DIE SCHÖNE MELANCHOLIE
Ausstellungssansicht, Catherine Lorent, Zensierte Remineszenz, 2012
Ausstellungsansicht, Conni Brintzinger
Ausstellungsansicht, Roselyne Titaud
In wissenschaftlichen Abhandlungen wie auch im populären Gebrauch des Begriffs ist die Melancholie zumeist negativ besetzt. Schon in der antiken Vier-Säfte-Theorie als Schwarzgalligkeit (Griechisch: mélas = schwarz und cholḗ = Galle) pathologisiert, wurde sie von Schulmedizinern vor Jahren in Depression umbenannt. Und als diese schleicht sie sich angeblich Jahr für Jahr im Herbst herbei, um sich dann ab Dezember als Winterdepression zu manifestieren. Abseits eines transitorisch-leichten oder aber schweren Krankheitsbilds der Depression, die in Zeiten des Überdrusses inzwischen zur Modekrankheit geworden ist, will die Ausstellung einen anderen Blick auf die Melancholie werfen. Sie legt den Gemütszustand positiv aus und bietet einen Versuch einer Annäherung an ihn, vielleicht gar ein Plädoyer für einen neuen Umgang mit diesem.
Schon Dürers Kupferstich Melencolia I von 1514 ist wie die namensgebende Gemütshaltung keineswegs einseitig negativ und im Sine einer Wissensohnmacht zu verstehen. Zwar hat die geflügelte Melancholiefigur im Grunde wie all ihre Leidensgenossen die dunklen Seiten der Melancholie – Trägheit, Traurigkeit und (selbst)zerstörerischer Trübsinn – zu fürchten, ist jedoch gegen diese negativen Wirkungen des Melancholiepaten Saturn geschützt – und zwar durch das magische Quadrat in ihrem Rücken.
Dieses so genante Jupiterquadrat, das nach astrologischer Lehre den guten Einfluss des Jupiters gegen die schädlichen Kräfte des Saturns sicherstellt, zitiert Catherine Lorent. Sie skizziert es auf ein Post-It und druckt das Motiv auf Stoff zu einem Bühnenbild für ihre Gran-Horno-Performance. Sie hat somit eine Art Schutzraum kreiert, der es einem Melancholiker erlaubt, in einen genialen Schaffensprozess einzutreten und der sonst drohenden Todsünde acedia, der Trägheit, zu entkommen.
Ähnlich können auch die Arbeiten von Conni Brintzinger gelesen werden. Wenn sie etwa ein Foto eines grauen Berliner Wohnhauses an der ehemaligen innerstädtischen Mauer – sprich: die vermeintlich totale Tristesse – als Grundlage für eine ihrer poetischen Collagen nimmt, wandelt sie die Stimmung durch dem kreativen Akt ins Positive. Ihre Eingriffe schaffen eine surreal-animistische Atmosphäre; die gefaltete, beschnittene oder bemalte zweite Ebene bildet einen Kommentar zur fotografierten Realität, fordert zur Neuinterpretation auf und kann damit als Gleichnis auf die Idee, die Kreativität verstanden werden.
Wie auch die Kreativität ist die Einsamkeit ein Geschwister der Melancholie. Sie wird wie kaum ein anderer Daseinszustand äußerst ambivalent verstanden: entweder euphemistisch bejubelt oder als schweres Schicksal verdammt. Für die Entwicklung von Kulturtechniken wie des Schreibens, Zeichnens, Malens, Komponierens ist sie jedoch geradezu grundlegende Voraussetzung und wird aktiv gewählt. Schließlich bedarf es einer Konzentration auf die jeweiligen abstrakten oder realen Gegenstände im Fokus des Künstlers, um ihr Wesen zu durchdringen, dieses zu repräsentieren oder zu überwinden, ihm eine Alternative gegenüberzustellen.
Melancholie steht per se der Schnelllebigkeit unserer Zeit entgegen – ihre Rehabilitation in der Ausstellung lässt sich daher auch als Appell sehen, sich auf einzelne Dinge zu konzentrieren, anstatt ein durch Werbung und Medien als erstrebenswert angepriesenes Überflussangebot zu konsumieren. Roselyne Titauds menschenleere Fotografien halten die Einsamkeit en detail fest, lassen einen zur Ruhe kommen und auf das Wesentliche besinnen.
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Links zu den Künstlerinnen:
www.inter-berlin.net/portfolio/work.html
www.artnews.org/catherinelorent
www.roselynetitaud.fr