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CONNY BECKER
 

IN-VITRO-KUNST: AUSSTELLUNGSSTÜCK IM MOMA GESTORBEN

SymbioticA (Oron Catts&Ionat Zurr): Victimless Leather, 2004, courtesy of The Museum of Modern Art, New York.
Mitte Mai ist im New Yorker Museum of Modern Art die Ausstellung „Design and the Elastic Mind“ zu Ende gegangen – und ein Ausstellungsstück hat es wortwörtlich nicht überlebt. Ein Missgeschick, das Anlass zum Nachdenken gibt.


Innovation trifft Design: So lässt sich das Motto der Ausstellung „Design and the Elastic Mind“ im Museum of Modern Art (MoMA) kurz umreißen. Die interdisziplinäre Frühjahrsshow lieferte einen Überblick über Werke, die veranschaulichen, wie Designer technologische Fortschritte aufgreifen und in Objekte oder Systeme umzuwandeln vermögen, die für den Durchschnittsbürger verständlich und zumeist einfach anwendbar sind.

Unter den rund 200 Exponaten befand sich allerdings auch eines, das regelmäßig gefüttert werden musste. Es handelte sich dabei um die In-vitro-Arbeit „Victimless Leather" (opferfreies Leder), die zwei australische Künstler, Oron Catts und Ionat Zurr, mit Wissenschaftlern der University of Western Australia in Perth entwickelt haben. Unter dem Dach des dort angesiedelten Forschungslabors SymbioticA arbeiten nämlich seit acht Jahren Naturwissenschaftler wie auch Künstler mit nassbiologischen Methoden und betreiben auftragsfrei Forschung.

Das aktuelle Ausstellungsstück kreierten die beiden Künstler in New York, genauer dem Labor für Biomedical Engineering der Columbia Universität. Hier modellierten sie zunächst eine kleine, einer Jacke ähnelnde Form aus einer Matrix biologisch abbaubarer Polymere und fügten diesem „maßgeschneiderten“ Nährboden daraufhin embryonale Stammzellen von Mäusen hinzu, die nach entsprechendem Stimulus eine lebende Gewebsschicht bildeten.

Das künstlich entstandene Produkt – schon daher per definitionem ein Kunstwerk – war schließlich im MoMA in einem Inkubator inklusive einem speziell designten Perfusionssystem ausgestellt und wurde wöchentlich „gefüttert“, um es am Leben zu erhalten und darüber hinaus wachsen zu lassen. Doch leider müssen sich Künstler oder Wissenschaftler verrechnet haben, denn die „lebende“ Jacke wuchs zu schnell, so dass die verantwortliche Kuratorin Paola Antonelli das Kunstwerk „töten“, das heißt, den Inkubator noch vor Ende der Ausstellung ausschalteten musste.

Gewollte Diskussion

Damit ist das Werk vielleicht jedoch noch erfolgreicher als erhofft. Denn die so genannten „halb-lebendigen Skulpturen“ des Tissue Cultur & Art Project (Gewebekultur- & Kunstprojekt) der Australier sollen von vornherein provozieren und Diskussionen anregen, vor allem über das sich angesichts großer wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte verändernde Verständnis vom Leben an sich.

Wie die Künstler in einer Projektbeschreibung selbst formulieren, untersuchten sie zunächst den Bedeutungswandel von Kleidung als bloßem Körperschutz zum Kultur- und Statusobjekt, wodurch etwa die Notwendigkeit für das Tragen von Leder- oder Felljacken stark relativiert und für viele ethisch bedenklich geworden ist. Das von den Australiern geschaffene, fleischfarbene, pro-lederartige Kleidungsstück führte dem Betrachter dessen eigentliche Bedeutung einer „zweiten Haut“ eindringlich vor Augen und sollte auf diese Weise Fragen über die Ausbeutung anderer Lebewesen aufwerfen.

Tatsächlich haben Catts und Zurr eine mögliche Alternative zur herkömmlichen, den Tod und die Häutung von Tieren erfordernden Ledergewinnung präsentiert. Nicht, um damit künftig in Produktion zu gehen, sondern um rein unkommerziell der Welt einen Spiegel vorzuhalten und damit einer der Hauptaufgaben von Kunst und Künstlern nachzukommen. Dabei zeigen die beiden jedoch auch, welchen geradezu irrsinnig anmutenden „technologischen Preis“ die Gesellschaft für diese ersehnte „opferlose Utopie“ zahlen müsste.

Bei genauerem Hinterfragen entpuppt sich die das Gewissen entlastende Methode der Ledergewinnung zudem als Trugschluss, da die verwendeten Mäusestammzellen für ihr Überleben und Wachstum in diesem Modellstadium noch Nährflüssigkeiten mit tierischen Zusätzen benötigten. Auf diese Weise wandelt sich das Werk von einer auf den ersten Blick vermeintlich einseitigen, moralisierenden Anklage zu einem vielschichtigen Komplex. „Die Idee war, sich anzusehen, wie westliche Technologien die Opfer immer erfolgreicher verbergen, so dass wir als Konsumenten nicht innehalten und über die ethischen Implikationen unseres Konsums nachdenken müssen,“ antwortete Catts auf Nachfrage der Autorin.
Wie der Künstler eingestand, habe er die Tötung seines Kunstwerks keineswegs bedauert. Das medienwirksame Missgeschick habe ihm vielmehr in diesem sehr optimistischen Ausstellungskontext „ausdrücklich gefallen“. Schließlich brachte es nicht nur die Kuratorin dazu, über den Sinn und die Grenzen von Forschung, die Definition von Leben und Lebewesen sowie die Verantwortung ihnen gegenüber zu reflektieren.

Angesichts des unkontrolliert wachsenden Forschungsprodukts begann sicher auch so mancher Museumsbesucher, sich ganz akut diejenigen Fragen zu stellen, die auch Wissenschaftler, Politiker und Ethiker seit einiger Zeit plagen: Etwa, welche ethischen Grenzen in der Forschung mit embryonalen Stammzellen nötig sind, bei der die Heilung Schwerkranker und das Leben von Embryonen gegeneinander abgewogen werden müssen. Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, aber ein „Todesfall“ im Museum hat vielen den Anlass gegeben, diesen ethischen Fragen in anderem Kontext nachzugehen.