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CONNY BECKER
 

ZUM BERSTEN VOLL MIT REALITÄT - ADOLPH MENZEL IN DER 6. BERLIN BIENNALE

Adolph Menzel: Sich waschender Arbeiter, 1872-1874, Bleistift auf Papier, 32,3 x 24,5 cm,
Foto: Jörg P. Anders, Courtesy bpk; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
El Anatsui: Ozone Layer and Yam Mound(s), 2010
Courtesy the Artist, Foto: Jens Ziehe, Installation am Portal der Alten Nationalgalerie
Adolph Menzel: Ungemachtes Bett, ca. 1845, Kreide, gewischt, auf grünlich-grauem Papier, 22,1 x 35,5 cm
Foto: Jörg P. Anders, Courtesy bpk; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Die 6. berlin biennale befragt heutige Wirklichkeiten und sucht dabei auch in der Alten Nationalgalerie nach Antworten.


Gold glänzend und an den Rändern zerfranst. Von vornherein ambivalent und reich an Konnotationen gibt sich der Kommentar des afrikanischen Künstlers El Anatsui derzeit an der Alten Nationalgalerie. Durch das Format an die mit Werbeplakaten verhängten Großbauprojekte Berlins erinnernd, schreibt sich die netzartige Aluminiumstruktur aus Recycling-Materialien ostentativ und doch subtil in den Berlin-Alltag ein. Ganz wie die ebenfalls großformatigen Fotos von Michael Schmidt, die im Kontext der 6. berlin biennale über die Stadt verteilt plakatiert sind. Doch nicht die augenfällige Fassadenmodifizierung El Anatsuis, „Ozone Layer and Yam Mounds“ (2010), bildet den Beitrag der Alten Nationalgalerie im Rahmen der Biennale. Es handelt sich vielmehr um eine tief im Innersten des Gebäudes sehr diskret und unprätentiös präsentierte, temporäre Ausstellung zu Adolph Menzel: „modest, but powerful“ (bescheiden, aber kraftvoll), wie sie ihr Kurator Michael Fried zur Eröffnung beschreibt.

Und tatsächlich fällt die 36 Werke umfassende Präsentation in den ohnehin Menzel gewidmeten Räumen zunächst kaum als Biennaleannex auf, abgesehen davon, dass die zusammen mit einer Ölmalerei gezeigten 30 Zeichnungen und fünf Gouachen eigentlich nicht in der Alten Nationalgalerie, sondern im Kupferstichkabinett verwahrt werden. „Bescheiden“ scheinen auch die finanziellen Mittel für die Stellwände gewesen zu sein, die auf ihrer Rückseite – aber für jedermann sichtbar – von sandgefüllten Plastiksäcken stabilisiert werden. Was in den klassizistischen Räumen der Nationalgalerie als unschöner Bruch wirkt und wie die Wahl des Mediums wohl als Berlinale-Störfaktor innerhalb der permanenten Präsentation dienen soll, entspricht allerdings völlig dem Konzept der Biennaleleiterin Kathrin Rhomberg, die mit dem Mittel der Reduktion „die Professionalität brechen“ will, um „Unmittelbarkeit herzustellen“.

Diese Art der Inszenierung, die sich vor allem auch im Hauptausstellungsort am Oranienplatz zu erkennen gibt, soll sich gegen den „genießenden Blick“ von Museumsbesuchern wenden, wirkt aber gerade nicht unprätentiös, sondern gekünstelt – ganz wie die Beschreibung als „professionelle Unprofessionalität“ es vermuten lässt. Sie ist zu dominant, lenkt von der Kunst ab, indem sie rein formale, ästhetische, die Präsentation und Kuratierung von Ausstellungen betreffende Fragestellungen aufwirft. Es sollten vor allem die Werke sein, die Kommentare zur Wirklichkeit liefern, nicht die Ausstellungsarchitektur. Zwar vermag diese Menzels Zeichnungen eher das Ambiente einer zeitgenössischen off-space show zu geben, einen solchen Effekt haben die Werke des begnadeten Autodidakten jedoch nicht nötig, um eine Aktualität für den heutigen Betrachter zu erlangen. Denn sie sind von sich aus unmittelbar, provisorisch-unvollendet und höchst gegenwärtig.

Betrachtet man etwa die Zeichnung „Sich waschender Arbeiter“ (1872-74), in der ein sich vornüber geneigter Mann die Hände über den Kopf schlägt, wird die ganze Stärke Menzels deutlich und die von Michael Fried, einem ausgewiesenen Kenner der Kunst des 19. Jahrhunderts, postulierte Einordnung als moderner Künstler nur allzu nachvollziehbar. Collagengleich arbeitet Menzel hier mal mit schneller, grober, sich an den Beinen völlig auflösender Schraffur, mal – wie auch im „Ungemachten Bett“ (1845) – äußerst detailliert in verschiedenen Grauabstufungen, und zeichnet im Wechselspiel von Licht und Schatten jede Muskelkontur nach, so dass eine Körperlichkeit neuer Ebene entsteht, die sich von dem dargestellten Gegenstand abhebt, geradezu ein Eigenleben gewinnt. Der Künstler scheint in jede Faser der betonten Schulterpartie eingedrungen zu sein, was mit dem Fried’schen Begriff der Empathie beschrieben werden kann. Dass es sich bei dem Motiv um einen Wasch- und keinen Verzweiflungsgestus handelt, wird letztlich nur durch den Titel klar, doch gerade diese Offenheit der Zeichnung, macht sie so modern, so zeitgenössisch.

Antizipation der Moderne

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts herrschte das Gefühl einer Entfremdung aufgrund der zunehmenden Industrialisierung und Technisierung, welches seitdem, gesteigert durch immer größere und schnellere Mobilität und das Wegfallen nahezu jeglicher Grenzen und Wertmaßstäbe, in der Kunst zum durchgängigen Thema geworden ist. Menzel wird in der Ausstellung als Künstler gezeigt, der diese Lebensrealität virtuos wiedergibt und auch in seiner Themenwahl sehr modern wirkt. So etwa in den aufgrund ihres ungewöhnlichen Bildausschnitts wie fotografische Schnappschüsse erscheinenden, aber sehr psychologisierten Gruppenportraits vom Beginn des 20. Jahrhunderts oder dem berühmten, der Biennale-Ausstellung benachbarten Ölbild „Das Eisenwerk“ (1872-75), in dem die Wirklichkeit einer Fabrik beinahe multisensorisch erfahrbar gemacht wird. Betrachtet man seine „Studie nach einem Hochrad“ (1890), in der nicht nur die Perspektive surreal erscheint, sondern auch separierte Reifen oder Pedale sich geradezu selbstständig gemacht haben, so wird deutlich, dass Menzel nicht nur den Futurismus, sondern auch Filme wie Modern Times von Charles Chaplin (1936) oder die beweglichen Maschinenplastiken von Jean Tinguely gedanklich vorwegnimmt.

Die Wahl, eine von Realismuskenner Michael Fried kuratierte Menzel-Ausstellung in eine Biennale zum Thema Wirklichkeit(en) zu integrieren, ist somit überzeugend, auch wenn es manchem wie ein kunsthistorisches Absichern wirken mag. Bedauerlich ist, dass ein zu großer Teil der zeitgenössischen Arbeiten den vom Kunstkritiker Edmond Duranty konstatierten „extremen Realismus“ Menzels nicht erreicht, weil der dokumentarische Charakter überwiegt und sie somit eher Realitäten repräsentieren, als diese analog Menzels Zeichnungen zu reflektieren und Leerstellen für die Imagination des Betrachters zu lassen.

Für die hiesige Museumslandschaft ist die erneute Integration in das wichtigste Ereignis für zeitgenössische Kunst in Berlin jedoch sicherlich ein Gewinn, da sie neue Aufmerksamkeiten und Beziehungen schafft, wie sie auch Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, gern selbst initiiert, etwa in der parallel zur Biennale laufende Ausstellung „Who knows tomorrow“, die nicht nur in der Alten Nationalgalerie mit der Arbeit von El Anatsui einen epochen- und länderübergreifenden Dialog bietet. Auch Kittelmann schickt mit dieser opportunistischen Aktion die Biennale-Besucher quer durch die Stadt, genauer in vier Museen der Nationalgalerie, in denen sie neben den temporären Interventionen von fünf afrikanischern Künstlern auch so manchen Berliner Schatz entdecken können. Die Begegnung mit dem außerhalb Deutschlands noch vergleichsweise wenig rezipierten Werk von Adolph Menzel wird für sie sicherlich eine Bereicherung sein.

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