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CONNY BECKER
 

REIGEN MIT DEN TOTEN

Ben Vautier, "Lübecker Totentanz", bearbeitete Buchseite, 2003/4; Foto: Charité
Michael Wohlgemuth, "Tanz der Skelette", Holzschnitt in der "Schedel ́schen Weltchronik", 1493; Foto: Charité
Hartwig Ebersbach, "Lübecker Totentanz", Buchdeckel: Vorder- und Rückseite mit Holzschnitten bedruckt und mit Buntstiften überarbeitet, 2003; Foto: Charité
Vor dem Tod sind alle gleich, keiner kann ihm entkommen – daran gemahnen seit den mittelalterlichen Pestepidemien zahlreiche Kunstwerke mit dem Motiv des Totentanzes. Eine Ausstellung im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité übersetzt das alte Thema spielerisch in die Gegenwart.

Eine Totenmaske aus Tibet lacht dem Besucher ins Gesicht, läd ihn ein, gemäß dem Ausstellungstitel den „Tanz mit dem Totentanz“ mitzufeiern. Schon jetzt wird deutlich, dass dieses Thema nicht chronologisch abgehandelt wird. Vielmehr besteht die Ausstellung aus mehreren Strängen, die räumlich verwoben sind, so dass Epochen und Kulturen im ständigen Dialog stehen.

Der historische Part gibt nach Themen geordnet einen Überblick über die verschiedenen ikonographischen Varianten des Totentanzes sowie seine politische Instrumentalisierung. Unter den erweiterten Begriff zählen sowohl tanzende Tote, wie im Holzschnitt von Michael Wohlgemuth aus der Schedel’schen Weltchronik von 1493, als auch Paardarstellungen eines Skeletts mit einem Standesvertreter – zu sehen etwa ein Apotheker, der von einem explodierenden Kessel jäh nach hinten geworfen wird. Zwischen verschiedenen Totentanzserien – von Max Klinger oder Alfred Kubin – tauchen immer wieder Totenmasken aus dem buddhistischen Kulturkreis sowie aus Lateinamerika auf, die als Mittler zwischen Kunst, Kult und Realität dienen.

Persönliche Interpretationen

Der Hauptteil der Ausstellung beschäftigt sich allerdings mit dem 1463 entstandenen „Lübecker Totentanz“, in dem 24 weltliche und kirchliche Standesvertreter mit skelettartigen Toten einem Reigen tanzen. Dieses monumentale, 30 m breite Werk von Bernd Notke hing (ab 1701 in Kopie) fast 500 Jahre lang in der Marienkirche zu Lübeck, bis es 1942 bei der Bombardierung Lübecks zerstört wurde. Aufgrund des politischen Totentanzes Zweiter Weltkrieg erfüllte es damit selber die von ihm vermittelte Prophezeiung, dass ausnahmslos alles ein Ende finden muss.

Kurator Hartmut Kraft ließ nun das Werk mithilfe von 25 Gegenwartskünstlern wiederauferstehen, indem er ihnen Bücher mit großformatigen Abbildungen des Totentanzes als kreatives Ausgangsmaterial gab. Zeichner, Maler, Fotografen, aber auch Bildhauer und Performance-Künstler lieferten so in den vergangenen sechs Jahren ein Potpourri an Antworten – auf das historische Meisterwerk, seine Geschichte sowie den Tod an sich.

Nicht wieder erkennbar ist das Buch in der blockartigen Stein-Stahl-Skulptur von Enrique Asensi. Sein minimalistisches, an einem Opfertisch erinnerndes Objekt verwahrt das Totentanzbuch im Inneren und kann als Anspielung auf einen mittelalterlichen Reliquienaltar gelesen werden. Andere Künstler gehen spielerisch mit dem Thema um und stellen dem Totentanz farbenfrohe, geradezu komische Bilder gegenüber; häufiger herrscht jedoch eine melancholische oder bedrohliche Stimmung. Peter Gilles etwa exerzierte ein Ritual mit dem Buch, verbrannte es, um es dann mit seinem eigenen, vorab entnommenen Blut zu löschen. Seine Performance tritt somit in die Nähe spätmittelalterlicher Magie oder Alchemie und vollzieht mit dem Buch einen eigenen Totentanz. Victor Bonato dagegen klebt Röntgenbilder seines eigenen Körpers auf die Abbildungen, die nur noch durch die „Knochen“ durchscheinen. Noch direkter bringt sich Birgit Kahle in den Totentanz mit ein: Mittels Fotocollagen überlagert sie ihren eigenen nackten Körper mit einer weiblichen Bildfigur, verschmilzt gleichsam mit ihr.

Diese extreme Variationsbreite der künstlerischen Antworten spiegelt wider, wie unterschiedlich jeder einzelne Mensch mit dem Tod umgeht, ihn reflektiert – mit Beschönigen oder Angst, Verdrängen oder Akzeptieren. Letzteres schein auf Ben Vautier zuzutreffen, der in weißer Kinderschrift scheinbar unbeholfen „Ich bin tod“ auf eine Abbildung schreibt. Diese Arbeit ist so simple wie kraftvoll, konfrontiert sie den Betrachter doch unmittelbar mit dem Tod des Künstlers oder gar seiner selbst. Indem er auf einer weiteren Seite in Französisch schreibt, „Hartmut Kraft wird sterben, wie jeder sterben wird“, gliedert er schließlich sowohl Künstler und Betrachter als auch den Kurator in den Reigen ein.

Tanz mit dem Totentanz. Bis 1. Februar 2009. Di-So 10-17 Uhr, Mi+Sa bis 19 Uhr. Medizinhistorischen Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin; www.bmm.charite.de. Ab Mai 2009 zu sehen im St. Annen-Museum, Lübeck, ab September in der Mewo-Kunsthalle Memmingen