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CONNY BECKER
 

REPORTAGE: KUNST UND KÜNSTLERN GANZ NAH

Was passiert nach dem ersten Kauf? Wann wird aus dem Kunstliebhaber ein Sammler, der sein Leben immer mehr nach der Kunst ausrichtet? Ein Jungsammler-Paar gestattet bei einem Gang über das Berliner Art Forum Einblick in den Sammleralltag.


Noch ist die Luft ist frisch, die Massen werden sich erst in ein, zwei Stunden durch die Gänge drängen. Die Chance, ein Bild in Ruhe zu betrachten oder gar mit einem Galeristen oder auch Künstler zu sprechen, ist dann nahezu vertan. Kristina Ehle weiß das. Es ist nicht ihre erste Kunstmesse. Schon als Referendare sind sie und ihr Freund „übers Art Forum gestreift – als wir noch kein Geld hatten, irgendetwas zu kaufen“, erzählt sie. 2001 erwarben sie, mittlerweile verheiratet und gestandene Juristen, gemeinsam ihr erstes Bild von Peter Rösel, 2002 folgte ein Anton Henning, dann ging es peu à peu weiter.

Der erste Kauf hat in beiden etwas verändert. „Vorher bestand eine Hemmschwelle, bei Kunst nach Preisen zu schauen“, sagt Kristina. „Denn da, wo ich herkomme, wird Kunst sehr museal gesehen, erhöht und mit einer gewissen Distanz dargestellt. Es war ein großer Schritt, sich selbst zu sagen: Kunst ist etwas, das käuflich ist!“ Der zweite Kauf fiel dann leichter, aber desillusioniert oder die Kunst geschmälert hat dies nicht. Im Gegenteil: „Man macht schließlich in der Wohnung nichts anderes als im Museum. Das Werk wird so präsentiert, dass erkennbar ist, dass man es liebt, man es wertschätzt.“

Kristina begrüßt nebenbei ein paar Freunde, gibt ihnen jedoch charmant zu verstehen, dass sie sich erst später bei der Vernissage unterhalten werden. Sie muss, mit ihrem Notizbuch bewappnet, noch einen Gang durchgehen, ganz systematisch, um auch keine Arbeit zu verpassen. Dabei spielen die Namen der Künstler und Galerien nur eine sekundäre Rolle; in erster Linie schaut die 34-Jährige, nach dem, was sie spannend, interessant findet. Zum Beispiel Kunst mit popkulturellen Bezügen, da sich das Paar sehr für Musik und Film interessiert, wobei allerdings das Medium der Arbeiten selbst nicht wichtig ist.

Nach den ersten sporadischen Käufen habe sich irgendwann alles von selbst beschleunigt, sagt Sascha Lazimbat, der sich nun zu seiner Frau gesellt. Seit etwa zwei Jahren gehe es ihnen nicht nur darum, dass ein Werk gefällt, sondern auch, dass es zu den vorhandenen passt, sich ein roter Faden bildet. „Wenn man diesen Sammlungsgedanken in sich trägt, fängt man an, sich als Sammler zu definieren“, glaubt Sascha. Dabei kann es auch mehrere rote Fäden nebeneinander geben. Allen Arbeiten der beiden ist jedoch gemein, dass sie nicht hermetisch abgeschlossen sind, sondern auf etwas verweisen; sei es aus dem Bereich der Kultur, der Popkultur, dem eigenen Leben oder auch der Politik. „Es ist spannend, dass es immer irgendwelche Verweise nach außen gibt, die gleichzeitig neue Themen in die Kunst reinholen.“

Die neuen Berliner Sammler

Kunst ist eine Leidenschaft, die die beiden Berliner offensichtlich bereichert. Aber sie verlangt ihnen auch einiges ab, nicht nur finanziell. Das Paar investiert das Gros seiner Freizeit in die Kunst, besucht fast jede Woche Galerieausstellungen oder Künstlerateliers und die großen Messen und Events der zeitgenössischen Kunst stehen fest im Terminplan. „Basel und Venedig, das waren diesen Sommer unsere Erholungsurlaube“, schmunzelt Kristina, die beobachtet hat, wie sich auch ihr Freundeskreis immer mehr in Richtung der Kunstinteressierten verschoben hat; hin zu denen, die verstehen, wie wichtig ihnen die Kunst ist.

Kristina und Sascha winken Takehito Koganezaw zu, einem japanischen Künstler, von dem sie eine Zeichnung besitzen und den sie in seiner neuen Wahlheimat Berlin näher kennen gelernt haben. Da sie nur junge Künstler sammeln, ist es häufig möglich, mit diesen in Kontakt zu kommen. „Es ist aufregend zu schauen, wer der Mensch ist, der hinter dem Werk steht. Wie sieht dessen Gedankenwelt aus, was ist ihm wichtig mit seiner Kunst?“ Dies alles zu erfahren, das „Drumherum“, der Austausch mit anderen macht für Kristina einen großen Teil des Spaßes aus, sich mit Gegenwartskunst zu beschäftigen. Und so kennen die beiden etwa 80 Prozent ‚ihrer’ Künstler, die zumeist in ihrem Alter und so in ganz ähnlicher Weise mit dem Leben konfrontiert sind, auch persönlich.

Damit stehen die beiden stellvertretend für ein neues Berliner Phänomen. In der Hauptstadt, der stets das Image ‚arm, aber sexy’ anhaftete, ist nämlich still und leise ein neues kulturinteressiertes Bürgertum herangewachsen, das Berlin ob seiner Geschichte so lang vermisst hat. Diese Generation von etwa 40-jährigen Gutverdienern musste unwillkürlich mit der Kunstszene in Kontakt kommen, liegen die Galerien doch neben Büro, Lieblingskneipe oder der eigenen Haustür – mit dem Resultat, dass Vernissagen seit gut zwei Jahren zum Event geworden sind und in Stadtmagazinen spaltenlang angekündigt werden. „Dieser direkte Zugriff auf die Kunst, das Gefühl teilzunehmen, vielleicht sogar etwas zu beeinflussen, macht die Kunst für viele wohl auch interessanter als das Theater“, mutmaßt Sabrina van der Ley. Die Künstlerische Leiterin der Messe beobachtet den Zuwachs junger Berliner Sammler gewiss mit Freude und erklärt den Anreiz zu kaufen auch mit „lokalpatriotischem Stolz“ – schließlich ist die Kunst von nebenan international begehrt.

Am Stand der Berliner Galerie CarlierGebauer liebäugelt Sascha mit einem Leuchtkasten von Sebastian Diaz Morales. Auch wenn Kristina und er sich vornehmen, auf Messen nichts zu kaufen, gehen sie doch hin und wieder mit einer neuen Arbeit nach Hause. Etwa bei Wolfgang Tillmann bot sich dies auf der vergangenen Art Basel schlichtweg an, da sie schon vorher wussten, dass sie noch ein Werk von ihm haben wollten. Im Gegensatz zu manch anderem Sammler kaufen sie jedoch auf der Messe nicht schneller. Sie stellen den Galeristen erst etliche Fragen, was jene offensichtlich als ‚typisch deutsch’ bezeichnen, da etwa amerikanische Käufer häufig nur den Preis wissen wollen. „Ich kann nicht einfach so etwas kaufen, sondern muss noch fünfmal überlegen, lass es reservieren“, sagt Kristina. Einen Spontankauf gab es bislang erst einmal.

Zurück in die Öffentlichkeit

Auch wenn sie die Präsentation der Werke auf den sie umgebenden Ständen zumeist für inadäquat hält, mag Kristina Messen: „Weil ich mir einen Überblick verschaffen kann, Galeristen und Künstler treffe, die ich sonst nie kennen lernen würde, und so neue Sachen entdecke – etwa aus Lateinamerika oder Japan.“ Ihre Lieblingsmesse ist die Londoner Frieze Art Fair, weniger wegen der Messe an sich, sondern wegen der sie umgebenden Atmosphäre, den vielen Events, den unzähligen Ausstellungseröffnungen. Dagegen hält sie die Art Basel für „schrecklich langweilig“, auch wenn sie die bessere Messe sei.

In Berlin jagt jetzt eine Party die andere, wächst das Begleitprogramm von Jahr zu Jahr, wie auch Berlin sich zu einer immer wichtigeren Kunststadt wandelt. Kristina und Sascha sind daher froh über ihre Entscheidung, an diesem Wochenende keinen Kunstnachmittag in ihrer Wohnung zu veranstalten, was sie im Frühjahr zunächst angedacht hatten. Damals, parallel zum Galeriewochenende, luden die beiden erstmals kunstinteressierte Freunde und Bekannte, Sammler und Galeristen zu einer kleinen Ausstellung in ihrer Wohnung ein. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Präsentation der eigenen Sammlung, sondern ein Raum, der von Marcel Bühler mit einer eigens dafür konzipierten Arbeit bespielt wurde. „Wir wollen Künstlern eine Plattform geben, auf der sie sich mit neuen Werken einmal außerhalb des Galerie- und Ausstellungsbetriebs einem kunstinteressierten Publikum präsentieren können, und damit auch neue Kontakte vermitteln. Aber auf eine weniger professionelle Art, in einer entspannten Sonntagnachmittag-Atmosphäre.“ Diese Kunstnachmittage wollen die beiden künftig ein- bis zweimal im Jahr ausrichten, antizyklisch zu den zwei Berliner Sammlerevents.

Mit rund 65 Werken haben die Jungsammler kürzlich angefangen, zweireihig zu hängen. Und wenn irgendwann der Platz tatsächlich nicht mehr reicht? „Dann muss erstmal etwas in den Abstellraum, da hilft ja nichts“, sagt Sascha und fügt hinzu: „Dann müssen wir vielleicht rotieren.“ Dass sie einmal ein Werk verkaufen werden, schließen beide nicht kategorisch aus – etwa wenn die Beziehung zu einer Arbeit verloren gegangen ist oder es nötig wird, um etwas anderes zu erstehen. Vor allem Sascha möchte aber lieber alles behalten, da für ihn jede Arbeit Zeichen des persönlichen Werdeganges ist.

Auch Kristina sieht die Sammlung als etwas sehr Privates und kann sich daher nicht vorstellen, kunstneugierige Fremde durch ihre Wohnung zu führen: „Ich zeige den Leuten schließlich auch nicht meinen Kleiderschrank!“ In anderen Räumlichkeiten jedoch könnten die Werke wieder öffentlich sichtbar werden, so in einer fremd kuratierten Ausstellung, in die ihre Arbeiten hineinpassen. Dabei zeigen sie selbst keine Ambitionen, Kuratoren Konkurrenz zu machen. Ein Assistieren wäre allerdings interessant; ein weiterer Blick hinter die verschiedenen Kulissen der Kunstszene. So wie es auch bei Bühlers Neukreation möglich war, den gesamten Entstehungsprozess zu verfolgen – von der Raumbesichtigung über die Ideenfindung zum konkreten Installieren der Arbeit in den eigenen vier Wänden.

„Mich interessiert oft mehr, wie Arbeiten entstehen als die verschiedenen Präsentationsmöglichkeiten der fertigen Werke. Wenn ich eine Sammlung in der Größenordnung von Christian Boros hätte, würde ich auch öffentlichen Museen und Institutionen Arbeiten als Leihgaben anbieten.“ Angesichts der knappen öffentlichen Kulturbudgets wäre eine verstärkte und langfristige Zusammenarbeit von Berliner Sammlern und Museumsdirektoren sicherlich wünschenswert. Bis eine solche Entscheidung ansteht, müssen aber noch einige Werke dazukommen. Im Zuge des Hypes der Gegenwartskunst, merken allerdings auch Kristina und Sascha, dass die Preise stetig steigen. Eine weitere Arbeit von Anton Henning etwa könnten sie sich nicht mehr leisten, da er inzwischen neben der Wohnmaschine auch von Top-Galerien wie Arndt & Partner oder Haunch of Venison vertreten wird. Ferner wird Kunst derzeit auch von Hedgefondsmanagern gekauft, die ihre neuen Spekulationsobjekte aus Zeitgründen jedoch nicht auf der Messe, geschweige denn in Galerien, sondern für ein Vielfaches in den angelsächsischen Auktionshäusern erstehen. In Deutschland ist hiervon noch wenig zu spüren, auch reguläre Sammler scheinen sich hierzulande noch seltener von ihren Werken zu trennen als anglo-amerikanische.

Die Berliner Jungsammler entscheiden sich heute gegen einen Kauf, da sie für dieses Jahr noch andere Arbeiten ins Auge gefasst haben. Trotz verbreiteter Preistreiberei bleibt Kristina optimistisch: „Wenn man einen eigenen Geschmack hat und nicht nach Brands geht, sondern wirklich schaut, was einen persönlich interessiert, wird man immer Künstler und Werke finden, die auch bezahlbar sind. Man darf nur nicht diesen Hype mitmachen.“ Und so wird das Paar in zwei Wochen die Frieze Gang um Gang abgehen und weiterhin alles offen anschauen, möglichst wieder ohne einen vom Konto eingeengten Tunnelblick.