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CONNY BECKER
 

KIRCHE VERSUS BUNKER – PRIVATSAMMLUNGEN IN LONDON UND BERLIN

Eine ehemalige Methodistenkirche in Camden, London, dient unter dem Namen Projectspace 176 als Ausstellungsraum der Privatsammlung Zabludowicz. © Zabludowicz Collection
Zu DDR-Zeiten Lager, später Ausstellungsraum oder Partylokation: Derzeit beherbergt der ehemalige ‘Reichsbunker Friedrichstraße’ die Sammlung Boros sowie das neu gebaute Penthaus des Sammlers. © Sammlung Boros
Die beiden Arbeiten von Susan Collis White Lies und Do you love me now that I can dance?, beide 2006, waren in der Eröffnungsausstellung von 176 in der ehemaligen Altarnische platziert. © Zabludowicz Collection, Stephen White
Etwas zeitversetzt zu Berlin suchen auch in London seit dem vergangenen Jahr immer mehr Sammler eine breite, quasimuseale Öffentlichkeit für ihre Kunstwerke. Ein Trend, der sicherlich viel mit Prestige zu tun hat, aber in manchen Fällen auch äußerst altruistische Züge trägt, wie die Sammlung Zabludowicz im Vergleich mit Berliner und Londoner Pendants beweist.


Projectspace 176, oder einfach nur 176 – dieser Name ist Programm. Ob in Kurz- oder Langform kommt die Bezeichnung für einen permanenten, 1000 m2 großen Ausstellungsort einer Privatsammlung zeitgenössischer Kunst sehr unprätentiös daher. Die Zahl ist schlichtweg der Hausnummer entlehnt und ein ‚Raum für Projekte’ mit Gegenwartskunst soll 176 sein, womit das experimentelle Flair der kommenden Ausstellungen a priori charakterisiert ist.

Optisch jedoch erscheint das Gebäude in der Prince of Wales Road 176 in Camden, London, alles andere als zurückhaltend: Ein auf 1867 datierter neopalladianischer Tempelbau samt Säulenhalle empfängt den Besucher, lässt ihn unwillkürlich an die humanistische Forderung nach dem Museum als hehren Tempel der Kunst denken. Zwar sei dies nicht im Sinne des Sammlerpaares Zabludowicz, das in der ehemaligen Kirche in wechselnden Ausstellungen Teile ihrer Sammlung zeigt. Doch wecken neben dem Architekturstil auch Parallelen im Bildungsanspruch starke Assoziationen mit dem Museumsideal des 19. Jahrhunderts.

Idealistische Sammler

Die Entscheidung, die eigene Kunstkollektion in der Öffentlichkeit auszustellen, fiel aus mehreren Gründen. Zunächst hatte sich die Sammlung, die Anita Zabludowicz gemeinsam mit ihrem Mann Poju vor zwölf Jahren begann, mit mehr als 1000 Arbeiten derart vergrößert, dass nur noch ein Bruchteil an den heimischen Wänden Platz fand und es geradezu einem Frevel gleichgekommen wäre, den Rest nicht zu zeigen. Ferner sollten die Werke von einem größeren Publikum gesehen werden als von jenen kleinen, gemeinsam mit der Tate Modern oder Sammlerassoziationen organisierten Grüppchen, die bislang etwa einmal monatlich an Führungen durch die privaten Wohnräume ihrer Villa teilnahmen. Die Motivation zur öffentlichen Schau war dabei nicht, den beeindruckenden Umfang des Besitzes zu zeigen, sondern vielmehr, den Künstlern der Sammlung eine Plattform zu geben, sie bekannter zu machen.

„Anita Zabludowicz sammelt vor allem Werke junger Künstler, die vielleicht nicht von anderen Institutionen wie den Tates, dem Camden Arts Centre oder der Whitechapel gezeigt oder gesammelt werden“, erklärt Elisabeth Neilson, die Anfang 2006, nur drei Monate nach ihrem Masterexamen, als Kuratorin der Sammlung eingestellt wurde. „176 ist für uns eine Chance, auch weniger bekannte Künstler zu zeigen.“ Dies geschah in der von Neilson kuratierten Eröffnungsausstellung An Archaeology mit einer ausbalancierten Beimischung etablierter Künstler wie Sarah Lucas oder Vanessa Beecroft. Letztere war beispielsweise mit der Fotoarbeit White Madonna with (black) twins, 2006, vertreten. Doch statt in der Altarnische platziert zu sein, welche aufgrund zweier Objekte von Susan Collis demonstrativ ‚verlassen’ schien, hing sie ihr gegenüber.

„Ich mag die Inversion von Bildern und auch, mit dem Gebäude zu arbeiten, mit ihm zu spielen“, sagt die 29-jährige Kuratorin, deren Experimentierfreudigkeit dem Besucher immer neue Räume anbietet. So gelangte er vom großzügigen Kirchensaal oder dessen Empore in kleinere intime Räume, sei es die überladene Wunderkammer in dunklem Galeriegrün oder ein beklemmendes Wohnzimmer mit ohrenbetäubend lauten Videoarbeiten von Candice Breitz. Der klassischen White cube, den man nach einem Besuch der Privatsammlungen Hoffmann oder Saatchi erwarten könnte, findet sich nur in der Eingangshalle, welche die Kasse, eine kleine Bibliothek sowie ein Café beherbergt. „Wir wollen die Leute auffordern, abseits vom White cube zu denken“, erklärt Neilson.

Experiment als Konzept

In den kommenden Ausstellungen – insgesamt sind es drei pro Jahr – werden die Räume vermutlich ganz anders aussehen, zumal sie nicht von Neilson kuratiert werden. Denn nach ihr erhalten jeweils ein junger Künstler sowie ein freier Kurator die Chance, aus der Zabludowicz-Sammlung eine neue Ausstellung zusammenzustellen. Spätestens an diesem Punkt wird erkennbar, dass Anita Zabludowicz tatsächlich keinen traditionellen Ausstellungsraum eröffnet hat, wie sie es bereits im Vorfeld angekündigt hatte. Sie geht wie mit den jungen Künstlern, deren Werke sie kauft, auch mit den Kuratoren neue Wege und damit gewisse Risiken ein, ist aber auf diese Weise innovativen Experimenten am nächsten. Im Gegensatz zur Berliner Sammlerin Erika Hoffmann, die überwiegend Werke besitzt, die schon in den Kanon der Kunstgeschichte eingegangen sind, oder zum Britischen ‚Kunstpapst’ Charles Saatchi, der mit seinen tonangebenden Käufen den Kunstmarkt prägt, ist hier eine ganz eigene Sammlung erwachsen, die offensichtlich wenig auf große Namen gibt. In ihr lassen sich etwa weibliche Fragestellungen als Thema ausmachen, aber auch kritische Ironie – „der typisch britische Humor“, wie die Kuratorin es nennt.

Als äußerst ‚britisch’ mutet auch das Auftreten sowie das Angebot rund um die Ausstellung an. Natürlich zahlt man im 176 keinen Eintritt, sondern wird für 5 Pfund ein Jahr lang Mitglied, bekommt Einladungen zu den nächsten Previews sowie vergünstigte Angebote im kleinen 176-Shop. Dabei erhalten sowohl in und mit der Kunst Tätige, als auch Studenten, Über-60-Jährige, Arbeitslose oder Anwohner der Gegend freien Eintritt – unvorstellbar für den, der gerade aus der Sammlung Hoffmann kommt und selbst als Student oder Dozent der Kunstgeschichte 6 € ausgeben musste. Zugegeben, hier handelt es sich um eine Privatwohnung, mit den Einnahmen wird das Personal finanziert und überhaupt kann ein privater Sammler selbstverständlich rein nach seinem Gusto verfahren. In diesem Punkt scheint sich jedoch eine Berliner Variante herauszukristallisieren. Denn auch Christian Boros lässt Neugierige nicht gratis in seinen ‚Kunstbunker’ in Berlin-Mitte, welcher dieser im Frühjahr 2008 seine auf den ersten Blick wenig einladenden Metalltüren geöffnet hat. Der Wuppertaler Sammler gestattet Besuchern seines Privatmuseums wie auch Frau Hoffmann nur in geführten Gruppen den Blick auf seine Sammlung und zwar nur mit Voranmeldung am Wochenende und gegen 10 €.

Missionare für Gegenwartskunst

Wie in der Whitechapel Art Gallery oder auch den anderen nicht kommerziellen Kunstinstitutionen Londons legen die Zabludowiczs erkennbar großen Wert auf die Integration der Anwohner in das Programm des neuen Ausstellungsraums. Dieser soll im Gegensatz zu den mit hochwertiger Kunst bestückten, museal anmutenden Privaträumen Erika Hoffmanns oder dem Bunker von Christian Boros in keinster Weise elitär wirken, sondern für jeden offen sein. Ganz in der Tradition des Gebäudes, das immer eine öffentliche Funktion hatte – sei es zunächst als Methodistenkirche oder seit den 60er Jahren als Drama Center.

Und so standen für Vereinsgruppen oder interessierte Nachbarn bereits lange vor der eigentlichen Eröffnung im Herbst 2007 die Türen offen. Es fanden Gespräche mit der indischen Künstlerin Rina Banarjee statt, die als ‚Artist in Residence’ bei 176 eine ortsspezifische Installation für An Archaeology geschaffen hat, an der die Besucher eingeladen waren, sich zu beteiligen: Ein in ihrem Ausstellungsraum bereits vorhandener Küchenschrank füllte sich dabei mit immer mehr Braunglasflaschen, die mit den verschiedensten auf Papier festgehaltenen Assoziationen der Anwohner angereichert waren. Zudem fand eine Preview für die Gemeinde statt – noch vor einem Rundgang für Museumsdirektoren oder andere Leute vom Fach.

„Abgesehen davon, eine neue Plattform für junge Künstler und Kuratoren zu liefern, ist das Hauptanliegen von 176, die Zielgruppe für zeitgenössische Kunst zu vergrößern“, resümiert Neilson. In einer Gegend, die weniger für Galerienbesuche denn soziale Probleme bekannt ist, haben die Idealisten sicher einiges zu tun, doch das wissen sie auch und erarbeiten etwa mit dem Camden Arts Centre ein gemeinsames Bildungsprogramm. Auch das nächste 176-Projekt läuft bereits zur Zeit der Eröffnung: Der britische Videokünstler Gerald Fox, der die Frühjahrsshow 2008 kuratiert, arbeitet mit Gruppen zweier benachbarter Jugendcenter zusammen und produziert Kurzfilme mit ihnen, in denen sie ihre Meinung zu ihrem Stadtteil kundtun können. Überdies lernen sie von Fox und seinem Kameramann, eine 16-mm-Kamera zu bedienen und einen eigenen Film zu konzipieren. Eine weitere hehre Aufgabe, bei der allerdings abzuwarten bleibt, ob sie mehr Kunst oder Sozialdoku hinterlässt. Die Zabludowiczs werden jedoch sicher ein noch stärkeres Bild philanthropischer Mäzene erhalten, als sie es jetzt schon haben. Und so ist zu hoffen, dass Saatchi sich irrt, wenn er Anita Zabludowicz dem Kunstmagazin Artforum zufolge auf der Frieze 2007 prognostiziert: „Ein Jahr lang wirst Du die Königin sein. Und dann – pffft.“ (Thornton 2007).

Das neue Saatchi Imperium

DANN könnten möglicherweise andere die Öffentlichkeit suchende Sammler stärker von sich Reden machen. Vielleicht David Roberts, der ebenfalls im Herbst 2007, etwa zehn Tage nach den Zabludowiczs, Teile seiner mehr als 2000 Werke umfassenden Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst erstmals in seiner Galerie One One One präsentierte. Wenn auch die Ausstellungsfläche kleiner ist, bleibt der Anspruch ähnlich groß und hehr. Auch hier wird in der begleitenden Pressemitteilung die philanthropische Rolle des Mäzens betont, der mit seinem Ausstellungsraum eine Plattform für junge Künstler und Kuratoren bereitstellt, inklusive Artist-in-Residence-Programm. Vielleicht meinte Saatchi auch die westlondonprojects, die von dem Sammlerpaar Maddalena and Paolo Kind initiiert wurden und als ‚non-profit space’ internationalen Künstlern eine UK-Plattfrom geben will. Wie bei dem bereits 2004 gegründeten Ausstellungsraum Parasol unit, hinter dem sich die Kuratorin und Sammlerin Ziba de Weck Ardalan als Stiftungsgründerin und Direktorin verbirgt, wird hier allerdings nicht die eigene Sammlung gezeigt, sondern es finden Ausstellungen internationaler, für aufstrebend befundener zeitgenössischer Künstler statt. Möglicherweise hat Saatchi aber auch wie Neilson schlichtweg bemerkt, dass inzwischen weitere Sammler in London nach Räumen suchen?

Anzunehmen ist wohl eher, dass der legendäre Sammler darauf spekulierte, sein Name werde wie vormals – bevor er die Präsentation seiner immensen Sammlung wegen Umzugs in größere Räumlichkeiten unterbrechen musste und urplötzlich andere Sammler ihre Kollektion zu zeigen begannen – wieder die Londoner Feuilletons beherrschen oder zumindest die breite kunstinteressierte Öffentlichkeit anziehen. Ohne Zweifel ist seine im Frühjahr 2008 neu eröffnende Saatchi Gallery dafür prädestiniert, ein Magnet im Londoner Kunstbetrieb zu werden: Mit dem 6500 m2 großen Herzogspalast, den Saatchi auf seiner Homepage ungeniert als “one of the largest contemporary art museums in the world“ anpreisen lässt, steht er auch in England außerhalb der Sammlerkonkurrenz. Schließlich sammelt der mit Marketing und Kunsthandel reich gewordene Brite auch schon seit den 80er Jahren, hat die Young British Artists berühmt gemacht, vor 20 Jahren die Saachi Gallery erstmals eröffnet und in den vergangenen zwei Jahren nicht nur eine virtuelle Galerie im Internet platziert, sondern mit dem Netzwerk Your Gallery auch gleichsam „den größten virtuellen Kunstmarkt für Künstler, Galeristen und Museen überhaupt“. (Karich 2007).

Dass jedermann sein reales Privatmuseum gratis bestaunen kann, ist bei der Titulierung als ‚Museum’ in London nur folgerichtig. Der Touch vom altruistischen Gönner und Mäzen erscheint hier jedoch aufgesetzt. Denn gerade bei Saatchi wird der Kunsthandel schließlich ganz groß geschrieben. Seine Neuerwerbungen werden vermutlich schon allein durch eine Show in seinem Privatmuseum nobilitiert – auf jeden Fall pekuniär. Unbekannte Künstler bekannt zu machen, wie es auch auf seiner Homepage als Ziel propagiert wird, bekommt bei solch potenten Privatpersonen doch leicht einen fahlen finanziellen Beigeschmack. So philanthropisch wie möglich aufzutreten, scheint jedoch ein gemeinsamer Nenner der öffentlichen Sammleraktivitäten in London zu sein – ob sehr zurückhaltend, auf ‚Understatement’ setzend wie bei One One One, westlondonprojects oder Parasol unit oder etwas Aufsehen erregender bei 176 und weiter potenziert der Saatchi Gallery.

Rückkehr zur Sammlerstadt

Während in London der Gang in die Öffentlichkeit noch ein Novum ist, so ist es das private Sammeln von zeitgenössischer Kunst keineswegs. Nicht ohne Grund finden sich hier die beiden großen Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s und zählen Londons Galerien seit Jahren neben denen von Paris und New York zu den erfolgreichsten weltweit. In Berlin dagegen, wo das private Sammeln von zeitgenössischer Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts mithilfe der Museumsdirektoren Hugo von Tschudi und Ludwig Justi zur Tradition wurde, beherrschte nach den beiden Weltkriegen und der Teilung der Stadt zumeist das Lamento die Galeristengespräche sowie die Feuilletons. Noch bis vor wenigen Jahren las und hörte man allenthalben, dass Galeristen in Berlin nicht verkaufen, weil ihnen die nötigen Sammler fehlten. Doch bereits 2004 prognostizierte die im Rahmen des Kunstherbstes entstandene Kunstmarktstudie Berlin, dass „Berlin in den nächsten Jahren wieder verstärkt Wohnort einer kaufkräftigen und kunstinteressierten Klientel“ werden würde (Forner et al. 2004, S. 1). „Das Potential hiesiger Käufer ist noch nicht ausgeschöpft, sondern ausbaufähig und wird sich in den kommenden Jahren durch hinzu ziehende Sammler und eine kaufkräftige Nachwuchsgeneration von Kunsteinsteigern noch vergrößern“, lautete eine abschließende Annahme, die sich inzwischen bewahrheitet (Forner et al. 2004, S. 5).

Denn das sich ständig verändernde und damit inspirierende Berlin zog nicht nur Künstler, sondern auch Sammler wie den Kommunikationsdesigner Christian Boros oder Unternehmensberater Axel Haubrok aus Nordrheinwestfalen an, die ihre Sammlungen kurzerhand mitbrachten. So eröffnete letzterer im April vergangenen Jahres seine Galerie-ähnlichen Räume im Henselmann-Turm am Strausberger Platz, nachdem er zuvor bereits Führungen in seiner Privatwohnung veranstaltet hatte. Die neue 280 m2 große Ausstellungsfläche in dem markanten DDR-Gebäude, die in der Regel samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr gratis zugänglich ist, zeigt sich völlig losgelöst von aller häuslichen Atmosphäre und somit als besser für die konzeptuellen Präsentationen geeignet, welche der Düsseldorfer Unternehmer offenbar gerne selber beeinflusst. Die Arbeit Storage Piece etwa, für die Künstlerin Haegue Yang 2003 aus Platzgründen Kunstwerke auf vier Europaletten gestapelt und eingeschnürt hatte, packte Haubrok in seiner zweiten Show im Herbst 2007 gemeinsam mit der Künstlerin wieder aus. Dieses Interagieren mit der Kunst, das eigene Konzept mit der Konzeptkunst zu verbinden, scheint auf diesen Sammler einen besonderen Reiz auszuüben. So trat er auch als Kurator auf, als seine Sammlung 2002 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach erstmals umfangreich präsentiert wurde, und reizte die Macht eines Sammlers gegenüber Museen und Galeristen aus, womit er sie gleichsam thematisierte. Nicht zuletzt der Name seiner aktuellen Ausstellungen – Haubrockshows – spricht dafür, dass es dem Ex-Düsseldorfer nicht um englisches Understatement gehen kann, sondern vielmehr um die Verdeutlichung seiner Präsenz.

Der aus Wuppertal zugezogene Boros dagegen lässt sich offenbar gerne irritieren. „Ich sammle, was ich nicht verstehe“, ist auf seiner Webseite zu lesen und in einem Interview anlässlich der Ausstellung seiner Sammlung im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) nennt er gar das „Abgestoßensein“ als Ausgangspunkt für sein Interesse an einem Werk. Mit Arbeiten, „die durch die Neunziger und das Hier-und-Jetzt geprägt“ sind, hat der Werber sich auf die Kunst seiner eigenen Generation konzentriert, kauft früh und mit einem guten Gespür, wie das Beispiel der Young British Artists zeigt – er erstand in den 90er Jahren Arbeiten von Tracy Emin, Damien Hirst und Sarah Lucas. Seine Sammlung in Berlin dauerhaft an die Öffentlichkeit zu bringen, war bereits 2004 sein Wunsch, da er der Meinung ist:„Ein Sammler von Kunst sollte weiterzeigen und nicht nur für sich sammeln.“ (Immenga/Melcher 2003, S. 13, 12, 13) Dies wollte Boros jedoch nicht im musealen Kontext, also objektiv, sondern privat und subjektiv – mit seiner „Autorenschaft“, wofür er mit dem aufdringlichen Schutzbunker in Berlin-Mitte einen entsprechend eigenwilligen Bau gefunden hat (ebd, S. 17). Hier soll seine an die 500 Arbeiten umfassende Sammlung ab April 2008 zum Teil in weißen Räumen, zum Teil in Original-Bunkerräumen gezeigt werden. „Immer installieren die Künstler selbst“, lässt Boros auf Anfrage wissen, vielleicht, weil er sich selbst wieder irritieren lassen will?

Mit ihrer eher strategischen und dennoch subjektiven Herangehensweise setzen die beiden neuen Wahlberliner frische Akzente in die bislang von Frau Hoffmann dominierten privaten Sammlerausstellungen zeitgenössischer Kunst, die inzwischen schon fester Bestandteil der Berliner Kunstlandschaft geworden sind. Wie Haubrok und Boros lebten auch Erika und Rolf Hoffmann zunächst im Rheinland, wo sie vor fast 40 Jahren anfingen zu sammeln, bevor sie Mitte der 90er Jahre eine ehemalige Nähmaschinenfabrik in den Sophie-Gips-Höfen in Berlin-Mitte kauften, umbauten und die eigene Sammlung dort seit 1997 samstags zugänglich machten. Die rund 1300 m2 große Loftwohnung, die sich über mehrere Etagen erstreckt, bewohnt Erika Hoffmann seit dem Tod ihres Mannes allein, was jedoch kaum erkennbar ist in den großzügigen, museal anmutenden White-cube-Räumen. Sie ist es auch, die jedes Jahr ein neues Thema für die Neuhängung im Juli vorschlägt und die Auswahl der Werke trifft. Bekannte Künstler – vertreten sind unter anderem Jean-Michel Basquiat, Marcel Broodthaers, Günther Foerg, Nan Goldin, Felix Gonzalez-Torres, Gerhard Richter und Andy Warhol – prägen das Bild der Sammlung und verleihen ihr einen musealen Charakter, auch ohne die charakteristischen Namensschilder. Einem didaktischen Anspruch sollen die Hoffmann’schen Arrangements – es wird ausdrücklich von ‚Einrichtung’ anstelle von ‚Ausstellung’ gesprochen – nicht nachkommen, sondern nur ein unmittelbares Erleben der Werke ermöglichen. Und in diesem Punkt sind sich wohl Hoffmann, Boros und Haubrok einig: Sie wollen die Begegnung mit der Kunst und die Gespräche darüber initiieren – jeder mit seiner persönlichen und mehr oder weniger provokanten Note.

Berliner Jungsammler als neues Phänomen

Die Prognose der Kunstmarktstudie Berlin trifft jedoch nicht nur auf die neu zuziehenden Sammler, sondern auch die kaufkräftige Nachwuchsgeneration zu. In der Hauptstadt, der stets das Image ‚arm, aber sexy’ anhaftete, ist nämlich still und leise ein neues kulturinteressiertes Bürgertum herangewachsen, das Berlin ob seiner Geschichte so lang vermisst hat. Diese Generation von etwa 40-jährigen Gutverdienern musste unwillkürlich mit der Kunstszene in Kontakt kommen, liegen die Galerien doch neben Büro, Lieblingskneipe oder der eigenen Haustür – mit dem Resultat, dass Vernissagen seit gut zwei Jahren zum ‚Event’ geworden sind und in Stadtmagazinen spaltenlang angekündigt werden. „Dieser direkte Zugriff auf die Kunst, das Gefühl teilzunehmen, vielleicht sogar etwas zu beeinflussen, macht die Kunst für viele wohl auch interessanter als das Theater“, mutmaßt beispielsweise Sabrina van der Ley. Die Künstlerische Leiterin des Art Forum Berlin beobachtet den Zuwachs junger Berliner Käufer und Sammler gewiss mit Freude und erklärt den Anreiz zu kaufen auch mit „lokalpatriotischem Stolz“ – schließlich ist die Kunst ‚von nebenan’ international begehrt.

Stellvertretend für dieses neue Berliner Phänomen stehen zum Beispiel Kristina Ehle und Sascha Lazimbat, die 2001 ihr erstes Werk erstanden und mit inzwischen rund 65 Arbeiten zweireihig hängen müssen. Das Jungsammlerpaar investiert das Gros seiner Freizeit in die Kunst, besucht fast jede Woche Galerieausstellungen oder Künstlerateliers und die großen Messen und Events der zeitgenössischen Kunst stehen fest in ihrem Terminplan. „Basel und Venedig, das waren letzten Sommer unsere Erholungsurlaube“, sagt Ehle nicht ohne Schmunzeln bei einem Gespräch in ihrer Wohnung. Dort zeigen die beiden inzwischen nicht nur Freunden und Verwandten ihre Sammlung, sondern haben im vergangenen Jahr begonnen, Kunstnachmittage zu veranstalten, die künftig ein- bis zweimal jährlich stattfinden sollen. Damals, parallel zum Galeriewochenende, luden sie erstmalig kunstinteressierte Freunde und Bekannte, Sammler und Galeristen zu einer kleinen Ausstellung ein. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Präsentation der eigenen Sammlung, sondern ein Raum, der von Marcel Bühler mit einer eigens dafür konzipierten Arbeit bespielt wurde. „Wir wollen Künstlern eine Plattform geben, auf der sie sich mit neuen Werken einmal außerhalb des Galerie- und Ausstellungsbetriebs einem kunstinteressierten Publikum präsentieren können, und damit auch neue Kontakte vermitteln. Aber auf eine weniger professionelle Art, in einer entspannten Sonntagnachmittag-Atmosphäre.“ So beschreibt Ehle eine Motivation, die an London und die Zabludowiczs erinnert. Wie es scheint, hat nun auch Berlin eigenen philanthropischen Nachwuchs bekommen.


Literatur:

Swantje Karich, „Kunst im Internet: Die Macht im Cyberspace“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. April 2007, Nr. 85, Seite K4. (Karich 2007)

No return. Positionen aus der Sammlung Haubrok, 27. Januar - 28. April 2002, Ausstellungskatalog, Mönchengladbach, Museum Abteiberg, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2002.

Silke Immenga und Ralph Melcher, „Christian Boros im Gespräch mit Silke Immenga und Ralph Melcher“, in: Werke aus der Sammlung Boros Museum für neue Kunst / ZKM Karlsruhe, hg. v. Götz Adriani,
Katalog 2003. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, S. 10-17. (Immenga/Melcher 2003)

Sarah Thornton, „Flea Circus“, in: Artforum Online-Diary vom 12. Oktober 2007, http://artforum.com/diary/id=18748, Zugriff am 21. Februar 2008. (Thornton 2007)

Julia Forner, Konstanze Korb und Sylvia Müller, Kunstmarktstudie Berlin 2004, hg. v. Institut für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin, PDF/Studienabstract, www.ikm.fu-berlin.de/3_forschung/kunstmarkt_abstract.pdf, Zugriff am 6. Februar 2008. (Forner et al. 2004)