artmap.com
 
DANJA AKULIN
 

MIT DEM ZEICHENSTIFT KANN ICH MEHR SAGEN DIE ZEICHNUNGEN DES BERLINER KÜNSTLERS DANJA AKULIN

Warum, so wird man sich bei einer ersten Konfrontation mit den Arbeiten des, 1977 in St. Petersburg geborenen Künstlers Danja Akulin fragen, befasst sich ein Künstler ausschließlich mit der Zeichnung. Galt nicht die Zeichnung Jahrhunderte lang nur als ein Vorstadium, eine Skizze für ein zu malendes Bild oder eine zu gestaltende Skulptur, weshalb man auch von Handzeichnungen sprach? Diente sie nicht dem Künstler dazu, erste Eindrücke festzuhalten oder sich zeichnend über bestimmte Strukturen, Kompositionen und Proportionen oder Zusammenhänge grundlegend Klarheit zu verschaffen?
Tatsächlich jedoch war die Zeichnung bereits im 15. Jahrhundert als autonome künstlerische Ausdrucksmöglichkeit etabliert. Seine Doppelnatur hat dieses Mediums bis heute nicht verloren. Die Zeichnung kann sowohl zweckgerichteter Entwurf als auch eigenständig vollendete Bildidee sein.
Danja Akulin bezeichnet seine großformatigen Zeichnungen gerne und zu recht als selbstständige Kunstobjekte.

„Ich habe zunächst Bildhauerei und dann Malerei studiert, bis ich entdeckt habe, dass ich mit dem Bleistift mehr sagen kann als mit Pinsel und Farbe. Die mit einem Stift gezogene Linie ist um ein Vielfaches interessanter als eine Linie, die sich durch das Aneinanderstoßen zweier Farbflächen ergibt oder mit dem Pinsel gezogen wird. Mit ihr kann man wesentlich mehr Informationen rüberbringen“, begründet der Künstler seine Entscheidung für die Zeichnung.
Ganz im Sinne seiner ersten, in Russland erhaltenen, traditionellen Ausbildung strebte er in seinen Zeichnungen zunächst eine naturalistischen Wiedergabe des Gesehenen an, versuchte mit dem Zeichenstift eine bestimmte Räumlichkeit, die Verteilung von Licht und Schatten oder die Form und Körperlichkeit eines Gegenstandes auf dem Papier vorzutäuschen. Bevorzugt malte Danja Akulin die Gegenstände seiner Umgebung, eine Tasse, einen Stuhl, eine Flasche oder die Fensterecke in einem Raum. In extremen Bildpositionen platziert, in die linke oder untere rechte Bildecke geschoben werfen diese Gegenstände lange Schatten oder bilden kräftige dunkle Kontraste im Bild.
Auf der 2001 entstandenen Zeichnung „Stuhl“ ( 200 x 140 cm) beispielsweise ist diese überdimensional wirkende Sitzgelegenheit so an den rechten Bildrand gerückt und von einer unsichtbaren Lichtquelle beleuchtet, dass sich der aufgrund unserer Sehgewohnheit von links kommende Blick des Betrachters im Schattengerüst seiner Rückenlehne verfängt. Die aufsteigenden Diagonalen der Schattenlinien führen seinen Blick weiter zur Rückenlehne hin und von dort zur, im hellen Licht liegenden Sitzfläche des Stuhls. Es ist frappierende welche Veränderung der schlichte Stuhl durch die knappe Aussage erfährt.
Durch das Ab- und Anschwellen der Linien, die sich zu den dunkleren Schattenpartien verdichten, um an anderer Stelle mit ihre weichen Konturen in den sie umgebenden Raum hinein zu greifen, sich in ihm zu verflüchtigen scheinen, werden Gegenstand und Raum miteinander zu einer Einheit verbunden.
Ebenso minimalistisch sind die Mittel, mit denen der Künstler dem Betrachter Räumlichkeit vermittelt. Boden und Wand sind lediglich durch die Verdichtung der Linien an deren Schnittstelle voneinander geschieden.
Nicht der Stuhl in seiner Funktion als Sitzgelegenheit ist hier mehr gemeint, sondern seine reine Gegenstandsform. Obwohl er mit größtmöglicher Gegenstandsnähe gezeichnet ist, ist er seiner funktionalen Gegenständlichkeit entrückt, nicht mehr Stuhl sondern Objekt der ästhetischen Auseinandersetzung.

Es liegt im Wesen der Zeichnung, dass sie den Künstler dazu zwingt, das Gesehene auf das Wesentliche, man könnte sagen, auf das lineare Grundgerüst eines Gegenstandes zu konzentrieren. Sich auf Licht und Schatten als Hell/Dunkel beschränkend muss die Zeichnung ohne bunte Farbe auskommen. „Aus dem optischen Übermaß der wirklichen Erscheinungen“ muss sie das Wesentliche gezielt herausfiltern, es abstrahieren und zu einer konzentrierten Aussage zusammenfassen.
Daher ist die Zeichnung in sich schon eine Reduktion.
Diese Reduktion treibt Danja Akulin in seinen Zeichnungen jedoch noch weiter voran, wenn er von den Zeichnungen einer Fensterwand in einer späteren Arbeitsphase nur das Fensterkreuz zum Bildgegenstand macht.
In der Serie „Fenster“, die in den Jahren 2003 und 2004 entstanden ist, variiert er Position und Helligkeitsgrad dieses minimalistischen Bildgegenstandes und spielt mit der
Figur- Grundproblematik, indem er das Fensterkreuz einmal als dunkles Liniengerüst auf hellem Grund, ein anderes Mal als lichten Raum vor dunklem Hintergrund auf der Bildfläche erscheinen lässt.
Durch die Verschiebung der beiden Kreuzbalken aus dem Bildzentrum heraus an den jeweiligen rechten oder linken Bildrand und die Verlagerung des horizontalen Querbalkens nach oben, erzielt er, mit visuellen Phänomen spielend, eine Veränderung der Wirkung des Bildformates. Je nach Position des Kreuzes erscheint dieses dem Betrachter als lang gestrecktes, rechteckiges Hochformat oder als breiteres Hochformat.
Ähnlich minimalistisch geht er auch bei einer weiteren Serie, mit dem Titel „Drei Zimmer“ vor.
Bei all diesen Arbeiten fallen die den Bildgrund bestimmenden Strukturen besonders ins Auge. Sie gehen auf den Arbeitsprozess zurück und sind von großer Bedeutung für die Wirkung der Zeichnungen.
Die Bildträger für die Zeichnungen Danja Akulins sind auf Leinwand aufgeklebte, mit lichtempfindlicher Fotoemulsion überzogene und belichtete Zeichenpapiere. Die, auf dieser so vorbereiteten Oberfläche aufgetragenen Bleistift-, Kohle- oder Sepiazeichnungen lassen sich durch Weglöschen, Radieren und Wegkratzen verändern und gestalten. Auf diese Weise entstehen auch die feinen Strukturen der Bildflächen.
Man muss die Zeichnungen Original gesehen haben, um die ästhetische Wirkung dieser Strukturen erfahren zu können. Keine Reproduktion kann die Feinheit der Arbeiten in Struktur und Linienführung annähernd exakt wiedergeben.
Von großer Bedeutung für die Wirkung der Zeichnungen ist auch das Format. Denn, ohne es sich bewusst zu machen, neigt der Betrachter gerade bei Zeichnungen dazu, die Formate der Reproduktionen in Büchern oder Zeitschriften für die Originalgröße zu halten.
Die von Danja Akulin verwendeten Formate bewegen sich zwischen 50 x 50 cm und 180 X 120 cm! Das wird bei der Betrachtung einer Reproduktion leicht übersehen.

Danja Akulin jüngstes Projekt, an dem er zurzeit noch arbeitet, ist eine Serie von ca. 15, überwiegend quadratischen Bildern, bei denen er Symbole unseres Alltags herausgreift und sie zum Gegenstand seiner Zeichnungen macht.
Diese Symbole, die uns überall im Alltag begegnen, sind Reduktionen unserer Sprache.
Ein Beispiel hierfür ist der schrägt ins Bild gesetzte Haken in der Zeichnung „Erledigt“, (145 x 145), 2006. Gemeint ist zunächst der Haken, den man an eine Notiz macht, wenn man die die darauf vermerkte Angelegenheit erledigt hat. Je nach Notiz, an der dieser Haken angebracht wird, ändert sich seine Bedeutung. Im weitesten Fall übertragen wir dieses „erledigt Sein“ auch auf Menschen oder Handlungsabläufe. Dies spiegelt sich z.B. in der Aussage: „ Mach einen Haken dran“.
Für Danja Akulin ist die Serie der 15 Symbol – Zeichnungen „ wie ein Gedicht in unserer neuen Sprache, ergeben die einzelnen Symbole ein neues Alphabet, das die alte Sprache zunehmend ersetzt.“
Indem er Symbole wie das Zeichen der Deutschen Bank, die Zeichen für Ausgang (Exit) oder „Erste Hilfe“ zu Gegenständen seiner Bilder macht, werden sie zu ästhetischen Kunstobjekten.
In der zeichnerischen Umsetzung und Überhöhung soll dem Betrachter die ganze Vorstellungskraft, der Wort- und Sprachschatz, der diesen Symbolen zugrunde liegt, den wir bei ihrer Betrachtung mitdenken müssten, bewusst werden. Das zweckgerichtet Symbol wird Grundlage einer graphisch reduzierten und konzentrierten Bildidee und entfaltet dadurch seinen künstlerischen Eigenwert.
Das alle geschieht nur mit Hilfe eines Stiftes „von HB bis 6b, oder extra hart bzw. weich für eine gerade, gekrümmte, zitternde oder strenge Linie als Kontur für eine Gegenstand oder für irgendetwas anderes, oder als Ausfüllung einer Fläche, eines Gegenstandes oder einer Landschaft oder einer Stimmung“, schreibt Georg Baselitz in einem kurzen Kommentar zu den Arbeiten seines Schülers Danja Akulin.
Besser kann man es nicht formulieren.

Dr. Ulrike Fuchs