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CONNY BECKER
 

BLICK UNTER DIE OBERFLÄCHE

Radiografie eine Engels aus der Kreuzigungsgruppe von Antonio Begarelli, nach 1534, Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung
Luisa Roldán, genannt La Roldana: St. Ginés de la Jara
Polychrom gefasstes Holz, Glasaugen, um 1692
J. Paul Getty Museum, Los Angeles, 85.SD.161
Photo: The J. Paul Getty Museum, Los Angeles
Italienisch: Männlicher Akt (David), Wachs, Mitte 16. Jh., Museum of Fine Arts Boston, 29.1085
Photo und Röntgenbild: Museum of Fine Arts Boston
Röntgenbilder geben nicht nur Aufschluss über Anomalien des menschlichen Körpers, sondern sind auch in der kunsthistorischen Forschung hilfreich. In einer kleinen Ausstellung im Berliner Medizinhistorischen Museum gehen derzeit Röntgenfotografien von Skulpturen einen spannenden Dialog mit der ständigen Sammlung ein.


Das Museum der Berliner Charité ist berühmt für die Sammlung der pathologisch-anatomischen Präparate Rudolf Virchows. Der Pathologe hatte 1899 eine Schausammlung zu eindrucksvollen Krankheitszeichen und seltenen Krankheitsformen begründet, mit der er das Wissen über den normalen und abnormen Körperbau in der Bevölkerung verbreiten wollte. Um Organfunktionen und Krankheiten (post mortem) auf die Spur zu kommen, bediente sich der Mediziner des Skalpells, führte Obduktionen durch und fertigte Präparate. Zur gleichen Zeit kündigte sich aber schon eine neue Methode zur Erkundung von Anatomie und Pathologie des menschlichen Körpers an: Im Jahr 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannte elektromagnetische Strahlung, mit deren Hilfe er Objekte durchleuchten konnte. Er legte damit den Grundstein für ein nicht-invasives Verfahren, Krankheitsursachen im Inneren des (lebenden) menschlichen Körpers sichtbar zu machen.

Beide Vorgehensweisen, die es erlauben, unter die Oberfläche von Körpern zu schauen, werden aktuell im Berliner Medizinhistorischen Museum gegenübergestellt: Als temporäre Intervention sind an den Außenwänden zwischen den Vitrinen mit Virchows Präparaten Röntgenbilder an die aus der Radiologie bekannten Leuchtkästen geklemmt. Allerdings zeigen sie keine Aufnahmen von Patienten, sondern von Skulpturen, also toter Materie, die in der Röntgenfotografie jedoch den Aufnahmen von lebenden Menschen stark ähneln. Zudem kennt man Radiografien im Allgemeinen aus dem medizinischen Kontext und verbindet sie daher automatisch mit Aufnahmen kranker Körper. Und so wirken Ligaturen, das heißt Verbindungen mittels Dübeln und Bolzen bei aus mehreren Teilen gefertigten Skulpturen, wie Implantate oder lassen die abgebildete Skulptur gar als Androiden erscheinen.

Ästhetische Radiografien

Der Reiz der Intervention „Zwillingsbilder. Röntgenfotografien von Skulpturen“ liegt in der visuellen Gegenüberstellung von konkreten, ehemals lebendigen Objekten, den Präparaten, und dem bloßen Index eines Objektes – das heißt der durch die Röntgenstrahlung vermittelten Spur eines Gegenstandes, der seinerseits abwesend ist. Verglichen mit einer herkömmlichen Fotografie ist die Ähnlichkeit zwischen dem Original und seinem verschwommen-geisterhaften Röntgenbild viel geringer. Denn Überlagerungen von Vorder- und Rückseite lassen neue Formen entstehen und erwecken gar den Eindruck, als hätte sich die Skulptur während der Aufnahme bewegt. „Das Röntgenbild ist somit kein Negativbild der Skulptur, keine Abbildung mit umgekehrten Vorzeichen, sondern die Wiedergabe eines verborgenen „Zwillings“, den das unsichtbare Licht zum Vorschein bringt. Allerdings ist dieser Zwilling, die Zeichnung auf dem Röntgenbild, nichts wirklich „Unsichtbares“, sondern lediglich das nicht Sichtbare, das durchaus handfeste materielle Ursachen hat“, erläutert Kuratorin Uta Kornmeier (1).

Je nach Dichte sind diese „materiellen Ursachen“ unterschiedlich hell auf dem Röntgenbild zu erkennen. Sehr dichte Materie wie Metall absorbiert die Röntgenstrahlung und ergibt ein sehr helles Bild, während strahlungsdurchlässigere Stoffarten wie Holz oder Wachs dunkler erscheinen oder gar nicht – je nach Wellenlänge der verwendeten Strahlen. Über das Röntgen können Kunstwissenschaftler somit die Materialzusammensetzung und -verteilung innerhalb einer Skulptur bestimmen, Übermalungen und andere Restaurierungen, aber auch die Herstellungstechnik des Künstlers erkennen und so Rückschlüsse zur Datierung oder Echtheit eines Werkes ziehen. Zudem werden Skulpturen aus restauratorischen Gründen geröntgt, etwa um Haarrisse vor einem Transport auszuschließen. Zumeist stellt das radiologische Durchleuchten von Kunstwerken aber einen Blick zurück dar – auf die Handgriffe des Meisters, der seine Plastik beispielsweise um einen inneren Stützapparat, die im Röntgenbild gut erkennbare Armatur, gefertigt hat. Damit unterscheidet sich laut Kornmeier auch die kunsthistorische von der medizinischen Röntgendiagnose. Während letztere in der Regel eine Prognose ermöglicht und therapeutische Schritte zum Ziel hat, weist die erstere eine „forensische Qualität“ auf und erklärt rückwirkend einen „Tathergang“ (1), womit sie allerdings wieder Virchows Sektionen gleicht.

(1) Kornmeier, Uta, Innere Werte – Kunst im Röntgenlicht. Trajekte, Nr. 21, September 2010, S. 4-9.

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„Zwillingsbilder. Röntgenfotografien von Skulpturen“ bis zum 05. Juni 2011, Berliner Medizinhistorisches Museum, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, www.bmm.charite.de

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veröffentlicht in PZ 17/2011 unter http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37696&type=0

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