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CONNY BECKER
 

TEXT ZUR AUSSTELLUNG TOMORROW IT'S TIME FOR THE FUTURE

Stefan Alber: Hybried in Color 01, 2013
THIS IS NOT RESEARCH.
THIS IS NOT THEORY.
THIS IS NOT ART.

Diese Warnung, die Hito Steyerl kürzlich vor einem Vortrag an der Humboldt-Universität zu Berlin aussprach, sei auch den folgenden Notizen vorausgeschickt (1). Diese können als Denkanstöße gelesen werden, als Gedanken zu und Möglichkeiten einer Annäherung an die Ausstellung „Tomorrow it’s time for the future“, die Werke von aufstrebenden wie renommierten Künstlern vorstellt – wenn auch in unterschiedlich vermittelter, irritierender Weise.


Annäherungsvorschlag 1___Hommage

Es begann mit einer Lovestory mit einem Künstler, den sie sehr verehrten, der aber außer Reichweite lag.
Aus dieser Situation heraus schaffen 22 aufstrebende Künstler aus New York und Berlin kurzerhand selber die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Vorbildern auszustellen, und zwar indem sie ihre Lieblingswerke mit eigener Hand nachmalen, -zeichnen, -filmen und -bauen. Es handelt sich bei den Arbeiten ergo um explizit ausgewiesene Imitationen – im Gegensatz zum (mehr oder weniger) unbewussten Kopieren, wie es in allen Kunstgenres zu finden ist. Dieser Akt setzt eine ausgiebige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen admirierten Werk voraus und kann letztlich als Hommage verstanden werden.


Exkurs___Früher war alles besser

Zumindest war es früher anders: In der Zeit vor Gutenberg wurden Bücher mit Akribie kopiert und die Kopisten genossen dafür hohes Ansehen. Ähnliches galt in der Kunstgeschichte. In Werkstätten imitierte der Geselle den Meister bis ins Kleinste, um dessen Werke in seiner Abwesenheit so weit zu produzieren, bis jener nur noch die wichtigen Details, seien es Gesichter oder Hände, fertig stellte. Die Brüder Carracci sorgten im späten 16. Jahrhundert in der Kunstausbildung für große Diskussion, da sie forderten, Adepten sollten schon von Beginn an mit dem lebenden Modell arbeiten, anstatt zunächst das Kopieren zu perfektionieren.
In der Zeit nach zu Guttenberg, in der dank des Internet eine permanente und ubiquitäre Datenverfügbarkeit herrscht, ist das Kopieren dagegen in Verruf geraten.


Annäherungsvorschlag 2___ Kopie versus Interpretation

Das Neuschaffen eines kanonisierten Werkes – wenn es nicht als krude Täuschung für den überhitzten Kunsthandel kopiert wurde – ist immer auch vom persönlichen Blick des/der Imitierenden geprägt. Manch eine/r der beteiligten Künstler/innen kam nach ausführlichem Studieren einer Arbeit zu dem Schluss, diese wäre noch verbesserungswürdig, und schuf eine „bessere Version“: die künstlerische Appropriation als Korrekturmittel.
So stellt sich die Frage, wo die Kopie anfängt und wo die Interpretation aufhört und vice versa. Wann überwiegen die eigenen Ideen, die eigene künstlerische Handschrift? Schließlich ist die Kopie nach Dirk von Gehlen gar zu loben, wenn der Bezug offen gelegt, das Zitierte in einen neuen Kontext gestellt oder in seiner Form verändert und damit zu einer „produktiven Kopie“ wird (2).


Annäherungsvorschlag 3___Augenschule und Ideen im Test

Das „Nachempfinden“ eines Kunstwerks mit eigener Hand konstituiert einen sehr engen Kontakt zum Original. Dabei sieht der Künstler die Arbeit, die zuvor kaum mehr als eine abstrakte Inspirationsquelle war, mit neuen Augen. Wie beschrieben kommt es bei der Imitation zu mehr oder weniger bewussten Abweichungen und so wird sie auch zur Augenschule für den Betrachter, der sie mit seinem Bildergedächtnis abgleichen kann.
Gleichfalls werden die renommierten Arbeiten und die Ideen, aus denen sie entstanden sind, einem Test unterzogen. Welche Fragestellungen interessieren zeitgenössische Künstler an ihren Vorbildern? Gibt es auch hier Verschiebungen zu den ursprünglichen Intentionen?


Annäherungsvorschlag 4___Kritik des Geniegedankens

Die Ausstellung will die Idee des Genies kritisch hinterfragen, denn auch ein Genie ist nicht ohne Vorläufer und Einflüsse auf sein Werk zu denken, was schon Goethe eingestand (3). Viele künstlerische Über-Egos versuchen dies jedoch regelmäßig zu negieren, und auf dem Kunstmarkt spielt der Geniegedanke eine wichtige Rolle. Schließlich haben in der immerwährenden Gesellschaft des Spektakels Einzigartigkeit und Renommee eine besondere Anziehungskraft für jegliche Kunstkonsumenten: von Galeristen und Sammlern zu Ausstellungsmachern und -besuchern.
In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, wie die ausstellenden Künstler/innen ihre vermeintlichen „Helden“ gewählt haben. Welche Rolle spielte hier der Name, der Mythos um die Künstlerpersönlichkeit oder der Kultstatus seiner Werke? Zefrey Throwell wählte zum Beispiel mit Otto Mühl bewusst einen „Antihelden“, einen zwar bekannten, aber derzeit weniger angesagten Künstler, den er nicht als ästhetisch-künstlerisches Vorbild sieht, aber dennoch als provokanten Grenzüberschreiter schätzt.


Annäherungsvorschlag 5___Individuelle Handschrift und Schubladen-Stil

In den Kunsthochschulen wird (nicht zu unrecht) immer wieder (metaphorisch) gefordert: Tötet Euren Vater/Eure Mutter! Denn Epigonen sind nicht angesagt, schon gar nicht, wenn sie sich durch Bezugnahme auf den lehrenden Professor leicht entlarven lassen.
Auf heutigen Künstlern lastet ein großer Druck, ihren eigenen Stil zu finden und: ihn zu kultivieren. Denn hat sich dieser vermeintlich herauskristallisiert, das heißt wurde er von Galeristen und Sammlern akzeptiert, muss nun der Nachfrage genüge getan werden. Experimentieren, eine Weiterentwicklung in verschiedene Richtungen ist unerwünscht, ein Medienwechsel nur in opportunen Situationen erlaubt. Schubladen-Kunst lässt sich leichter vermarkten, ist verständlich, an den Mann/die Frau zu bringen.


Annäherungsvorschlag 6___Nichts ist mehr wahrhaftig

Dank der Omnipräsenz von Werbebildern, aber auch von gesellschaftlichen Codes und Erwartungen befinden wir uns mehr und mehr in einer oder mehreren konstruierten Parallelwelt/en. Nichts scheint mehr wahrhaftig und Außerirdische oder künftige Archäologen werden sich wohl anhand der von Steyerl untersuchten Werbedummies ein Bild von uns machen. Mit Tumblr und den Möglichkeiten des „Reblogging“ wird das Kopieren inklusive Urheberrechtsverletzung leicht gemacht. Musikdownloads – copy&paste – creative commons – Piratenpartei – selten wurden Urheberrechtsfragen so breit diskutiert und betreffen so viele Menschen wie heute.
Ohne zu urteilen, bereitet die Ausstellung eine Plattform, um Fragen zu Authentizität und Autorenschaft zu diskutieren. Jetzt scheint dies dringlicher denn je.


1) Diese Warnung stellte Hito Seyerl am 10. Juli 2013 einem Vortrag im Lichthof der Humboldt-Universität zu Berlin voran, als sie zum Phänomen des Bilder-Spam referierte.
2) Vgl. Dirk von Gehlen, Lob der Kopie, S. 22 ff.
3) Vgl. Dirk von Gehlen, Lob der Kopie, S. 18 und 24.