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DANIEL LERGON
 

"STATES OF MATTER – ZUR WIEDERAUFNAHME DES MALEREIDISKURSES" VON URSULA MARIA PROBST

Echnaton hat in seinem berühmten Sonnen-Hymnus, den mythischen Agon von Licht und Finsternis abzulösen versucht, indem er einzig dem Licht die Qualität des Seins zusprach. In der Gnosis blieben das Licht und das Dunkel beherrscht von der symbolischen Form, wonach sie miteinander ringende Mächte sind. Licht und Finsternis bildeten in der Philosophie und Kunst Metaphern des Werdens und Vergehens, von Geburt und Tod, Erlösung und Untergang. In seinem Essay „Das Licht als Medium in der Kunst“ (1994) spannte der Kunsttheoretiker Hartmut Böhme seine wissenschaftliche Analyse von dem durch Echnaton inspirierten Höhlengleichnis Platons weiter über die durch Walter Benjamin prognostizierte „Erfahrungsarmut“ des urbanen medial- und reizüberfluteten Flaneurs bis zu den lichtdurchfluteten „perceptual cells“ von James Turrell als exterritorialen Raum. Das Licht in der Malerei fand in seinem Exkurs zu konkreten Fragestellungen von Illusion und Anti-Illusion erstaunlich wenig Resonanz. Carina Plath betont in ihrer Begriffsklärung zu „Licht und Raum“ (2002) im Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, wie der ephemere Charakter des Lichts als Durchgangsstadien für Kunst-Erfahrung dient und leitet von der Malerei Robert Irwins gleich direkt zu Licht-Installationen von Michael Asher, Dan Flavin und Olafur Eliasson über. In „Plötzlich diese Übersicht“ (2008) von Jörg Heiser wird die Leinwand der Malerei zum Terrain, um im malerischen Prozess mögliche konzeptuelle Entscheidungen durchzuspielen.
Theorienbildungen zur aktuellen Malerei zählen mit Ausnahme diverser Tendenzen zu einem Neuen Formalismus zu jenen vernachlässigten diskursiven Terrains, wo gegenüber der zeitgenössischen malerischen Praxis Aufholbedarf existiert. Als Maler reagiert Daniel Lergon auf den Mangel eines kritischen und wissenschaftlichen Diskurses zur Malerei, indem er diesen durch die inhaltliche und formale Kontextualisierung seiner Malerei mit physikalischen, astronomischen, meteorologischen Aspekten einfordert und diese in Relation zu phänomenologischen, rezeptionsästhetischen Abläufen setzt. Gegenüber dekonstruktivistischen Lesearten der Malerei, wie sie Gilles Deleuze, Jacques Derrida oder Michael Wetzel anstellten, konfrontiert uns Daniel Lergon mit deren internen und externen Gesetzmäßigkeiten elementarer bildgebender Komponenten. Das systematische Durchspielen von Abstraktionstechniken bildet einen strukturellen Aspekt seines kompositorischen Freistellens von malerischen Handlungen als rituelle Mimese im Zusammenspiel mit räumlich-installativen Vorgangsweisen. Die dadurch ausgelösten malerischen Kontradiktionen von Reflexion und Absorption konzentrieren sich nicht nur auf Strukturen oder formale Fragestellungen der Produktion, Bedeutung und Wirkung von Leinwand, Farbe, Licht oder Betrachterposition. Grenzwerte auf der Farbskala, das Sichtbarmachen von Nichtsichtbarem, die Wechselwirkung von Form und Zustand bilden Ausgangspunkte der malerischen Praxis in der Verwendung außergewöhnlicher Materialien wie retro-reflexiver Stoffe, transparenter Lacke, fluoreszierender Farben oder zu „shaped-canvas“ gerundeter Leinwände. Daniel Lergon erforscht hier infolge Systeme der Deduktion, der Produktion und Induktion malerischer Prozesse sowie Abläufe der Bildrezeption.
Der pointierte Einsatz von physikalischen und farbanalytischen Begriffen in Ausstellungstiteln wie „Oktave“ (2006), „K“ (2007), „Ultra“ (2007), „Albedo“ (2007), „Re“ (2007), „Rotating Remains“ (2008), „Cold Fire“ (2008), „Nimbi“ (2008) oder „States of Matter“ (2008) lässt sich nicht auf die Aneignung prinzipieller visueller Grundlagenforschungen oder kosmische Analogien reduzieren. Der aus der Astronomie und Meteorologie abgeleitete Begriff „Albedo“ als Maß für das Reflexionsvermögen eines Körpers – eines diffus oder direkt reflektierenden, allerdings nicht selbst leuchtenden Körpers - wird zum Titel der Ausstellung in der Galerie Andreas Huber 2007 in Wien. In „Albedo“ befinden sich zwei zu planetenartigen Kreisen gestaltete Leinwände als „shaped canvas“ in einem speziellen Winkel zueinander gestellt, sodass die Choreographie der weißen, silbernen und metallischen abstrakten Formationen in Relation zu einander tritt. Der Auftrag von Weiß in seiner Eigenschaft als „Meta“- oder „Nichtfarbe“ oder „Allesfarbe“ - ihre Neigung zur Erhabenheit grenzt sie von Farben ab – bildet einen Hinweis darauf, die Ambivalenz von „Weiß“ als Ergebnis einer differenzlosen Reflexion zu denken. In seinen „Bemerkungen über die Farben“ (1948) warf Ludwig Wittgenstein die Frage auf, wie es um die Eigenschaften der Transparenz der weißen Farbe bestellt ist und wie sich dadurch ein Dahinter eröffnet. In der Malerei von Daniel Lergon können wir insofern von einer generativen Bildgrammatik und –semantik ausgehen. Die Grundkompositionen der Werke von Daniel Lergon sind häufig kreisende Formen, Ellipsen oder Rotationsmomente. Eine eigenaktive Differenzierung der Wahrnehmung wird in Gang gesetzt, löst ein Fluktuieren, Flimmern, Schweben, ein Changieren, Distanz und Nähe erfahrbar zu gestalten, aus.
Trotz der Kenntnisse über naturwissenschaftliche Phänomene und den akribischen Einsatz von speziellen Materialien, die wiederum konkrete visuelle Strukturen auslösen, geht Daniel Lergon über ein reines Übertragungsmoment und eine formalistische Reduktion hinaus. Seine Malerei bietet Einsicht in die Verhältnisse der Darstellungsmedien, in die Brüchigkeit des Kontrakts zwischen Bild und Wirklichkeit. Malerei ist schließlich nicht die Reproduktion oder Repräsentation von Wirklichkeit, sondern die Transformation und Aneignung von Wirklichkeit in einem spezifischen historischen oder wie die Malerei von Daniel Lergon verdeutlicht, definitiv räumlichen und zeitlichen Kontext.
Unter dem Titel „States of Matter“ (2008) malt Daniel Lergon großformatige, raumgreifende Bilder, die screenartig während seiner Ausstellung die Wände der Andersen’s Contemporary, Berlin entlang verlaufen. Es sind mit durchsichtigem Lack abstrakt gemalte, pulsierende Bilder, deren großflächigen Leinwände aus retro-reflexiven Stoffen – wie sie ansonsten als High-Tech-Material für Sicherheitsbekleidung zum Einsatz gelangen - eine glänzende Leichtigkeit ausstrahlen. Das Licht bricht sich prismatisch an der Oberfläche des transparenten Lacks, wodurch der optisch reflektierende Prozess der anschwellenden Ellipsen, Trichter, Kondensstreifen- und Wellenformationen orchestriert und rhythmisch durchtaktet wirkt. Die vor dem Hintergrund eines durchgehend matten Graus durch die Lichtbrechung entstehenden farbigen Sensationen bleiben dennoch immer an der Schwelle, lassen wie ein Regenbogen atmosphärisch die Spektralfarben reflektieren und kippen nicht. Anders als in Andy Warhols Oxidationsbildern handelt es sich hier um keine chemischen Reaktionen, sondern um physikalische Überlagerungen. In „States of Matter“ bezieht sich Daniel Lergon auf die vier Aggregatzustände und setzt als Subtext Analogien zur klassischen Auffassung der Griechen von den 4 Elementen. Es sind vier Bilder, deren materielle Oberfläche und abstrakte Formen je nach Lichtsituation oder Bewegungen der Betrachter im Raum mediale Transformationen durchlaufen.
Gleichzeitig entsteht so in der Malerei von Daniel Lergon jenes Potential, das Pierre Bourdieu als „Raum des Möglichen“ bezeichnete, indem in den Prozess der Produktion und Rezeption eine fortlaufende Konstituierung von Malerei als performatives Medium einfließt. Die Malerei bewahrt sich hier die Fähigkeit, die Gegenwart zu durchstoßen. Gleichzeitig erzeugt diese Lektüre der Malerei keine Evidenz, sondern eine Interferenz. Dem gegenüber artikuliert Daniel Lergon durch den von ihm favorisierten und von Gregory Carlock als solchen definierten „Eigenraum“ die ambivalente und zwiespältige Rolle, die in der Malerei der „Figur des Betrachters“ zugeordnet ist. Doch was ist dieser Eigenraum? Er verläuft weder zentralperspektivisch, noch ist er ein Container, auch ist er nicht ontologisch als Entität bestimmbar. In der Malerei Lergons unterscheidet sich dieser „Eigenraum“ vom „realen“ Raum oder „normativen“ Bildraum, indem er durch die Verschränkung zwischen dem Körper des Betrachters, dessen induzierter/angeregter Vorstellung, Lichtreflexionen und der retro-reflexiven Stofflichkeit des entsprechenden Bildes entsteht Der Betrachter produziert durch seine Präsenz und seine Bewegung vor dem Bild diesen an der Schwelle zwischen Imagination und Realität entstehenden Raum, der über den visuell definierten Bildraum und den physikalisch definierten Ausstellungsraum als White Cube hinausgeht. Der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty schrieb in seiner Schrift „Das Sichtbare und das Unsichtbare“ (1968 posthum erschienen) davon, dass der Sehende das Gesehene nur haben kann, wenn er in ihm ist. Und dieses In-etwas-Sein wird durch den Körper ermöglicht, den Körper des Sehenden, und in der Erfahrung von Räumlichkeit. Der Stellenwert, der so dem Betrachter und folglich dem Subjekt in „States of Matter“ zugedacht wird, geht über jenen des Ausstellungsbesuchers hinaus. In seinem Status als agierender Performer existieren Parallelen zur Rolle des involvierten Betrachters im Theater, dem bereits der französische Philosoph Jacques Rancière ein reges Potential an Emanzipationsmöglichkeiten zugeschrieben hat.
In seiner Ausstellung „Nimbi“ (2008) bezieht Daniel Lergon sich auf den Heiligenschein als Synonym für die regen Wechselwirkungen zwischen Licht und malerischen Oberflächen. Die Thematisierung des Heiligenscheins als physikalischen Aspekt eines zunächst unscheinbaren Naturphänomens leitet Daniel Lergon u.a. von den wissenschaftlichen Untersuchungen Hans Joachim Schlichtings ab, der den optischen Mechanismus des Heiligenscheins durch die physikalische Brechung von Licht und die Besonderheit des Betrachterstandpunktes beschreibt. In der Ausstellung „Nimbi“ behandeln zwei unterschiedliche Bildformen dieses Thema, auf umbra-braunem Textilstoff mit Lack gemalte Bilder und ebenfalls mit Lack gemalte Bilder auf einem retroreflexiven Gewebe, das die Eigenschaft hat, das Licht in die Richtung zu reflektieren, aus der es kommt. Die Malerei auf umbra-braunem Malgrund lässt die Lackform nur zögernd hervortreten, wenn – je nach Standpunkt des Betrachters – sich Licht in den dunklen Lackflächen spiegelt und einen Imaginationsraum öffnet. Die auf retroreflexivem Gewebe gemalten Bilder lassen um den Kopf des Betrachters einen nur von ihm wahrnehmbaren Lichtkranz, eine Art Heiligenschein entstehen, wenn dieser eine Lichtquelle im Rücken hat. Eine Wechselbewegung zwischen dem Betrachter, den abstrakten Konstanten des Bildes und dem was die interne Struktur des Bildes ausmacht, tritt hervor. Daniel Lergon verändert so die Bedingungen der Rezeptionsästhetik. Es kommt zu einem Kippeffekt zwischen Bild- und Eigenwahrnehmung indem die Konturen auf der Leinwand erscheinen und somit sich Autor/Betrachter an der Schwelle des Bildes gleichzeitig als eine Art inszenatorisches Moment begegnen. Der Clou unterdessen besteht darin, wie durch diese changierende Optik eine Balance und gleichzeitige Differenzierung zwischen Bild und Betrachter und den Übergang zum Raum eintritt und dadurch ein „Paradox des Augenblicks“ wirksam wird. Eine „Anti-Repräsentation“ existiert laut Rancière auch dort, wo die Logik der Erzählung sich in eine kausal-, psycho- oder ikonologische Verkettung aufsplittet, die sich in einem über die Vernunft hinausgehenden Wissensdrang äußert. Auf eine derartig komplexe Vorgangsweise treffen wir in der Malerei von Daniel Lergon.
Damit lenkt Daniel Lergon die Aufmerksamkeit auf die Malerei als strukturellen Zeichenträger. Thesen, dass Malerei nur noch das zeigen könne, was sie von anderen Medien unterscheidet oder dass Malerei am Formenkanon der Moderne weiterarbeitet oder dass Malerei das potenzielle Medium dafür bietet, um Zitate und Referenzen aller unterschiedlicher Stile durchzusampeln, haben sich als hinfällig erwiesen. Daniel Lergon gelingt eine Verbindung von inhaltlichen und formalen Aspekten ohne sich völlig auf ein theoretisches Gerüst zu beschränken, auch wenn die wissenschaftlichen Hinweise von Daniel Lergon selbst sehr verlockend in der Aufschlüsselung seiner Bilder sind. Gilles Deleuze philosophische Kritik der Malerei in seinem Essay über Francis Bacon „The Logic of Sensation“ (1981) betonte bereits eine der wichtigsten Grundlagen der Malerei, nämlich „Malerei heißt immer einen Raum malen“ und hob dabei bereits die Arbeit der Malerei an unterschiedlichen Geschwindigkeiten hervor, sowie die Relevanz von Materie und Zeit. Peter Weibel betonte die Parallelen zwischen gemaltem Bild und Video und relativierte eine Überbetonung der Gegensätze. Daniel Lergons Malerei analysiert durch welchen Materialismus der Diskurs rund um die Malerei behaftet ist. Auf der Ebene wendet Daniel Lergon eine indexikalische Methode an, die das Material konzeptualisiert und das Konzeptuelle materialisiert.