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CONNY BECKER
 

STEINE: KÜNSTLERISCHES FORSCHEN ZUR UNSTERBLICHKEIT

Ilana Halperin schuf diesen Kalkstein, das Relief „Physical Geology (new landmass) 1“, in zehn Monaten zwischen 2008 und 2009 nach eigener Gussform.
Foto: Ruth Clark
Weltweit größter Harnblasenstein von 17 cm im Durchmesser.
Foto: Christoph Weber
Für Halperins Aquarell „Physical Geology (new landmass )1-3“ von 2011 dienten Gallensteine als Inspiration (Detail).
Foto: Ruth Clark
Ilana Halperin schließt in ihren Werken Kunst und Wissenschaft kurz, lässt sich von verschiedensten Steinen inspirieren oder erschafft sie sogar. In Berlin sind derzeit zwei Ausstellungen der Künstlerin zu sehen, die an Wunderkammern erinnern und sowohl wissenschaftlich als auch ästhetisch Interessantes bieten.


Ihren 30sten Geburtstag feierte Ilana Halperin 2003 auf höchst ungewöhnliche Weise: gemeinsam mit dem isländischen Eldfell-Vulkan, der im selben Jahr wie die schottische Künstlerin das Licht der Welt erblickt hatte. Auf diese Koinzidenz stieß die Bildhauerin und gelernte Steinmetzin im Laufe ihrer künstlerischen Forschung, die sie seit Jahren zum Thema Steine betreibt. Wie sie die faszinierenden geologischen Entdeckungen, die sie bei ihrer Feldarbeit in Hawaii, Island, Frankreich oder China, in Museen, Archiven und Laboren macht, mit der Bildenden Kunst verbindet, kann man schon an der kuriosen Geburtstagsfeier erkennen: Sie verknüpft die wissenschaftlichen Funde mit einer sehr persönlichen Reaktion – Geschichten oder Tagebucheintragungen – oder aber sie eignet sich die natürlichen Prozesse an und schafft individuelle „geologische“ Skulpturen. Stets berühren Halperins Werke Fragen von Entstehen und Vergehen, Leben und Unsterblichkeit sowie nach Parallelen zwischen geologischen und menschlichen Lebenszyklen.

Langlebige Körpersteine

In Halperins Ausstellung „Steine“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité gilt das Interesse der Künstlerin neben geologischen Faszinosa den von Organismen geformten Konkrementen, das heißt Gallen-, Nieren- oder Harnblasensteinen. Diese rein anorganischen Abfallprodukte des menschlichen oder tierischen Körpers wurden in Berlin schon im 18. Jahrhundert von den Anatomen und Gallensteinsammlern Johann Gottlieb und Friedrich August Walter intensiv untersucht. „Die beiden verstanden sich als Körpermineralogen und sie machten erste chemische Analysen mit Gallensteinen“, sagte Museumsdirektor Professor Dr. Thomas Schnalke beim Presserundgang durch die Ausstellung. Vater und Sohn Walter systematisierten die aufgeschnittenen Steine nach ihrer inneren Formation und bildeten sie jeweils von Innen und Außen als Farblithografien in einer umfangreichen Publikation ab, die nun ebenfalls zu sehen ist.

Neben derartigen „Schätzen der Wissenschaftsgeschichte“ zeigt Halperin in ihrer Ausstellung auch eine Auswahl der Körpersteine selbst – so etwa den größten operativ entfernten menschlichen Blasenstein mit einem Gewicht von 1,125 Kilogramm, der 2009 nur aufgrund einer Routineuntersuchung gefunden wurde. Denn der Patient war wegen einer künstlichen Harnblase beschwerdefrei. Aufgeschnittene Gallensteine mit ihrer stern- oder lamellenartigen Binnenstruktur, sklerosierte Gefäße oder die Kalkmanschette eines Herzbeutels haben neben dem wissenschaftlichen unbestreitbar auch einen ästhetischen Reiz und werden von der Künstlerin gleichrangig mit ihrer Kunst gezeigt. Dabei dienten jene unwillentlich entstandenen Artefakte häufig als Inspirationsquelle für die Bleistiftzeichnungen, Aquarelle und Skulpturen Halperins.

Geologische Kunstwerke

Besonders interessant sind schließlich die künstlichen Versteinerungen, die die Künstlerin mit verschiedenen Methoden analog zur beziehungsweise mithilfe der Natur schafft und die sie daher „geologische Kunstwerke“ nennt. Dabei greift sie stets auf überliefertes Expertenwissen zurück, so etwa auf jenes einer Familie aus der französischen Auvergne, die sich seit Generationen auf den so genannten Höhlenabdruck spezialisiert hat. In Saint Nectaire gestatten es die extrem calciumcarbonathaltigen Quellen nämlich, künstliche Tropfsteine herzustellen, wenn man eine Gussform aus Kautschuk in den Spritzbereich der Quellen anbringt. Die Form füllt sich im Laufe eines Jahres mit feinkristallinem Kalkstein, so dass man entweder eine Kopie eines Tropfsteins erhält oder im Falle Halperins ein feines, an ein Fossil erinnerndes Relief nach eigenem Modell.

Während dieses Verfahren recht zeitaufwendig ist – in einer durchschnittlichen Kalksteinhöhle benötigt ein Tropfstein sogar hundert Jahre für einen zusätzlichen Zentimeter! –, erhält man bei einer anderen Versteinerungstechnik sehr schnell Resultate: der Lavaprägung. Dieses veraltete Handwerk regte die Künstlerin zu einer weiteren Serie von Arbeiten an, die in der parallelen Ausstellung „Hand held lava“ im Projektraum der kooperierenden Schering-Stiftung zu sehen sind. Halperin ließ Stempel aus Stahl fertigen, die bis 1200 °C hitzebeständig sind und somit in flüssige Lava gestempelt werden können. Was zu Zeiten Alexander von Humboldts als Souvenir der Grande Tour durch Europa diente – ein ihm gewidmetes Lavamedaillon vom Vesuv ist ebenfalls zu sehen –, soll nun als Kunstform wiederbelebt werden, wenn der Ätna das nächste Mal ausbricht. Sei es in einem oder 100 Jahren, durch die Zusammenarbeit mit Vulkanologen, die Halperin begeisterte und vice versa, ist die Künstlerin zuversichtlich, dass das Unternehmen realisiert wird.

„Dies ist eine reine Kunstausstellung“, betonte Schnalke abschließend. Denn obwohl viele medizin- oder naturhistorische Leihgaben präsentiert werden, so sind sie doch Teil einer konkreten künstlerischen Recherche. „Das künstlerische Forschen wird in poetischen, biographischen Bezugssystemen verarbeitet, die uns in die Gedankenwelt der Künstlerin einführen“, erklärte Heike Catherina Mertens von der Schering Stiftung. Die Texte, die die Exponate begleiten, dienen der Erinnerung an verstorbene Forscher oder Verwandte der Künstlerin, geben den wissenschaftlichen Präparaten das individuelle zurück. Halperin vollzieht mit der von ihr gestalteten Wunderkammer einen Brückenschlag zwischen Kunst und Wissenschaft und kreiert, so Schnalke, „einen wunderbar sinnlich aufgeladenen Denk- und Erlebnisraum.“

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Ilana Halperin. Steine
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité
Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Ausstellungsdauer: 27.01. – 15.07.2012
Dienstag – Sonntag: 10-17 Uhr, Mittwoch und Samstag: 10-19 Uhr
Eintritt für Dauer- und Sonderausstellung: Erwachsene 7 EUR; ermäßigt 3,50 EUR

Hand Held Lava
Schering Stiftung
Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin
Ausstellungsdauer: 03.02. bis 05.05.2012
Montag bis Samstag: 11 bis 18 Uhr – Eintritt frei

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gekürzte Version veröffentlicht in PZ 6/2012, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=40826&type=0

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