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CONNY BECKER
 

DIFFERENZIERTE BILDPOLITIK IN DEN BERLINER KUNST-WERKEN

Iñigo Manglano-Ovalle: "Phantom Truck", 2007, Aluminium, Epoxylack, 4 x 10 x 2,5 m, Courtesy Iñigo Manglano-Ovalle, Galerie Thomas Schulte, Berlin
Ausstellungsansicht KW Institute for Contemporary Art,
Foto: Uwe Walter, 2011

Iman Issa: "Proposal for an Iraq War Memorial", 2007, Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton, 5'24'', Courtesy Iman Issa
Abbas Akhaven: "Makeshift Objects", 2008 – ongoing,
Seife & Socke, Zeitung, Seife & Tisch, Kamm, Box & Spiegel, Toilettenpapier, Bügel & T-Shirt, Teller, Stift, Gabel, Brille, Teelöffel & Garn, Stuhl, Zahnbürste & Rasierer, Büroklammer, Plastikbecher & Nagel, Teelöffel & Bleistift, Fenster, 18-teilig, Maße variabel, Courtesy Abbas Akhavan
Die Berliner Kunst-Werke untersuchen die künstlerische Reaktion auf die medialen Bilder seit und um 9/11.

Seeing is believing – diese Behauptung im Ausstellungstitel scheint auch im Bezug auf bildliche Repräsentation nicht neu: Schließlich hat W.J.T. Mitchell schon 1994 den pictorial turn ausgerufen und das Kunsthistorikertrio Boehm–Belting–Bredekamp die Bildwissenschaft inzwischen an den deutschen Universitäten etabliert. Die (Über)macht der Bilder ist uns bewusst, und doch hat sie seit dem größten, live im Fernsehen zu verfolgenden Terroranschlag in New York eine neue Qualität erreicht. Es geht dabei neben der Frage nach der Echtheit der Bilder insbesondere auch um deren Inszenierung und damit die Macht der politischen Regime, die reglementieren, was gezeigt wird und was nicht. Diese immer feiner ausdifferenzierte Bildpolitik reflektieren viele zeitgenössische Künstler – und setzen ihre visuellen und nicht selten auch politischen Antworten dagegen.

Die Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken legt die Art der US-amerikanischen Bildpolitik bereits im Foyer offen. Alfredo Jaar präsentiert hier auf einem von zwei Bildschirmen das offizielle Pressefoto vom Weißen Haus zur Ermordung Osama Bin Ladens: kein Foto des lang gesuchten Al-Qaida-Anführers, das ihn wohlmöglich noch mehr zum Märtyrer erheben würde, sondern ein Bild der Reaktion des US-Regierungsstabs auf die vorgeblichen Aufnahmen vom ermordeten Kontrahenten. Der zweite Bildschirm dagegen zeigt Weiß. So exponiert, macht Jaar die Inszenierung des Fotos überdeutlich. Zum anderen eröffnet er dem Betrachter einen Raum zur Reflexion, stellt eine Fläche für Projektionen bereit und produziert gleichsam Fragen wie Antworten.

Fiktive Fakten

Während Bin Ladens Tod ein mögliches Ende des so genannten „Krieges gegen den Terror“ und das Jahr 2011 markiert, beginnt die eigentliche Ausstellung mit einer Rückblende auf den Anfang des Krieges im Nahen Osten. Kuratorin Susanne Pfeffer gelingt es dabei erneut, die große Halle im Souterrain der KW überzeugend zu inszenieren. Der Besucher wird von einem nahezu vollständigen Dunkel empfangen, steigt vorsichtig die Stufen hinunter, bis seine Augen sich nach und nach adaptieren und immer deutlicher die Umrisse eines LKW erkennen. Wie die Wahrnehmung – als unabdingbare Voraussetzung für Erkenntnis – erschwert wird, so war auch das Vorbild für Iñigo Manglano-Ovalles Arbeit „Phantom Truck“ (2007) alles andere als deutlich zu erkennen, geschweige denn eindeutig interpretierbar. Dennoch reichte jene unscharfe Satellitenaufnahme den USA 2003 zur Legitimierung des Irakkriegs, bewies angeblich die Existenz eines mobilen Biowaffenlabors. Ein Phantasma, das nachweislich nie existiert hat, wird durch den Künstler zum dreidimensionalen Objekt, dessen Konstruiertheit (es handelt sich keineswegs um ein Ready-made, sondern um ein Artefakt aus lackiertem Aluminium) man per Abtasten erfahren kann und darf.

Diese politische Ausstellung zeigt zudem auf, wie paranoid sich Regierungen angesichts drohenden Terrors verhalten und wie ungreifbar, undefinierbar diese Bedrohung ist. Deutlich wird das etwa an Taryn Simons Fotoserie „Contraband“ (2009-), in der sie am New Yorker Flughafen JFK konfiszierte Waren nach Klassen geordnet dokumentiert. Die große Bandbreite sowie insbesondere die Gruppe der unidentifizierbaren, häufig banal erscheinenden Güter veranschaulichen die Hilflosigkeit einer Weltmacht. Demgegenüber demonstriert Abbas Akhavan in „Makeshift Objects“ (2008-) beunruhigend-spielerisch, wie man Teelöffel, Kamm oder Zahnbürste mit kleinen Eingriffen in gefährliche Waffen transformieren kann.

Individuelle Dokumentationen

Das ganz Alltägliche hingegen visualisiert Nadim Asfar in seinem Video „Everyday Madonna“ (2009), welches das Interieur eines Apartments in Beirut zeigt. Im Hintergrund ertönt die Musik der Popikone, während in einiger Entfernung der israelisch-libanesische Krieg tobt. Asfar fragt: „Wie kann die persönliche Ebene der globalen widerstehen, sich widersetzen?“ Eine vermeintliche Antwort liefert Iman Issas „Proposal for an Iraq War Memorial“ (2007), in dem eine Frauenstimme aus dem Off Bilder von Explosionen, von Bagdad oder Märchensequenzen kommentiert. Scheinbar abgestumpft, behauptet sie, Bilder von Detonationen hätten keinen Effekt auf sie. Doch ihr Beharren auf dieser Aussage („No, I don’t find this powerful. No, I don’t find explosions seductive“) impliziert einen Zweifel – und noch mehr ihre Begründung:„I never found explosions powerful. It’s because they leave too many traces of themselves, too many evidence they existed. They kill memory, and there’s nothing more powerful than memory.“ Issa hinterfragt auf eine sehr persönliche, fast schon neurotische Art die gängige Kriegsberichtserstattung, die Rezipienten mehr oder weniger abstumpfen lässt.

Diesem Thema widmen sich auch Adam Broomberg und Oliver Chanarin, die 2008 als embedded journalists an die afghanische Front kamen. Anstatt jedoch klassisch zu dokumentieren, belichteten die Künstler in jedem „fotogenen“ Moment schlichtweg Stück für Stück ein 50 m langes Fotopapier. Auf diese Weise verschoben die beiden (dabei an Walid Raad’s „hysterische Dokumente“ erinnernd) den Inhalt ihrer Fotografie, schufen ein abstraktes Werk, das jedoch ebenso als Index der Kriegsgeschehnisse gelesen werden kann wie jegliche konventionelle und dadurch quasi austauschbare Dokumentarfotografie. Das bloße Material, das am Ort des Geschehens anwesend war und sich darin in seiner Authentizität erschöpft, wirft die Frage auf, was der Betrachter von einer authentischen Kriegsdokumentation erwartet. Letztlich handelt es sich nach Ansicht der Künstler auch bei der Kriegsberichterstattung um eine eigene Industrie, bei der Machtfragen die entscheidende Rolle spielen. Der politischen Einflussnahme sowie der Übermacht der Bilder versuchen Broomberg und Chanarin sich durch die Abstraktion zu entziehen, womit sie das Credo bilden: Reading is believing. Diese Verweigerung durch Nichtabbilden erinnert stark an die Reaktion westlicher Künstler nach 1945. Ob sich Künstler durch Abstraktion und Intellektualisierung vor einer Instrumentalisierung schützen können, bleibt vor diesem Hintergrund zu bezweifeln.

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Seeing is believing
bis 13.11.2011
Kunst-Werke / KW Institute for Contemporary Art
Auguststraße 69

D-10117 Berlin
www.kw-berlin.de