artmap.com
 
CONNY BECKER
 

RAUMBESTANDSERHEBUNG IN DER KLEINEN HUMBOLDT GALERIE

Wolf von Kries // May Day // 2008
Foto: Sebastian Peter
Cécile Dupaquier // Stilllegen 1 // 2014
for English version please scroll down
//

RAUMBESTANDSERHEBUNG

Gruppenausstellung mit
Jeremy Ayer
pedda Borowski
Patrick Cipriani
Cécile Dupaquier
Amos Fricke
Michael Hoepfel
Lisa Junghanß
Joseph Kadow
Wolf von Kries
Nora Mertes
Luzia Rux
Fabrice Schneider
Sebastian Stadler
Joanis Walter

"Flächendokumentation: Erfassung und Aktualisierung der Liegenschafts-, Gebäude- und Flächendaten für die landeseigenen und für die angemieteten Universitätsliegenschaften. Erhebung der Flächenausstattung für den Rahmenplan und die Standortentwicklung. Raumbestandserhebung für das Statistische Landesamt Berlin (gemäß Hochschulstatistikgesetz - HStatG)"

Ähnlich wie bei einer bautechnischen "Raumbestandserhebung" untersuchen die präsentierten Kunstwerke die vielschichtige historische Architektur der zwischen 1883 und 1909 entstandenen Bauten der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. Die Gebäude, von unterschiedlichsten stilistischen wie politischen Epochen gezeichnet, werden heute vom Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften, vom Institut für Biologie, sowie vom Museum für Naturkunde genutzt. Ihre lebenswissenschaftliche Bestimmung lässt sich bis in die Details der Architektur verfolgen – in Wandgemälde mit arkadischen Szenen aus der Landwirtschaft ebenso wie in quirlige Pflanzen- und Tierornamente an Treppenhäusern und Fassaden. In die Wilhelminische Architektur haben sich die Spuren von Weltkrieg und DDR ebenso wie von neuesten Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen der "Standortentwicklung Campus Nord" eingeschrieben.

Auf diese Schichten und ihr skurriles, bisweilen gar unheimliches Aufeinandertreffen gehen die KünstlerInnen in ihren Arbeiten ein, die größtenteils ortsspezifisch für die Ausstellung entstanden sind. Das Ergebnis ist ein ungewöhnlicher Versuch, die Ursachen der heutigen Erscheinung und ihre Wirkung abseits einer zweckgerichteten "Flächendokumentation" zu ergründen - und womöglich zu einer anderen Begutachtung zu kommen.

Die Ausstellung ist nur in Führungen zugänglich, die stündlich zwischen 12 und 19 Uhr am Eingang zum Hauptgebäude in der Invalidenstraße 42 beginnen. Erfrischungsgetränke, Kaffee und Kuchen werden im Fachschaftscafé Flora Soft verkauft. (LC)

Mit Arbeiten von Jeremy Ayer, pedda Borowski, Patrick Cipriani, Cécile Dupaquier, Amos Fricke, Michael Hoepfel, Lisa Junghanß, Joseph Kadow, Wolf von Kries, Nora Mertes, Luzia Rux, Fabrice Schneider, Sebastian Stadler, Joanis Walter

Kuratiert von Conny Becker, Lee Chichester, Viktor Hömpler, Julia Modes, Sebastian Peter, Vanja Sisek, Liz Stumpf, Antonia Wolff


Cécile Dupaquier // Stilllegen 1 & 2 // 2014

Cécile Dupaquiers Skulpturen sind minimale Eingriffe in den Raum, auf den sie mal mehr, mal weniger direkt Bezug nehmen. Ausgangspunkt für ihre Arbeiten können banale oder gar vernachlässigte Alltagsgegenstände sein – Aktenordner, Türstopper oder eine Heizungsverkleidung, die sie in neuen Materialien und Dimensionen nachempfindet. Selten massiv oder voluminös – oft an der Grenze zur Zweidimensionalität – wirken sie wie materialisierte Zeichnungen.

Im Gegensatz zum Gros ihrer Werke haben die Skulpturen, die Dupaquier für das Glastreppenhaus im Nordbau entworfen hat, optisch ihre Leichtigkeit abgelegt. Die beiden Sperrholzobjekte sind ausnahmsweise dunkelbraun lasiert und referieren damit auf die schweren Eichenmöbel im benachbarten Hörsaal. Zugleich fallen sie dadurch auf dem dunklen Untergrund kaum auf, womit sie die für die Arbeiten der Künstlerin charakteristische unaufdringliche Note wiedergewinnen. Durch dieses subtile Besetzen des Raumes scheint es, als wäre die Architektur plötzlich belebt oder besäße eine Latoursche „agency“: Die Objekte gewinnen an Aktivität – breiten sich „faul" auf der Pausenbank aus oder verstecken sich in einer Nische – und geben einen humorvollen Kommentar auf die Umgebung – sei es die ornamentale Treppenverzierung oder der heterotopische Ort an sich, der funktionslos und seit Jahren verlassen erscheint. Dieser Nicht-Ort bildet auch einen der Referenzpunkte für den Titel der Arbeiten: Stilllegen, ebenso wie das „Verhalten“ der Skulpturen selbst.

Cécile Dupaquier (*1970 in Givors, Frankreich) studierte Kunst und Mediengestaltung an der Ecole Nationale des Beaux Arts in Lyon und lebt und arbeitet in Berlin. Zu ihren Einzelausstellungen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz zählen Das Versteck bei Ozean, Berlin (2013) und Epaves, Musée Georges Garret, Vesoul (2012). Zudem ist sie regelmäßig in internationalen Gruppenausstellungen wie Kentucky Karaoke, DMNDKT, Berlin (2014) oder Raum ermessen, Pforzheim Galerie (2012) vertreten. Dieses Jahr wurde sie eingeladen, ein Projekt für ein Kunst-am-Bau-Wettbewerb für ein Forschungs- und Laborgebäude der Lebenswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin zu entwickeln. (CB)


Wolf von Kries // May Day // 2008

Wolf von Kries zieht das Jagen und Sammeln dem Sesshaft-Werden und der damit verbundenen (Hoch)kultur vor. In der Tradition von Situationisten und Fluxisten durchstreift er für seine künstlerische Arbeit urbane wie ländliche, z.T. gar exotische Gefilde und sammelt Alltagsobjekte und -eindrücke unterschiedlichster Herkunft und Funktion. Gleichzeitig beobachtet er physikalische, ökologische oder sozio-historische Phänomene und schafft durch ungewöhnliche Zusammenstellungen neue Sinnzusammenhänge. Dabei ist das Prozesshafte wichtiger als die Produktion eines materiellen Wertes, genannt Kunstwerk.

Für die Arbeit May Day versammelt der Künstler zahlreiche Konservendosen unterschiedlichen Ursprungs und Inhalts, die eine Gemeinsamkeit eint: Ihr identisches Ablaufdatum, der 30. April (2008). Charakteristisch für sein Werk, spielt von Kries hier sowohl mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs wie auch mit formalen Übereinstimmungen zwischen unterschiedlichsten Dingen oder Phänomenen. So wird „Mayday“ zum einen als internationaler Notruf im Sprechfunk verwendet und leitet sich hier vermutlich von dem Hilferuf „Venez m’aider!“ (Kommt mir helfen!) ab. In diesem Kontext lässt sich die ursprüngliche Installation der Arbeit verstehen, bei der die Dosen zu einer deckenhohen Säule gestapelt waren: die Quasiarchitektur als Stütze – wie auch die Ablaufdaten zivilisatorische Orientierungshilfen darstellen.

Zum anderen ist der erste Mai als der internationale Tag der Arbeit oder gar Kampftag der Arbeiterbewegung bekannt. Ein „Aufbegehren“ der Konservendosen stellt sich aber auch Jahre nach Ablauf des Verfallsdatums nicht ein, was bei der im Raum verteilten Installationsweise gut zu erkennen ist. Den konzentrischen Kreisen ihrer weiterhin glatten Oberfläche hat der Künstler nun eine Videoprojektion zur Seite gestellt, die das formal ähnliche Bild von Regentropfen in einem Pfütze zeigt. Er verbindet damit „Wasser als ein Grundbaustein von Leben und Wachsen einerseits und Konservendosen andererseits, die wie auf einem Feld herumstehen und deren Inhalte nicht zuletzt durch Bewässerung entstanden sind.“

Wolf von Kries (* 1971 in Berlin) lebt und arbeitet in Berlin. Zu seinen letzten Einzelausstellungen zählen Forms of Emptiness, NuN Exhibition Space, Berlin (2013), Muster ohne Wert, Le centre d’art contemporain, La Ferme du Buisson, Frankreich (2010) und Schattenspiele, Platform, Vasa, Finnland, (2009). (CB)

//

RAUMBESTANDSERHEBUNG

Group exhibition with
Jeremy Ayer
pedda Borowski
Patrick Cipriani
Cécile Dupaquier
Amos Fricke
Michael Hoepfel
Lisa Junghanß
Joseph Kadow
Wolf von Kries
Nora Mertes
Luzia Rux
Fabrice Schneider
Sebastian Stadler
Joanis Walter

"Area-documentation: Survey and updating of the data on land property, buildings, and areas for the university's state- and rented property. Survey of facilities for the master plan and location development. Spatial survey for the Statistic State Office of Berlin (according to the College Statistics Law - HStatG)."

Similar to a constructional "spatial survey" ("Raumbestandserhebung"), the presented artworks examine the many-layered historical architecture of the buildings on Invalidenstr. 42 that were constructed between 1883 and 1909 for the Agricultural College of Berlin. The buildings, marked by different stylistic as well as political eras, are used today by the Albrecht Daniel Thaer-Institute for Agricultural and Horticultural Sciences, the Institute of Biology, and the Natural History Museum. Designed for the life sciences, their original designation can be traced into the slightest details of the architecture - from wallpaintings showing arcadian scenes to squirming floral and faunal ornaments on stairways and facades. Into the Wilhelminian architecture traces of the war and the GDR have been inscribed, next to recent modernization measures taken in the context of the "Location Development North Campus."

Responding to these layers and their bizarre, as well as at times uncanny, encounter, the artists have developed site-specific works and installations. The result is an unconventional attempt to come to terms with the reasons behind the buildings' current condition and their effect on the viewer - beyond a function-oriented "areal-documentation" - and to perhaps also come to a different assessment.

The exhibition is only accessible in guided tours starting each full hour between 12 and 7 pm in the entrance hall (foyer) of the main building on Invalidenstr. 42. Refreshments, coffee, and cake will be sold in the student-run café Flora Soft. (LC)

With works by Jeremy Ayer, pedda Borowski, Patrick Cipriani, Cécile Dupaquier, Amos Fricke, Michael Hoepfel, Lisa Junghanß, Joseph Kadow, Wolf von Kries, Nora Mertes, Luzia Rux, Fabrice Schneider, Sebastian Stadler, Joanis Walter

Curated by Conny Becker, Lee Chichester, Viktor Hömpler, Julia Modes, Sebastian Peter, Vanja Sisek, Liz Stumpf, Antonia Wolff


Cécile Dupaquier // Stilllegen 1 & 2 // 2014

Cécile Dupaquier’s sculptures are minimalistic interventions into space, refer- ring sometimes more, sometimes less directly to their surroundings. Starting points for her works can be banal or even neglected everyday objects. Fol- ders, doorstoppers, or the paneling of a heater are adapted in new materials and dimensions. Rarely massive, often at the border of two-dimensionality, they appear like materialized drawings.

In contrast to most of her work, the sculptures made for the glass staircase in the north wing have relinquished their optical lightness. Exceptional for her work, both plywood objects are varnished in dark brown, as a reference to the heavy oak furniture in the lecture hall next door. For this reason, they hardly stand out from the dark ground, thus regaining the unpretentious quality of Dupaquier’s oeuvre. It seems as if the architecture had a Latourian “agency”: The objects lie lazily on a bench or hide in a corner, commenting humorously on their surroundings: be it the ornamental décor of the stair-rail or the hete- rotopic site itself that seems long abandoned. This non-place is also referred to in the title of the works: Stilllegen (shutting down/laying down).

Cécile Dupaquier (*1970 in Givors, France) studied art and media design at the Ecole Nationale supérieure des Beaux Arts in Lyon and lives and works in Berlin. Recent solo exhibitions in Germany, France, and Switzerland include Das Versteck, Ozean, Berlin (2013), and Epaves, Musée Georges Garret, Vesoul (2012). Her work is also shown in international group exhibitions, such as Kentucky Karaoke, DMNDKT, Beriin (2014), or Raum ermessen, Pforzheim Galerie (2012). This year she was invited to develop a project within an art- in-architecture contest for a research building at Humboldt University. (CB)


Wolf von Kries // May Day // 2008

Wolf von Kries prefers hunting and gathering to settling down and its (high) culture. Like the Situationists and Fluxus artists, he wanders around urban as well as rural areas, and collects everyday objects and impressions for his artistic work. He also observes physical, ecological, or socio-historical pheno- mena, and creates new contexts through unusual combinations. In general, the process is more important than the production of a material object.

For May Day, the artist has assembled cans of different origins and contents but with identical expiration dates: the 30th of April 2008. Von Kries plays with the double meaning of the title as well as the formal similarities bet- ween the most different objects and phenomena. “Mayday” is used interna- tionally as an emergency code word and seems to derive from the French “venez m‘aider.” The first presentation of the work can be understood in this context: The cans were piled up into a column “supporting” the architecture of the exhibition space. Furthermore, the 1st of May is known as the International Workers‘ Day. But even years after the expiration date, no uprising of the cans has happened, as proven by the flat surfaces with their concentric circles. In a video this shape is mirrored by raindrops falling into a puddle. Von Kries combines “water as a basic module of life and growth with the cans standing around as in a field, and whose contents ultimately result from irrigation.”

Wolf von Kries (* 1971 in Berlin) lives and works in Berlin. Recent solo exhibitions include Forms of Emptiness, NuN Exhibition Space, Berlin (2013), Muster ohne Wert, Le centre d’art contemporain, La Ferme du Buisson, France (2010), and Schattenspiele, Platform, Vasa, Finland, (2009). (CB)