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CONNY BECKER
 

KUNSTHOCH ÜBER DEUTSCHLAND

Marie-Denise Villers: Young Woman Drawing, 1801
© Metropolitan Museum of Art New York
Skulptur, die Menschen verschluckt: Bruce Naumans „Square Depression“, Foto: Arendt Mensing/sp07
Kunstinteressierte kommen in diesem Sommer in Deutschland ganz auf ihre Kosten. Dabei ist Berlins Sommermagnet vom Sujet her ein klassischer, ganz im Gegensatz zu den Alternativ-Hightlights des deutschen Kunstsommers in Kassel und Münster.


Die Farben der Trikolore sind in Berlin derzeit omnipräsent, gleich Luftpostbriefen rahmen sie unzählige Werbeplakate, Papiertüten und Fahrradtaxis. So wird auch noch den wenigen uneingeweihten Touristen vor Augen geführt, was in diesen Monaten als Berliner Kunstmagnet fungiert: Die „schönsten Franzosen“ sind nach Berlin gekommen – und zwar aus New York.

Gemeint sind hiermit rund 150 französische Gemälde und Skulpturen des 19. Jahrhunderts, die aus dem Metropolitan Museum of Art stammen, welches nach dem Musée d’Orsay in Paris die weltweit größte Sammlung französischer Kunst dieser Epoche beherbergt. Umbauarbeiten am New Yorker „Met“ ermöglichten nun das viermonatige Gastspiel der Meisterwerke in Berlin und den Besuchern der Neuen Nationalgalerie einen Augenschmaus.

Betörende Lichtreflexe

Zu den Publikumslieblingen zählen denn auch die Werke der Impressionisten, die seit den 1870er-Jahren die Farbpaletten aufhellten und – häufig im Freien malend – nicht nur die Natur, sondern auch deren Wahrnehmung festzuhalten suchten. Daher ist in Berlin Claude Monet der lichtere Gartensaal gewidmet, in dem der Besucher miterlebt, wie sich die Reflexe auf der dargestellten Wasseroberfläche verselbstständigen, wie von der Materialität der Houses of Parlament nur leichte Schatten übrig bleiben.

Doch nicht nur die in Pastelltönen und aus feinen Pinselspuren gefertigten Sonntagsgesichter sind in Berlin zu sehen. Vielmehr lässt die chronologische Präsentation der Exponate den Betrachter die gesamte Entwicklung der französischen Malerei im 19. Jahrhundert nachvollziehen. Der von der Kunstakademie gelehrte Klassizismus, in dem etwa Aktdarstellungen nur in mythologischer Verkleidung gezeigt werden durften, ist ebenso vertreten, wie der entlarvende Realismus eines Gustave Courbet. Der revolutionäre Maler enttarnt etwa in dem Gemälde „Frau mit Papagei“ eine in ihrer Pose vermeintliche Venus als Kurtisane und führt nicht nur neue Themen, sondern mit seiner stark pastösen Malweise auch eine neue Technik ein, derer sich dann auch die Impressionisten bedienen.

Von Tänzerinnen und Schwertlilien

Frauen und Landschaften bilden die dominierenden Themen der Ausstellung, wovon Degas Tänzerinnen, Gaugins Tahitianerinnen sowie van Goghs Zypressen und Schwertlilien zeugen. Ein kleiner Einblick wird schließlich noch in das Frühwerk von Picasso und Matisse gestattet, auch wenn die Gemälde im 20. Jahrhundert entstanden sind. Denn erst Courbet, die Impressionisten, vor allem aber Cézanne und van Gogh machen die Geburt der Moderne verständlich.

Eine weitere Ausnahme in der Gemälde-dominierten Ausstellung bildet der Auguste Rodin gewidmete Raum, der ausschließlich Skulpturen enthält. Am meisten beeindruckt sicherlich die sich über 2 x 2 x 2 m erstreckende Bronze „Die Bürger von Calais“, die den Besucher als best inszenierte Arbeit bereits im gläsernen Obergeschoss des Mies-van-der-Rohe-Baus empfängt.

SMS statt Schlangestehen

Um lange Warteschlangen zu vermeiden, entwickelten die Berliner ein neues Ticket-System: Jeder Besucher kann an Bildschirmen rund um das Museum oder im Internet verfolgen, welche Ticketnummer aktuell an der Reihe ist. Alternativ kann man sich über SMS benachrichtigen lassen und die Zwischenzeit nutzen, um die Parallelausstellung in der Alten Nationalgalerie zu besuchen.

Hier wird die Berliner Sammlung französischer Kunst gezeigt, mit den Impressionisten im Mittelpunkt – schließlich war Direktor Hugo von Tschudi um 1900 einer der ersten, der Werke von Manet, Monet, Renoir oder Cézanne für ein Museum erwarb. Für Kaiser Wilhelm II. stellte der Kauf dieser unkonventionellen, zeitgenössischen und überdies französischen Kunst jedoch einen Affront dar, sodass er von Tschudi entließ und eine grandiose Sammlung vereitelte.

Zeitgenössisches heute

Wie umstritten Gegenwartskunst zumeist ist und aufgrund ihrer Neuerungen wohl auch sein muss, zeigt sich im deutschen Kunstsommer in Kassel und Münster. So lässt etwa der chinesische Künstler Ai Weiwei über die Dauer der 100-Tage-Show sukzessive 1001 mittellose Chinesen zur documenta 12 einfliegen. Ähnlich spektakulär hat der Österreicher Peter Friedl eine ausgestopfte Giraffe aus einem palästinensischen Zoo nach Kassel bringen lassen: Als ein ungewöhnliches Opfer des politischen Konflikts an der West Bank wird sie zu dessen emotionalen Repräsentanten, viel mehr als die ewig gleichen Medienbilder.

Die Kunst steckt hier sicher im Konzept, auch wenn die Präsentation des Objekts einer gewissen Ästhetik nicht entbehrt. Aber genau dieses Abwenden von der Repräsentation der besten Künstler hin zum Schaffen eines Erfahrungsraums – dies entspricht dem Konzept der diesjährigen documenta. Sie lässt den Besucher selber definieren, was Gegenwartskunst ist. So sind, eher ungewöhnlich für die weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst, auch persische Miniaturen aus dem 14. Jahrhundert zu sehen.

Skulpturenpark Münster

An Aktualität verloren hat auch das Kunstwerk „Square Depression“ von Bruce Nauman nicht. Diese negative Pyramide, ein sich zur Mitte hin senkendes Quadrat mit einem Durchmesser von 25 m, hatte der amerikanische Künstler bereits 1977 für die ersten der im 10-Jahres-Turnus stattfindenden Skulptur Projekte Münster entworfen. 30 Jahre später ist sie nun in der westfälischen Stadt begehbar, macht den Besucher zum Teil der Skulptur, wie die Skulpturen zu einem Teil der Stadt geworden sind.

In Münster treffen Kunst und Öffentlichkeit unmittelbar aufeinander, wobei 36 internationale Künstler, darunter bekannte Namen wie Thomas Schütte, Mike Kelley oder Rosemarie Trockel, ihr Verhältnis hinterfragen. Auch Isa Gesken, die derzeit den deutschen Pavillion der Biennale in Venedig bespielt, darf nicht fehlen. Dort ist sie noch bis zum 21. November zu sehen, wer jedoch im Lande bleiben will, hat auch in Münster eine spannende Alternative.

Die Ausstellung „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“ in der Neuen Nationalgalerie Berlin ist noch bis zum 7. Oktober zu sehen, die documenta 12 in fünf Ausstellungsorten in Kassel bis zum 23. September und die Skulptur Projekte Münster über die Stadt verstreut bis zum 30. September.