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CONNY BECKER
 

PEKING: KUNSTWETTKAMPF IM STAATSDIENST

Während Cai Guo-Qiang am 29. Juni 2002 noch den “Transient Rainbow” über dem East River zwischen Manhattan und Queens leuchten ließ, hüllt er zur Olympiade nun Peking und damit ganz China in Glanz. Der kritische Künstler scheint zu berühmt geworden zu sein, als dass der Staat versäumen konnte, ihn in seine Propaganda einzuspannen.
Foto: Solomon Guggenheim Museum, New York
Der Selbstbeweihräucherung der Gastgeber scheint keine Grenzen gesetzt: Zur Olympiade soll alles glänzen, alles schöner, größer weiter werden. Das größte Olympiadorf, die meisten Athleten und das ausgiebigste kulturelle Rahmenprogramm. Dass sich auch in der Negativbilanz so einige Superlative abzeichnen, wird geflissentlich übersehen. Einer der größten Boykotte der Eröffnungsveranstaltung, die meisten Gesundheitsbedenken bei Sportlern oder ausgiebigste Verstöße gegen Menschenrechte und Pressefreiheit sind nach Ansicht der Veranstalter keine Themen für die Medien.

Als Mittel zum Zweck, zur vermeintlich prestigeträchtigen Selbstdarstellung werden beispielsweise westliche Stararchitekten ins Land geordert. So ergänzt Sir Norman Foster Pekings Flughafen um ein gigantisches neues Terminal, baut das schweizerische Duo Jacques Herzog und Pierre de Meuron das liebevoll „Vogelnest“ genannte Olympiastadion, bescheren Rem Koolhaas und sein Partner Ole Scheeren der Stadt ein neues Wahrzeichen: den CCTV-Tower des chinesischen Staatsfernsehens – die schöne und vor allem imposante Hülle für eines der wirkungsvollsten Machtorgane.

Wettbauen statt Wettrüsten

Dass die Mächtigen ihre Stellung in Architekturdenkmälern verewigen, ist nicht neu – man denke an die mittelalterlichen Geschlechtertürme in San Gimignano oder den Palazzo Medici in Florenz. Doch heute überschreitet der Wirkungsradius des architektonischen Wettrüstens die Stadt- oder Landesgrenzen. Das kommunistische China präsentiert sich mit seinen Luxusbauten der Welt und vor allem der westlichen, demokratischen. Und offenbar können die USA dem vermeintlichen Prestigegewinn nicht tatenlos zusehen und stimmen munter ins Wettbauen nach dem Motto „schneller höher weiter ein“. Denn in Peking eröffnet ebenfalls zeitgleich zu den Olympischen Spielen die neue pompöse Botschaft der US-Amerikaner – vom Architekturbüro Skidmore, Owings and Merrill entworfen, welches auch den New Yorker Feedom Tower realisiert. Dies weist auf die Wichtigkeit hin, die diesem Bau respektive dieser amerikanischen Dependance zugeschrieben wird – ebenso der Umstand, dass sie nach ihrem Pendant in Bagdad die zweitgrößte US-Botschaft weltweit ist.

Bei dem Projekt richtete sich das Gebäudearrangement und die Gartengestaltung nach chinesischen Traditionen, wohingegen die Gebäudearchitektur selbst ein Beispiel für „das beste moderne Design ist, das Amerika zu bieten hat“, so zumindest das Pressestatement der Botschaft. Aber mit Stararchitektur nicht genug, auch die Kunst wird wie ehemals bei Cosimo de Medici in den Repräsentationsdienst genommen: Unter dem Titel „Landscapes of the mind“ werden hier 48 Arbeiten von 28 amerikanischen und chinesischen Künstlern gezeigt. Ob Robert Rauschenberg oder Jeff Koons tatsächlich „Referenzen zu China oder chinesischer Kultur demonstrieren“, ist zu bezweifeln – außer, man fasst die Beschäftigung mit der Natur schon per se als chinesisch auf (was die gesamte niederländische Landschaftsmalerei oder die deutschen Romantiker selbstredend konterkarieren).

Instrumentalisierung der Künstler

Jeff Koons sieben Tonnen schwere Stahlskulptur „Tulips“ will sicher nicht in das Bild von poetischer chinesischer Kunst mit Naturbezug passen, erinnern die Tulpen doch eher an Candys oder Heliumluftballons, die Abwesenheit oder Verkünstlichung von Natur. Das Szenario hat etwas Lächerliches – es will scheinen, als wolle man sich erster Linie mit Koons und Co brüsten und nicht in die gegenseitige kulturelle Verständigung vorantreiben. Doch schließlich will ja auch China zur Olympiade künstlerisch einiges aufbieten – allem voran den verlorenen Sohn Cai Guo-Qiang. Der chinakritische Künstler, der mit seinen Sprengstoffzeichnungen und Explosionsevents nicht in China, sondern erst in Japan und vor allem Amerika bekannt geworden ist, wird zur Olympiade wieder mit ins Boot geholt, zur Ausrichtung der für China besonders wichtigen Feuerwerke der Eröffnungs- und Schlusszeremonien. Und auch seine im New Yorker Guggenheim Museum gestartete Retrospektive „I want to believe“ macht im Sommer in Peking einen Stopp. Dies riecht nach Instrumentalisierung eines Künstlers, den möglicherweise die Hoffnung auf lang ersehnte Anerkennung bzw. generelle Bekanntheit in der Heimat zu solchem Schritt bewegt haben mag. Er verhilft jedenfalls China dazu, am 08.08.08 vor Millionen Fernsehzuschauern zu glänzen.

Mit der Botschaftseröffnung am selben Tag hält die Weltmacht USA es offensichtlich für nötig, sich ebenfalls im grellsten künstlerischen Glanz zu zeigen. Das wiederum macht letztlich geradezu wehmütig, denn eine Abschiedstimmung schwingt bei dieser Antwortgeste mit. Leise vermeint man auch aus der Ferne aus dem Gebäude zu hören: „Wir sind auch noch da!“ Ist das ein letztes Aufbegehren der alten Weltmacht gegen die neue? Ob es wohl dazu kommt, dass wir bald dem amerikanisch glorifizierten Kapitalismusmodell nachweinen?