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DANIEL LERGON
 

"SPLASH" VON MARKUES

„Kunst, das ist Gehirnschmalz im Sinne von systematischem Erforschen von Permutationen, und die richtigen Komplikationen, eingesalzen, sind dann der Genius oder Genie. Genius, das ist Schuppen und Auswählen. Denn alles kann zu Spitzen verwoben werden, das Klatschen einer Hand, ein Mann, der sich lieber rasiert, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und nicht davor, der die zarten jungen Haarspitzen abrasiert, sein Gesicht betastet während er es rasiert, bis es glatt ist wie ein Penis, denn heute ist Geschlechtstag. Wenn er nicht aufhört mit Rasieren, wird er zu spät kommen. Sein Rasierapparat wird schon unruhig, und um ihn zu warnen, fliegt er ihm wie ein Nachtfalter mit leisem Flügelklatschen aus der Hand. Aber es ist ein Sicherheitsapparat, der so entworfen ist, daß er, froststarr vor Angst, seine gegenständliche Natur nicht aufgeben kann.” – Irving Rosenthal, Sheeper, 1967 (dt. Schöps, 1969)

Um über die künstlerische Arbeit von Daniel Lergon zu schreiben, ihre Lebendigkeit und immanente Vielfalt zu erhalten und sie nicht in ältliche und vergröbernde Kategorien einzuteilen, bedarf es einer Sprache, die Modi von Kontrolle und Begriffe wie „Malerei”, „Geste” und „Freiheit”, welche genau das, was sie bezeichnen wollen, dated und muffig erscheinen lassen können, aufgibt, um sie zu betasten. Statt eines weiteren Aufgusses modernistischer Malereidiskussion schlage ich eine Perspektive vor, welche seine Kunst wie den Rasierapparat ins Wasser des Waschbeckens fallen lässt und die nach allen Seiten spritzenden Tropfen einzeln beobachtet; wie sich das Licht in ihnen bricht, bevor sie wieder eins mit der Wasseroberfläche werden oder auf dem Boden oder Rand aufschlagen. Vielleicht ist mein Instrumentarium ein Quietscheentchen, das in besagtem Waschbecken zwischen Schaumresten und Bartstoppeln umhertreibt, beobachtet und nach den Lücken, Abweichungen und Möglichkeiten fragt, die in einer solchen Praxis mit ihren verschiedenen Ebenen von Performanz liegen. Es zeigt sich – und das macht die Arbeit von Daniel zeitgenössisch und relevant –, dass sie sich zugleich innerhalb des Kunstbetriebs aufhalten und dennoch dessen Erwartungen in Bezug auf Verfügbarkeit und Kontrolle ins Leere laufen lassen kann.
Wenn ich versuche, die Werke von Daniel nicht mit klammernder Begreifbarkeit – zum Beispiel als „abstrakte Malerei” – zu beschreiben, fällt auf, dass sie sich eher durch Formen des Vorenthaltens von Informationen, durch unzulängliche Reproduzierbarkeit und zögerlich-unvollständige Wahrnehmbarkeit auszeichnen. Doch gerade Daniel selbst schickt seinem künstlerischen Output so viele physikbezogene Referenzen mit, teilt seine Werke nach Materialien in Serien ein und äußert sich selbst kaum bis gar nicht über seine Produktion, dass ich eine Prüfung dieser Rhetorik der sparsamen Klarheit sowie eine Befragung seiner künstlerischen Strategien abseits von Medienspezifik und Materialimmanenz vorschlage. Es geht also um ein „Mehr-Sehen” dessen, was augenscheinlich aussieht wie abstrakte Malerei.
Außer dem artsy CV bei den Galerien gibt es keine öffentlichen Informationen über den persönlichen Hintergrund des Künstlers. Ich möchte mich nicht über die Motivation darüber wundern oder aus der Biografie folgerichtig hergeleitete Aussagen über seine Kunst treffen – es reicht festzuhalten, dass er eher der kontrollierte Typ ist. Und eben dieser gibt keine Auskunft, entzieht sich dem Sprechzwang der Kontextfabrik; er möchte sich nichts einschreiben lassen. Die brüske Feministin in mir denkt sich, dass dies freilich nicht macht, dass diese Werke losgelöst von ihrer Situiertheit in der Welt mit ihren allerart vergeschlechtlichten Verzerrungen entstehen oder gesehen werden können. Die campy Diva in mir könnte noch ein museologisierendes Side-Eye werfen und sich denken: welche vom Aussterben bedrohte Spezies. Und tatsächlich: Daniel ist ein weißer, heterosexueller Cis-Mann, und er arbeitet auch noch alleine im Atelier – der perfekte Nährboden für männlichen Autismus. Die Kunst, die Daniel herstellt, eignet sich also auch hervorragend als Projektionsfläche für die Wut auf bürgerliche Kulturideologien.
Es ist allerdings ebenso bequem wie vorschnell, den Stream von Daniels Produktion entweder weiter zu verdreschen (obwohl es Spaß macht), ihm zärtlich bis liebevoll eine Sentenz wie „Meditation statt Ejakulation” einzumassieren (obwohl es Spaß macht) oder ihn als Warenhaus gestischer Malerei mit intellektueller Grandezza aufzudonnern. Mich interessiert eher, die Stille des Schweigens nicht als bürgerliches Understatement, sondern als Aussage in und mit der Kunst zu verstehen, die mit Worten nicht zu machen ist. Wenn Daniel sagt, dass er nicht die „authority of meaning” seiner Werke innehabe und die Nachvollziehbarkeit seiner Referenzen mit dem durchsichtigen Faden „ich weiß, dass das kein anderer sieht” in die Bildebenen einwebt, entstehen sowohl ein Selbstverständnis als auch eine Lücke, die genauere Beobachtung verdienen. Denn was sich dort aufhält, ist kein Outsourcing von Bedeutung in die Werke selbst, welches sie nur in metaphysische Vorfahrt-achten-Schilder verwandeln würden. Es ist auch keine Erwartung, welche die Betrachter_innen als Lesegeräte für die Künstlerintention degradiert. Was sich dort auftut, ist die Chance abseits von intendierter Bedeutung und jenseits einer sprachlichen Komfortzone von Interpretationen, das unaussprechbare Flüssige erstarrt zwar nicht zu hören oder zu lesen, doch zu sehen.
Um dieses Sehen zu ermöglichen, bedarf es eines Set-ups von Arbeitsbedingungen wie auch des Fehlens einer nahezu automatisierten Sprache, welche zu oft aus Pressetexten, floskelhaften Interviews oder „inspirierenden Gesprächen” bekannt ist, die diesen Produktionsfluss ermöglichen. Die Einzelwerke scheinen weniger interessant als der Flow, aus dem sie auftauchen und den sie hinter einem gemeinsamen „untitled” verbergen. Den Werkgruppen geht ein Prozess experimentartiger Materialforschung voraus, der um die aufgespannten Gewebe beinahe froststarre Versuchsanordnungen errichtet. Zudem drängt sich die Frage auf, was sich wohl alles in diesem Hinterzimmer undokumentierter Alchemie findet? Schrubber? Straußenfederstaubwedel? Baströckchen? Bei den Oxidationsbildern zum Beispiel werden die Reaktionen des metallischen Pulvers mit angesäuertem Wasser in verschiedenen Verdünnungen erprobt. Ohnehin werden für jede Serie eigene Malwerkzeuge verwendet und die Anzahl verworfener Bilder ist hoch. Trial and Error, probieren, verwerfen; die einzige Korrektur ist die Verneinung, denn ein Zu-Viel beschwert und versinkt in sich selbst. So spezifisch die Auswahl und Vorbereitung auch sein mag, so losgelöst ist sie doch von der Art der Weiterverarbeitung der Ergebnisse. Es ist ein Labor ohne Determination, die Gesten werden dessen unaussprechbare Thesen, welche sich über die unterschiedlichen Serien und Materialien fortsetzen. Geforscht wird durch Aufgeben von Geometrie und Erhabenheit – Gesten und Physik-Gossip bleiben in einem Zustand der Destabilität zueinander – zu partikulär, zu unfixiert, um zu einer großköpfigen Dialektik oder zu einer Tautologie wie „what you see is what you see” zu verschmelzen. Flapsig gesprochen sehe ich durch die Brille der Physik nur Rumgespritze und durch die Gesten nicht die Phänomene der unbelebten Umwelt – die Gesten würden fragen und die Materialien gäben keine Antwort.
Ein „Versinken-in” im Sinne von Eintauchen oder Sich-Verlieren in den Oberflächen birgt Gefahren, denn in ihnen funkeln auch das Messer von Valerie Solanas und der Rasierapparat von Sheeper. Eine Möglichkeit liegt in einem „Öffnen-von” – Daniels Werk öffnet eine ungefüllte Leere. Diese bezieht sich nicht auf einen Raum, in dem Autonomie als Losgelöst-Sein von Begriffen und der Welt verstanden wird, sondern ermöglicht im Gegenteil eine immer wieder unendlich mögliche Chance der Bezugnahme der Betrachtenden auf das Werk. Denn meines Erachtens werden die Bezüglichkeiten nicht verleugnet, verdrängt oder vereinnahmt, sondern bleiben nur unausgesprochen und landen so weder in einem die Interpretation vorgeben wollenden Inhaltismus noch in einem Missverständnis von ästhetischer Autonomie. Die Verweise werden unzählig und fluten den mytischen Ort der Intention eines Werks mit Permutationen und Komplikationen. Sie halten dem Kontext-Tsunami der Einzelnen stand, und dafür bedarf es dieser Unvereinbarkeit von „freier” Malerei, strengen physikalischen Referenzen und Stille.
In Form und Materialität der Werke setzen sich diese fehlenden Verbindungen mit ersehnten Vorgaben und Übereinkünften fort. Die Werkformen scheinen konservativ, oftmals an der Grenze zum Formalismus verweilend: die perfekt aufgespannten Gewebe auf Keilrahmen mit Farbe und virtuoser Großspurigkeit bearbeitet. Sie treten den Betrachtenden allerdings nicht mit professioneller Überwältigung gegenüber, sondern zeigen in der Wahl der Materialien und Farben eine unbedrohliche Fragilität und verschrecken nicht mit Inhalt oder Größe. Daniel zieht sich weder in den jahrhundertelang erbauten sicheren Hafen der Neutralität von Farbenlehren zurück, noch schlägt er eine individuell-mythologische Farbsemantik vor oder einen anthroposophisch verbrämten Essenzialismus; also kein Goethe, kein Rothko, kein Jarman, kein Stockmar. Die Arbeiten auf den retroreflexiven Geweben rekurrieren in keiner Weise auf eine Kategorie von Natürlichkeit. Das Gewebe sind zeitlich und sozial im Jetzt verortet; Assoziationen entfalten sich entlang eines gemeinschaftlichen Horizonts von Sicherheitswesten, Schulranzen und Sneakern. Der klare Lack, mit dem sie bearbeitet sind, taucht sie nicht in alchemistische Debatten um die eigene Herstellung. Er hindert die in das Gewebe eingearbeiteten Glasperlen daran, ihre eigene weiß-graue Farbigkeit zurückzuwerfen, er bricht das Licht vor den Augen der Betrachtenden wie eine zerflossene Linse und gibt den vermeintlich monochromen Flächen das Spektrum des Regenbogens zurück.
Im Kunstmarktsystem von Produktion–Reproduktion–Distribution sind die Bilder den Waren einer Galerie, die in Kisten gelagert, um die Welt geschifft und Museen, Banken, Wohnzimmern und Hotels aufgehängt werden können, nicht unähnlich. Diese erwartete Marktförmigkeit ruft Vorstellungen fotografischer Reproduzierbarkeit und überdauernder Zeitlichkeit an. Doch wie bereits anfangs angedeutet, lassen sich die Werke von Daniel so nicht oder nur unzulänglich fassen. Die Beschaffenheit der retroreflexiven Gewebe ändert deren Aussehen je nach Lichteinfall – eine frontale, unter Bedingungen der Reprofotografie optimale Abbildung kann deren Sparkle nicht einfangen. Daniels Arbeitsfarbraum ist größer als die Standards von CMYK im Druck und RGB am Screen. So verweist er sowohl deren technischen Reduktionismus als auch auf den seine Werke umgebenden psychosozialen Raum.
In ihrer Vielgestaltigkeit öffnen die Werke den Kunstbetrieb an Stellen, die sonst mit stumpfen Vereinbarungen gefüllt sind, ohne in einen Widerstreit zu verfallen. Es gelingt ihnen, sich simultan zu entziehen und zugewandt zu bleiben. Sie sehen frisch aus, weil sie womöglich statt einer ideologisch unhinterfragten Idee von abstrakter Malerei eher die Begriffsregister der Einzelnen mit all ihren Gedankensplittern ansprechen und die flüssige Leere der Interpretationslosigkeit nicht ersetzen. Womöglich ist das diese Großzügigkeit, die man ihnen von Beginn an ansieht. Und dabei bedarf es nicht der Antwort, ob Daniel das auch alles selbst denkt – wichtiger ist, dass er es nicht verhindert.


Markues, 2015