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CONNY BECKER
 

METROPOLEN FÜR GEGENWARTSKUNST: WIE BERLIN DIE INTERNATIONALE KONKURRENZ EINHOLT

Gentrifizierung im Norden Kreuzbergs: In der ehemaligen Koch- als auch der kreuzenden Lindenstraße haben sich renommierte Galerien angesiedelt. (Im Hintergrund: Das Galerienhaus)
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Mahnmale ihrer selbst. Die Treppentürme des Palastes der Republik sind die wohl derzeit stärksten zeitgenössischen Skulpturen in Berlin.

Rück-Entwicklung: Der Palast der Republik wird abgerissen. Die Temporäre Kunsthalle Berlin gastiert daher für zwei Jahre im eigenen Bau auf der Schlossfreiheit, bis auch sie 2010 der Rekonstruktion des Berliner Schlosses weichen muss.
„New York was just a ‚try out’ for my r e a l show in Berlin.“ Sätze wie dieser jüngst von der amerikanischen Künstlerin Barbara Bloom geäußerte lassen aufhorchen – sind sie doch Indiz dafür, dass nicht mehr nur Berlin nach New York schaut, sondern New York auch nach Berlin. Von den Klischees der Spreemetropole sowie ihrer aktuellen Aufholjagd.


„Lives and works in Berlin“ – immer häufiger ist dies in Künstlerviten zu lesen und sei es nur, weil es sich gut anhört, weil jeder dabei sein will. Seit Jahren strömen etablierte wie aufstrebende Künstler in die deutsche Hauptstadt, die im Vergleich zu London, Paris oder New York mit konkurrenzlos günstigen Ateliers und intensivem Künstleraustausch lockt und der immer noch das wowereitsche Prädikat „arm aber sexy“ anhängt.

Ein Klischee, das, aus der Not geboren, jetzt langsam überholt scheint. Denn mittlerweile muss so mancher Künstler feststellen, dass ihm zentrale, großräumige Ateliers nicht mehr nachgetragen werden. Derzeit ist zu spüren, dass sich Berlin auf dem Scheitelpunkt hin zur international konkurrenzfähigen Kunstmetropole befindet und nicht mehr nur als Werkstatt dient.

Platz eins in punkto Galerienquantität

So kursierte kürzlich gar das Gerücht, Berlin weise mit einer Zahl von rund 500 die meisten Galerien auf – und übertreffe damit selbst New York. Der Landesverband Berliner Galerien (LVBG) gibt offiziell für September eine Zahl von 440 kommerziellen und Produzenten-betriebenen Galerien an, zuzüglich unzähliger Showrooms oder Projekträume. LVBG-Geschäftsleiterin Anemone Vostell spricht großzügig vom „größten Galerienstandort Europas“, räumt auf Anfrage jedoch ein, dass die Zahlenerhebung in den verschiedenen Kunstmetropolen nicht einheitlich ist und die Werte nicht exakt verglichen werden könnten, da sowohl Meldepflichten für als auch Definitionen von Galerien in den verschiedenen Ländern differieren.

Platz eins oder nicht, fest steht, dass sich innerhalb des letzten Jahres rund 80 neue Galerien in Berlin ansiedelt haben, laut LVBG bei nur ein bis zwei Schließungen. In Sachen Zuwachs ist Berlin also sicher ganz vorne dabei. Verwunderlich ist dies nicht, schließlich folgen Galerien meist den Künstlern; nicht anders war es in New York mit Soho oder Chelsea und ist es derzeit mit dem aufstrebenden East Village.

Dass seit dem vergangenen Jahr auch mehr und mehr renommierte internationale Galerien an der Spree eine Dependance eröffnen oder gar vollständig hierhin ziehen, spricht aber auch dafür, dass die Kunststadt Berlin jetzt eines ihrer größten Makos abgeschüttelt hat. Nach den beiden Weltkriegen und der Teilung der Stadt beherrschte nämlich das monetäre Lamento die Galeristengespräche sowie die Feuilletons der Tageszeitungen. Noch bis vor wenigen Jahren war überall zu vernehmen, dass Galeristen in Berlin nicht verkaufen, weil ihnen die nötigen Sammler fehlten.

Doch bereits im Jahr 2004 prognostizierte die so genannte Kunstmarktstudie Berlin, dass „Berlin in den nächsten Jahren wieder verstärkt Wohnort einer kaufkräftigen und kunstinteressierten Klientel“ werden würde. „Das Potential hiesiger Käufer ist noch nicht ausgeschöpft, sondern ausbaufähig und wird sich in den kommenden Jahren durch hinzu ziehende Sammler und eine kaufkräftige Nachwuchsgeneration von Kunsteinsteigern noch vergrößern“, fasst eine abschließende These zusammen, die sich inzwischen bestätigt.

Denn das ob seiner ständigen Veränderungen lebendige und damit nicht nur Künstler inspirierende Berlin zog beispielsweise auch Sammler wie den Kommunikationsdesigner Christian Boros oder den Unternehmensberater Axel Haubrok aus Nordrheinwestfalen an, die ihre Sammlungen mit- und an die Öffentlichkeit brachten: Letzterer eröffnete im April vergangenen Jahres seine 280 m2 großen, Galerie-ähnlichen Räume im Henselmann-Turm am Strausberger Platz und zeigt im markanten DDR-Gebäude samstags von 12 bis 18 Uhr gratis wechselnde Ausstellungen unter dem Namen „Haubrockshows“.

10 Euro dagegen müssen Interessierte zahlen, die an den Wochenenden in geführten Gruppen den „Kunstbunker“ in Berlin-Mitte besuchen wollen. Der ehemalige Luftschutzbunker wandelte sich im Mai dieses Jahres zum Sammlermuseum und beherbergt die rund 500 Arbeiten umfassende Sammlung Boros. Der jüngste Hort für Sammlerkunst ist die im Juni eröffnete Kunsthalle Koidl im ehemaligen Gleichrichterwerk in Berlin Charlottenburg, in der Initiator Roman Maria Koidl Sammlungen von Unternehmen oder Privatpersonen präsentiert.

Kunstmessen fallen etwas zurück

Nicht nur mit Blick auf die neu zuziehenden Sammler bewahrheitet sich die Prognose der Kunstmarktstudie Berlin, sondern auch hinsichtlich der kaufkräftigen Nachwuchsgeneration. Inzwischen ist in Berlin nämlich ein neues kulturinteressiertes Bürgertum herangewachsen, das die Stadt ob ihrer Geschichte so lang entbehrte. Diese Generation von etwa 40-jährigen Gutverdienern kam zwangsläufig mit der Kunstszene in Kontakt, befinden sich die Galerien doch in unmittelbarer Nachbarschaft, sei es neben Büro, Lieblingskneipe oder der eigenen Haustür.

„Dieser direkte Zugriff auf die Kunst, das Gefühl teilzunehmen, vielleicht sogar etwas zu beeinflussen, macht die Kunst für viele wohl auch interessanter als das Theater“, mutmaßt zum Beispiel Sabrina van der Ley im Gespräch. Die langjährige Künstlerische Leiterin der Kunstmesse Art Forum Berlin begrüßt den Zuwachs junger Berliner Käufer und Sammler naturgemäß und führt den Anreiz zu kaufen auch auf eine Art „lokalpatriotischen Stolz“ zurück – ist doch die Kunst ‚von nebenan’ international begehrt.

Trotz gewachsener heimischer Kaufkraft ist allerdings fraglich, ob das Art Forum in diesem Herbst an die positive Tendenz des letzten Jahres anknüpfen kann. Denn nach einer Terminverschiebung von Ende September auf Ende Oktober rückt das Art Forum zeitlich hinter die Londoner Frieze Art Fair und die Pariser Kunstmesse Fiac. Gerade für französische Galerien ist die unmittelbare Nähe zur Fiac – diese endet am 26. Oktober, das Art Forum startet am 30. – problematisch und in einigen Fällen Grund, ihre Teilnahmezusage zu revidieren. Darüber hinaus ist es selbstredend vorteilhafter, die herbstlichen Messezyklus nach der Sommerpause zu starten als zu beenden – gerade, wenn man nicht mit der renommiertesten Messe locken kann.

Neue Eigeninitiative Berliner Galerien

Um die kaufkräftigen internationalen und vor allem US-amerikanischen Sammler in diesem September dennoch nach Berlin zu ziehen, hat ein kleiner Kreis um die Galeristen Martin Klosterfelde und Alexander Schröder eine neue Strategie entwickelt. Manche nennen es Gegenmesse, die Veranstalter wohlklingend „Überblicksschau für Gegenwartskunst“, in der 47 in Berlin ansässige Galerien vom 4. Bis 7. September im ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck je eine Arbeit von 74 überwiegend jungen Gegenwartskünstlern präsentierten. Die Ausstellungsmacher legten in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Skulptur, Installation und neue Medien, wobei zumeist Arbeiten gezeigt wurden, die raumgreifend und daher normalerweise messeuntauglich sind.

Ein echtes Thema allerdings fehlte der Ausstellung, die von der Berliner Kuratorin Ariane Beyn „räumlich inszeniert“ wurde. Diese eigentümliche Wortwahl auf der abc-Pressekonferenz ließ schon im Vorfeld auf eine eher geringe kuratorische Freiheit schließen und tatsächlich kamen die Werke der hochkarätigen Künstler oft aneinandergereiht daher. Nicht allzu überraschend, da die Galerien die Künstlerauswahl trafen und die neue Schau von ihrer Struktur her am ehesten mit der kuratierten Sonderausstellung auf dem Art Forum vergleichbar ist. Auch auf der abc stammten alle Werke aus einem bestimmten Kreis von Galerien und waren überdies käuflich – nur nicht in einer Messekoje, sondern in der benachbarten Galerie, die einen Tag nach der abc-Eröffnung ebenfalls zur Vernissage einlud.

Als neues „Event“ für die neugierige Kunst- und Sammlerszene gefeiert, war zumindest der Andrang erfreulich hoch, schließlich sind viele mittlerweile „Messe-müde“ und außerdem jeder will mitreden können. So kommerziell erfolgreich wie das in diesem Jahr in die vierte Runde gegangene, vom selben Kernteam initiierte Gallery Weekend Berlin scheint die abc jedoch noch nicht gewesen zu sein, da offenbar viele Sammler noch in ihren Ferienhäusern weilten – so die Spekulation der abc-Öffentlichkeitsarbeit. Dies könnte sich im kommenden Jahr ändern: Die abc-Gegenmesse sowie sicherlich auch der Vorteil des bewährten frühen Messetermins an sich führte schon im Frühjahr dazu, dass die Organisatoren des Art Forum bekannt gaben, die Berliner Messe werde in den nächsten Jahre wieder als „Startermesse den traditionellen Reigen der europäischen Kunstmessen“ eröffnen. Vor kurzem folgte dann auch die Pressemitteilung, dass 2009 die abc gleichzeitig stattfinden werde, um die Synergien für den Berliner Kunstmarkt zu nutzen.

Auch wenn die Berliner Kunstmessen in diesem Jahr wohl einen Knick in ihrer Aufschwungskurve hinnehmen müssen, scheint der Kunstmarkt Berlin insgesamt erfolgreicher zu werden. Im New Yorker Chelsea sind sicherlich noch deutlich mehr umsatzstarke Galerien zu finden, doch dort weht der kühle Wind des bloßen Kommerz, gegen den der frische Flair des aufstrebenden Berlins eine sympathische Alternative setzt. Hier kauft man nicht nur, sondern lernt auf den Vernissagen-Touren auch sämtliche Gegenwartskünstler kennen, was viele Sammler zeitgenössischer Kunst schätzen.

Museumsdefizite beheben

Auf einem Gebiet muss sich Berlin jedoch noch ein wenig mehr anstrengen, um internationales Niveau zu erlangen: Die Museen für moderne und zeitgenössische Kunst, genauer die Neue Nationalgalerie und der Hamburger Bahnhof, hinken den riesigen Museumsmaschinerien MoMA, Tate oder Centre Pompidou in New York, London und Paris immer noch hinterher. Zu merken war das etwa an den Blockbusterausstellungen der letzten Jahre, als die Neue Nationalgalerie für die Präsentation der Schätze der New Yorker Museen Museum of Modern Art und des Metropolitan Museum of Art kurzerhand leer geräumt wurde.

Doch auch hier geben sich erste Anzeichen einer Wende zu erkennen. Vor zwei Monaten bekamen die Staatlichen Museen zu Berlin mit der Sammlung Scharf-Gerstenberg eine neue Publikumsattraktion hinzu – zwar wieder nur auf Pump, aber das ist man in Berlin ja vom Hamburger Bahnhof gewöhnt – und dafür sind die nächsten zehn Jahre hochkarätige Werke der Surrealisten und ihren Wegbereitern vis-à-vis des Charlottenburger Schlosses zu sehen. Und auch die Gegenwartskunst bekommt ein neues Provisorium: Am 29. Oktober, zeitgleich mit den drei Parallelmessen des Art Forums (Berliner Kunstsalon, Berliner Liste und Preview Berlin), feiert die Temporäre Kunsthalle Berlin ihre Eröffnung. Zwei Jahre lang sollen in Berlin entstandene Werke internationaler Künstler auf dem Schlossplatz präsentiert werden und, da die architektonische Hülle mit Namen gebenden „Wolke“ von Gerwald Rockenschaub, leicht ab- und aufgebaut werden kann, möglicherweise später auch in einer anderen Ecke Berlins. Eine permanente Variante der Kunsthalle versprach Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit jetzt für das Spreeufer in direkter Nähe zum Hamburger Bahnhof und startete die Investorensuche für das neue Museumsquartier.

Abgesehen davon traf man in den letzten Monaten auf so einige Ausstellungen – wie „Berlin Alexanderplatz“ von den Berliner Kunst-Werken oder „New York – States of Mind” vom Haus der Kulturen der Welt –, die von Berlin nach New York und nicht wie gewohnt anders herum tourten. Auch der chinesische Sprengstoffkünstler Cai Guo Qiang hatte 2006 sein Guggenheim-Debüt in Berlin gegeben, so dass dem Berliner Besucher in der diesjährigen New Yorker Retrospektive zumindest ein Teil der Arbeiten bekannt vorkam.

Liest man dann noch die Ausstellungstitel „From Berlin to New York: Karl Nierendorf and the Guggenheim“ oder „Kirchner and the Berlin Street“, eine der aktuellen MoMA-Ausstellungen, muss man geradezu dem Eindruck erliegen, dass nicht mehr nur Berlin nach New York schaut, sondern New York auch nach Berlin. Ganz wie Barbara Bloom, die auf einer gesamten Etage des Martin-Gropius-Baus deutlich mehr zeigen kann als beim „Ausprobieren“ im renommierten, aber kleineren International Center of Photography in Manhattan. Ihre Ausstellung ist noch bis zum 9. November 2008 in Berlin zu sehen, womit auch die New Yorker Sammler die Möglichkeit erhielten, während abc oder Art Forum die „echte“ Bloom-Ausstellung zu besuchen.

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