PROJEKTRÄUME: FÜR DIE FREIHEIT, NICHT IM TREND LIEGEN ZU MÜSSEN
Ein Projektraum im Prenzlauer Berg, der hoffentlich weiterhin von der Gentrifikation verschont bleibt.
Ausstellungsansicht mit Irène Hug, Foto: Holger Kist
Ausstellungsansicht mit Irène Hug, Foto: Holger Kist
Projekträume aus der Perspektive einer Nicht-Künstlerin aus Mitte
Diese Publikation wendet sich nicht nur – wie sonst bei Projektraum-Publikationen verbreitet – an Insider des Kunstsystems. Vielmehr soll sie auch weniger mit der Szene vertrauten EntscheidungsträgerInnen ein Gefühl für die gesellschaftliche Subgruppe von Kulturschaffenden vermitteln, die einen Projektraum betreiben. Das heißt von KünstlerInnen, KuratorInnen, MusikerInnen oder AutorInnen, die in Eigeninitiative und zumeist in Selbstausbeutung Ausstellungen, Performances, Konzerte, Vorträge oder Filmscreenings organisieren, da ihnen die transportierten Inhalte und/oder die kunstimmanenten Fragestellungen wichtig sind und es ihnen ein Bedürfnis ist, diesen eine Öffentlichkeit zu geben, sie zur Diskussion zu stellen.
Projekträume sind nicht ausschließlich „artist-run spaces“, also von KünstlerInnen betriebene Ausstellungsräume. Auch KunsthistorikerInnen oder KulturakteurInnen mit unterschiedlichstem beruflichen Background initiieren nicht-kommerzielle, multidisziplinäre Räume, häufig allerdings gemeinsam mit bildenden Künstlern. Die BetreiberInnen verbindet ein gemeinsamer Idealismus, der geradezu euphorisierend wirken kann, zeichnet er doch ein Bild von einer alternativen Arbeitswelt, in der sich Arbeitsteilungen aus Eignungen und Vorlieben von selbst ergeben: ein quasi-symbiotisches Arbeiten in einem – ganz im Gegensatz zum Kunstmarkt – hierarchiefreien Umfeld. Innerhalb dieser selbstorganisierten, dezentralen Arbeitsstrukturen machen künstlerische Egos Teamarbeit und Networking Platz, finanzielle und körperliche Strapazen lassen sich so leichter ertragen. Gleichfalls gilt ein alternatives Wertesystem. Im Projektraum fungiert nicht Geld als Leistungsmaßstab, sondern symbolisches Kapital: die Resonanz und die Anzahl der BesucherInnen bei den Veranstaltungen, die letztlich Achtung und Reputation schaffen.
Was Projekträume für Kulturinteressierte attraktiv macht, resultiert auch aus dieser relativ spontanen Arbeitsweise und der großen Flexibilität innerhalb kleiner Strukturen. Im Vergleich zu etablierten Institutionen mit einem weit im Voraus beschlossenen Jahresprogramm ist es BetreiberInnen von Off-Räumen möglich, schneller auf gesellschaftliche Phänomene zu reagieren. Projekträume können daher Seismographen für neue Themen und Diskurse in der Kunst sein. Auch weil sie die Freiheit haben, nicht im kommerziellen Trend liegen zu müssen. Das nicht zweckorientierte, auf eine finanzielle Verwertung ausgerichtete Arbeiten lässt eine reichere Ideenproduktion zu. Doch in dem Maße, wie es die Kreativität befeuert, kann es auch belastend sein, je nachdem wie gut der Einnahmen-bringende (Neben)job läuft und sich mit den zeitintensiven Projekten verbinden lässt. Denn ProjektraumbetreiberInnen sind in der Regel auch ihre größten MäzenInnen.
Was also, wenn der Balanceakt kippt? Wenn das Gebäude saniert, die Mieten erhöht werden? Für viele ist dieses Problem bereits Realität. Wie die im vergangenen Jahr vorgestellte Studie der Soziologin Séverine Marguin ergab, ist die Zahl der Projektraumgründungen in den letzten beiden Jahren rückläufig. Die Hochzeit der für Berlin so charakteristischen Zwischennutzung ist vorbei, da sich die Besitzverhältnisse in den östlichen Stadtteilen inzwischen überwiegend geklärt haben und in- sowie ausländische Investoren den (ehemals) günstigen Büro- und Wohnraum für sich entdeckten. Weder Ateliers noch Projekträume sind daher noch wie vor Jahren für kleines Geld zu haben, jedenfalls kaum mehr im Zentrum Berlins. Doch müssen auch oder gerade in gentrifizierten Gebieten Freiräume bewahrt bleiben, um aktuelle, noch nicht im Kanon befindliche Künstlerpositionen sowie aktuelle Diskurse auch einer vermehrt neoliberalen Nachbarschaft zumindest anzubieten und einer Ghettoisierung entgegenzuwirken. Ansonsten riskiert Berlin, die ProtagonistInnen der Kreativwirtschaft, welche die Regierenden gerade erst als Zugpferd für die wirtschaftlich immer noch schwache Stadt entdeckt haben, wieder zu verlieren.
Die vielen Projekträume prägen das attraktive Bild von Berlin im In- und Ausland entscheidend mit, bilden daher wie die sie nährende freie Szene auch einen wichtigen Tourismusfaktor. Sie zu unterstützen heißt, Berlin zu unterstützen.
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veröffentlicht in: Künstlerische Projekträume 2, hrsg. v. Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten Berlin 2013, S. 96ff.
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