KO-PRODUKTION GESPRÄCH MIT MARIUS BABIAS, NEUER DIREKTOR DES N.B.K.
Abbildung aus: M. Babias, Die Spur der Revolte. Kunstentwicklung und Geschichtspolitik im neuen Berlin, Köln 2006, Bildteil
MB: Was du zitierst, bezieht sich auf einen historischen Abschnitt, den ich aus individueller, vielleicht zugespitzter Perspektive als kritischer Begleiter dieser Szenen niedergeschrieben habe. Das war aber nicht im Sinne eines Testaments oder im Sinne einer Kehrtwende gemeint, damit ich danach in die bürgerliche Welt eintauchen kann. Die Legitimation für mein Handeln beziehe ich nicht ausschließlich aus der Vergangenheit oder aus rein privaten Erfahrungen. Die Tätigkeit im n.b.k. ist eine weitere Variable eines generellen Interesses an kultureller Produktion, nur auf anderer Ebene, diesmal nicht auf der Ebene der Selbstorganisation und des Prekären, wo aus sich selbst und den limitierten Mitteln der KombattantInnen heraus etwas zustande kommt. Nachdem man die nicht-institutionellen Erfahrungsräume durchschritten hat, kommen die nächsten Erfahrungsräume, und die sind institutionell. Dann stellt sich die Frage, wie man den subjektiven Erfahrungsapparat anwenden und den institutionellen Raum durchdringen kann. Ich sehe diesen konstruierten Widerspruch nicht, dass man aus dem System heraus das System nicht formieren oder verändern könne.
DM: Vor dem Hintergrund deiner Berlin-Analyse gefragt: Inwiefern wird heute der Begriff der Institution einer Befragung von dir als neuer n.b.k.-Direktor unterzogen?
MB: Für mich sind institutionelle Räume immer öffentliche Räume. Damit möchte ich den Dichotomien von Innen-Außen, Subjektiv-Objektiv, Öffentlich-Privat entkommen. Das sind Polarisierungen, die ein sehr spezielles Berliner Denken oder sagen wir ein kodiertes alt-linkes Denken geprägt haben. Das dichotomistische Weltbild hat seine Gültigkeit verloren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für Berlin war es der Fall der Mauer, der zur Erosion geführt hat. Die Personenkreise, die in einer Retro-Haltung und in einem manichäischen Weltbild verharren, haben sich irgendwann selbst marginalisiert. Das ist sicher ein Grund für die Zersplitterung. Der andere ist, dass die linken Utopien angesichts der großen politischen Veränderungen nicht mehr auf ein Theoriemodell zurückgeführt werden können, das konsistent genug wäre, diesen Wandel zu erklären oder den Zusammenbruch des Staatssozialismus aufzufangen. Es gibt kein konsistentes Theoriegebäude, unter das sich die fragmentierten Subjekte stellen und so etwas wie eine neue Jugendbewegung hätten hervorbringen können. Das konnte nur im neo-liberalen Feld passieren, sprich Love-Parade. In diesem Feld ist eine Massenbewegung sehr wohl zustande gekommen, aber nicht im kritisch-linken Milieu.
MF: Verbirgt sich dahinter die Idee der recht diplomatischen Verbindung von „bürgerschaftlich-demokratischer“ Gedanken mit „künstlerisch-existenziellen“ Fragestellungen, die du vor kurzem selbst formuliert hast?
MB: Das ist gar nicht so diplomatisch, wie es klingt. Welche Handlungsoptionen sind denn in einer neo-liberalen oder globalisierten Welt noch möglich? Im Zeitalter der Globalisierung, da alles fließt und flowtet, da Grenzziehungen innwärts wandern und Dichotomien nicht mehr das Denken bestimmen, ist das aktive Handeln jedes einzelnen Bürgers ein wichtiges Gut geworden. Der eine ist vielleicht emphatischer unterwegs, setzt sich für unterprivilegierte Menschengruppen ein. Der andere ist vielleicht ein Mäzen oder stiller Sympathisant und setzt sich auf andere Weise ein. Engagement ist ein wichtiges Gut geworden, ein Gut, das ein Kunstverein ganz anders bündeln kann als beispielsweise ein Museum. Ein Kunstverein ist die Verabredung einer bestimmten Anzahl von Menschen, die freiwillig und ehrenamtlich durch ihren Beitrag im Dienste der Öffentlichkeit eine kulturelle Hervorbringung leisten, ohne finanziell entlohnt zu werden. Das ist eine nicht zu unterschätzende Handlungsoption, die dem Einzelnen im kulturellen Feld bleibt. Als andere Variante des kulturellen Engagements bietet sich das Kulturstaatsprinzip an; in der Praxis allerdings entzieht sich der Staat immer mehr seiner Verantwortung für die Kultur, obwohl ihn das Grundgesetz dazu verpflichtet – mit der Folge, dass sich das Museum an Sammler und Sponsoren ausliefert, die diktieren, was ausgestellt wird. Dann fährt man Mainstream-Programme, weil die angeblich beim Publikum besser ankommen und dadurch die Besucherzahlen steigen. In einem solchen Set ist ein bürgerschaftlich organisierter Verein umso wichtiger geworden. So gewinnt er neue Legitimität und Handlungsräume, wird unabhängiger von Partikularinteressen, weniger anfällig für Kompromisse. Wir im n.b.k. wollen auf substantielle Programme setzen. Wir setzen auf die Kontinuität unserer Ausstellungen und unserer beiden Sammlungen, dem Video-Forum und der Artothek.
DM: Das führt zu der Frage nach den Handlungsmodulen. Welche hast du, diese neue Legitimation zu ermöglichen? Wie willst du die Öffentlichkeit aktivieren?
MB: Das bestehende Profil der beiden Sammlungen sowie der Ausstellungen muss gestärkt und noch öffentlicher werden. Ab Sommer 2008, wenn ich mein erstes Ausstellungsprojekt mit Silke Wagner realisiere, wird sich der n.b.k. auch räumlich anders präsentieren als bislang. Das Video-Forum wandert nach unten und bekommt physisch einen Raum, der für alle BesucherInnen zugänglich ist. Es wird eine Video-Präsenzbibliothek, Screenings, kleine und größere Veranstaltungen um das Video-Forum herum geben. Eine Aufwertung und Verankerung in der Idee des demokratischen Bildungsgedankens soll auch die Sammlung der Artothek erhalten. Die Ausleih-Bestände sollen neu sortiert und präsentiert werden, nach wechselnden Schwerpunkten. Die MitarbeiterInnen sollen noch aktiver die Kunst an die BesucherInnen und an die Öffentlichkeit vermitteln, auch direkt in Schulen, Einrichtungen und Betrieben.
MF: Dahinter verbirgt sich dann so eine Art Bildungsauftrag.
MB: Dahinter steht ein Bildungsideal, nicht das Schiller'sche Ideal, das das Menschengeschlecht kulturell veredeln will; dahinter steht ein Bildungsideal, das kritisch auf die Welt schaut. Dahinter steht die Idee der geistigen Teilhabe an kulturellen Prozessen, die sich gegen die Vorstellung richtet, Kultur sei ein Konsumartikel.
MF: Wie wird sich deine Rolle als multipler Kunstvermittler mit den Anteilen Kunstkritik, Ausstellungsorganisation und Lehre im Rahmen der Direktorenstelle mit all den repräsentativen Aufgaben verändern?
MB: In die neue Architektur des n.b.k. fließen meine Erfahrungen als kuratierendes, lehrendes, schreibendes Subjekt ein. Entsprechend versuche ich zwischen diesen drei Bereichen ein sinnfälliges Mengenverhältnis zu finden. Es soll nicht zu viel Diskurs und zu wenig Ausstellungen geben, mein Verständnis von Projektarbeit wird bestimmt durch die Verbindung des handwerklichen, diskursiven und ästhetischen Feldes – in Zusammenarbeit mit dem Team, mit den KünstlerInnen und unseren Partnern. Allein kann man gar nichts erreichen. Neben der geplanten Kooperation mit der UdK werden wir in Kooperation mit der Gartenstadt Atlantic ein kleines Residency-Programm gründen, wir planen die Verfügbarkeit eines Raums außerhalb des n.b.k., allerdings kein klassisches Künstler-Stipendium. Mir schwebt eher das Stadtschreiber-Modell aus der Literatur vor: Man lädt nicht nur KünstlerInnen ein, sondern auch AutorInnen, WissenschaftlerInnen und KuratorInnen für eine gewisse Zeit ein, um es ihnen zu ermöglichen, in dieser Stadt zu leben und an einem Projekt zu arbeiten. Parallel zu dieser Werkstatt-Situation entsteht dann hoffentlich eine neue temporäre Lebensform.
DM: Welche Strategien der Meinungsproduktion willst du für die Programmierung des n.b.k. anwenden? Ich würde dabei gerne das von dir oft kritisierte „konsumistische“ Verhalten in die Frage einbeziehen.
MB: Die NutzerInnen der Artothek oder des Video-Forums kommen nicht, wie in anderen stadtbekannten Institutionen, als Party-Publikum zu uns. Die BesucherInnen kommen in den n.b.k. mit der Zielgabe, ein Gespräch zu führen, ein Kunstwerk auszuleihen, Videos zu sichten, sich weiterzubilden und geistig teilzuhaben. Sie kommen nicht auf einen schnellen symbolischen Tauschhandel vorbei, sondern um sich zu informieren, sie wollen betreut und einbezogen werden. Das ist eine ganz andere Form von Ko-Produktion zwischen Institution und Publikum, als es bei einem Party-Publikum der Fall ist, welches durch die Stadt zieht, um Ausstellungen oder Ausstellungsinhalte zu konsumieren. Und weil du mich nach dem Bildungsideal gefragt hast: Wir adressieren eine Öffentlichkeit, die weit über das Party-Publikum hinausgeht. Wir adressieren ein Publikum, das sich nicht ausschließlich über symbolische Tauschverhältnisse definiert, sondern über Ko-Produktionsverhältnisse, die über den Tausch von Hippness, Party oder Konsum hinausreichen, indem ich meinen Körper irgendwohin trage, meine Augen auf einem Objekt ruhen lasse und meinen Stimmapparat zu einem Party-Gespräch aktiviere. Hierher in den n.b.k. kommt man, um mit der Institution – mit den Personen, die die Inhalte vermitteln – eine Form von Ko-Produktion einzugehen und zurückspielen. Darin liegt mein Bildungsansatz.
MF: Wie lassen sich deine neuen Vorstellungen von diesem Bildungsauftrag mit deinen früheren von Peripherie im Sinne von Subkulturen, Gegenkulturen, nicht-institutionellen Orten in Einklang bringen; oder interessiert dich die Nähe zur Brunnenstrasse nicht ?
MB: Die Nähe zur Brunnenstrasse mit ihren nicht-kommerziellen oder halb-kommerziellen Produktionsräumen ist mir sympathisch. Das „Gegenkulturelle“ ist für mich allerdings kein Selbstläufer. Oft genug wird „Gegenkultur“ als eine Art Ornament instrumentalisiert, als identitärer Füllstoff ohne Rückbezug zum eigenen Leben. Tom Wolfe hat dafür den Begriff „Radical Chic“ geprägt. Das Periphere beinhaltet nicht zwangsläufig das positiv besetzte Dagegen-Sein, es kann oftmals Kalkül oder Ausdruck des ungelebten Lebens sein, wie der Kunstkritiker Wolfgang Max Faust einmal formulierte. Andererseits ist sehr wohl denkbar, dass selbst mitten im Herzen der Finsternis das Irreguläre politisch wirken kann, so zumindest lese ich Joseph Conrad. Die Konstruktion der Zentrum-Peripherie-Dichotomie erscheint mir nicht mehr sinnfällig zu sein. Man kann nicht mehr das „Gegenkulturelle“ für sich reklamieren, wo doch dieses Lebensmodell so offenkundig absorbiert ist. Es könnte eine Falle sein, die man sich selbst stellt; letztlich wahrscheinlich auch ein Marktphänomen. Wenn ich diese Behauptung falsifizieren wollte, könnte ich den Super-Hype-Künstler ausstellen und dazu behaupten, dass ich hier den Hero des Undergrounds in den n.b.k. setze. Das würde dieselbe Logik bedienen.
DM: Wenn man das Konzept der Radikalen Demokratie einmal auf die Kunst anwendet: Welche Display- bzw. Ausstellungs-Modelle hältst du aktuell für aufschlussreich und komplex genug, dem Antagonismus zwischen Kunst als Verkaufsware und Kunst als kritischem Reflexionsinstrument zu begegnen?
MB: Es gibt eine politische Denkbewegung, die zu bestimmten Denk-Displays führt, die wiederum mein Denken beeinflussen. Das ist die Vorstellung eines transkulturellen öffentlichen Raums, der außerhalb des Nationalstaates entsteht. Diesen Raum teilt man potentiell auch mit Leuten in Paris, London oder Bukarest, ein Raum, der das Modell der essentialistischen Identitätszuschreibung zurückweist und an seine Stelle das Konzept der affektiven Arbeit als postindustrielles, postfordistisches, prekäres Subjekt setzt. Das Leben ist kein Fundament und keine Essenz, sondern Produktion. Mich interessiert, Übersetzungsformeln dafür zu finden und als sinnfällige Angebote zur Teilhabe für die Öffentlichkeit modellhaft verfügbar zu machen.
Das Gespräch führten Melanie Franke und Doreen Mende, Berlin Dezember 2007.