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CONNY BECKER
 

VERLOREN UND GEFUNDEN. FOTOS VON BEN LOKEY

Ben Lokey: Cathryn&Kylen, aus der Serie ‚Teilweise gerettete Fotografien', 2005-8, The Darkroom Gallery, New Orleans.
Ben Lokey: Roya-Malibu #520, aus der Serie ‚Teilweise gerettete Fotografien', 2005-8, The Darkroom Gallery, New Orleans.
Ben Lokey: Trailing Stardust, aus der Serie ‚Teilweise gerettete Fotografien', 2005-8, The Darkroom Gallery, New Orleans.
Vor drei Jahren öffnete die Naturkatastrophe „Katrina“ einem Fotografen die Augen und machte ihm zu einem Künstler poetisch abstrahierter Fotos.


Bis Ende August 2005 war Ben Lokey ein kommerzieller Fotograf, dessen sauber arrangierte Fotos unter anderem im Philadelphia Inquirer, der Los Angeles Weekly oder der New York Times erschienen. Dann verwüstete Hurrikan Katrina sein Haus in Ocean Springs, Mississippi, und ließ Kameras, Drucke, Fotos sowie eine komplette Negativ-Sammlung im Wasser versinken.

Beim Durchsehen seines zerstörten Lebenswerkes fand der 62-Jährige allerdings mehr als nur verklebte Dias und aufgequollene Fotografien; er entdeckte auch zarte Reste vormals festgehaltener Stars, Familienmitglieder oder sonniger Landschaften. Die Motive schienen sich mit dem Wasser verselbstständigt zu haben, hatten den Mantel des perfekten amerikanischen Portraits abgelegt und gaben – wenn auch verschwommen – den Blick auf ein zeitloses, tieferes Inneres frei.

Koproduzent schafft neue Ästhetik

Verwischt, grobkörnig und gespenstisch abstrahiert – in den Bildern ist der Hurrikan mit seinen Zerstörungen nicht fotodokumentarisch festgehalten, seine Macht wohnt ihnen dennoch inne. Man erkennt, dass er nicht wie üblich Motiv, sondern Koproduzent war und die Fotos zu zwei Zeitpunkten entstanden sind. Mal erinnern sie an romantische oder impressionistische Portraits, mal an abstrakte Farbfeldmalerei und häufig an die Fotoexperimente des frühen 20. Jahrhunderts – je nachdem wie lange und wie ungeschützt sie dem salzhaltigen Brackwasser ausgesetzt waren.

Lokey war gebannt von dieser neuen Ästhetik, die seiner Präzision und Perfektion von einst diametral entgegenstand. Er selektierte aus, reinigte Fotos, Negative und Dias vom Schmutz und verbrachte hunderte Stunden im Fotolabor, um mittels vorsichtiger Solebäder und Bearbeitung per Photoshop eine ausgewogene Mischung zwischen dem brutalen, dem Bild aber eine Seele liefernden Zufallseingriff und einer nüchtern konstruierten Komposition zu gewinnen. „Ich bevorzuge diese ‚aufgewerteten’ Fotos gegenüber ihren Originalen, weil sie die wahren Umstände des Lebens besser reflektieren,“ resümiert der Künstler. „Sie sind realistischer als die Originale.“

Tragödie mit beschränkter Perspektive

Die Naturkatastrophe hat Lokey nach eigenen Angaben „aufgeweckt“, ihm den Blick auf eine neue, erweiterte Realität freigegeben. „Vielleicht,“ spekuliert der Künstler im Interview, „müssen wir unser Gesicht einmal in den Schlamm gehalten bekommen, um zu erkennen, woraus das Leben wirklich gemacht ist: Dreck und Unordnung. Es ist scheinbar eine der definierenden Charakteristika unserer Spezies, dass wir von großen Tragödien mehr als nur das bloße Überleben lernen. Wir können in ihnen auch Erleuchtung, Schönheit, Kunst und unsere eigene Menschlichkeit finden.“

Lokey hatte somit Glück im Unglück. Die poetischen Resultate von zweieinhalb Jahren Arbeit waren dieses Jahr unter dem Titel „Lost and found“ im Contemporary Arts Center in New Orleans erstmals zu sehen, und derzeit wird er von der The Darkroom Gallery am New Orleans' Photographic Arts and Framing Center vertreten.

In diesen Tagen bleibt dennoch zu hoffen, dass der aktuelle Wirbelsturm „Gustav“ nicht wieder zu einem Hurrikan der Stufe 3 erstarkt, sondern Louisiana und Mississippi weitestgehend verschont. Schließlich ergab sich nur für wenige Bewohner der ehemals überfluteten Gebiete die Möglichkeit zu einem erfolgreichen Neuanfang: Rund 120.000 der vor drei Jahren aus New Orleans geflüchteten Menschen sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt.