls sehenswert ist die Gruppenausstellung „Black and light“ der bereits seit 1944 bestehenden Galerie Denise René, die einen Querschnitt durch das von konstruktiver, konkreter und kinetischer Kunst geprägte Galerieprogramm bildet und damit etwa eine Arbeit von Victor Vasarely in die junge Galerie sommer & kohl bringt, deren Künstler in der Pariser Galerie zum Teil ihre Vorbilder wieder finden.

Die Ausstellungen in den teilnehmenden Galerien dauern zwischen einer und acht Wochen und bieten den Galeristen die Möglichkeit, ihre Künstler unabhängig von einer Messe einem neuen Publikum vorzustellen. Der Idee nach sollen zwar möglichst französische Künstler unterstützt werden, bei dem public-privat-partnership ist es jedoch den Galerien überlassen, welche Künstler sie den deutschen Kunstinteressierten präsentieren. Ab dem 29. Januar werden die deutschen Galerien die Räume ihrer Pariser Kollegen bespielen.

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Öffnungszeiten und Adressen unter: http://www.berlin-paris.fr

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translated and summarized by: Liz Wollner-Grandville for artmagazine.cc

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For the second time: Parisian program at Berlin-based galleries

Galerie week-end during the Berlin winter.
No, it’s not a typo, it’s French. This is exactly the way the opening weekend of the Berlin-Paris gallery exchange presented itself – as a smaller, French version of the in the meantime well-established Berliner Gallery Weekends. Just like in May (but this time, French) collectors arrived, and like in May an event atmosphere dominated, and everyone tried to visit as many of the simultaneously ongoing gallery-openings as possible. Initiated by the French Embassy, this year’s exchange included 27 galleries (2009: 23), of which 10 already took part last year.

Among the newcomers is the Gallery neugerriemschneider, who lent its premises to kamel mennour for three weeks and appeared in a completely different light. kamel mennour presents works by Yona Friedman, in which the roof and the façade of a characteristic example of Berlin factory architecture is covered with chicken wire. “I found it so sad and therefore dressed it up”, said the Hungarian, who lives in Paris, describing the brick chimney, which he covered with aluminium wiring and colourful flags. This transforms the chimney into an example of the improvised, utopian architectural designs by the 86-year-old, represented by photo collages and sketches of downtown Berlin.

Interaction with space is also a constant in three positions presented by the Gallery Balice Hertling at the Kreuzberg subsidiary MD72 of the Gallery Neu: three full-size installations fit perfectly into the sugar-coated stucco rooms, which don’t permit an outside view, only the direct interaction with the conceptual-analytic works by Falke Pisano, Luca Frei and Isabelle Cornaro.

The art currently presented at the 13 Berlin-based galleries oftentimes modifies local viewing habits: some of the galleries have chosen a French partner whose program is fundamentally different than their own. Johann König displays furniture from the 1950’s designed by Mathieu Matégot for the first time in Berlin. Matégot was introduced to perforated sheet metal as a prisoner in Germany and later made it his trademark: he created chairs, tables and lamps out of the metal, which he named “rigitulle”. Again this year, the Gallery 1900-2000 transformed its rooms, designed by Mehdi Chouakri, into a venue for Modernism and shows Francis Picabia’s oeuvre.

Hardly recognizable is the exchange at Gregor Podnar’s gallery, who decided to go for a joint exhibit with schleicher+lange. Under the title “Ellipse/Eclipse Part I” five artists question our limited perception - which could be boosted with certain mechanisms - point to technique and simulation, but nevertheless seem to celebrate these, experiment with perspectives and dimensions and devote themselves to spatial and chronological intervals. Worthwhile seeing is the group exhibit “Black and light” by the Gallery Denise René, founded in 1944, offering a cross-section of the gallery program characterized by constructive, concrete and kinetic art and presenting one of Victor Vasarely’s pieces at the young gallery sommer & kohl.

The exhibitions are presented at the participating galleries for one to eight weeks and enable the gallery owners to introduce their artists to a new audience - without having to participate at a fair. While the main idea is to promote French artists, the public-private partnership allows the galleries to choose which artists they want to present to German art connoisseurs. As of January 29, the German galleries will display their works at the venues of their Parisian colleagues.

Opening times and addresses at:
www.berlin-paris.fr

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veröffentlicht bei artmagazine.cc unter:
http://www.artmagazine.cc/content45406.html
und http://www.artmagazine.cc/content45590.html

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