ÜBERTRAGUNG UND LIEBE
Die Begegnung ist für Ulf Aminde Bedingung und Beginn des künstlerischen Arbeitsprozesses. Dass er als Regisseur von Theater- und Performanceprojekten und Filmen unumgänglich mit anderen Menschen arbeitet, begründet nur unzureichend die elementare Notwendigkeit, mit der er auf einem Gegenüber beharrt, dessen Begehren er sich aussetzt und das er mit dem seinigen konfrontiert. Die Rolle desjenigen, der eine Inszenierung erschafft und in Gang setzt, erscheint daher nicht so sehr als erforderliche Voraussetzung, sondern vielmehr als Resultat dieser Notwendigkeit.
Vorgehen
Aminde begibt sich häufig in den öffentlichen Raum und sucht Menschen auf, die sich dort aufhalten. Für sie und mit ihnen entwirft er Settings, die als gemeinsame Versuchsanordnungen fungieren und Impulsgeber / Auslöser für das weitere Geschehen sind. Was genau passieren wird, ist ungewiss, und die Vereinbarung lautet, dass sich alle gleichermaßen dem Unvorhersehbaren öffnen müssen.
Amindes aktuelle Arbeit besteht aus zwei Teilen. Zuerst wird er selbst auf die Straße gehen, um dort durch singen und schnorren für seine Ausstellung an ‚freies‘ Geld zu kommen, das nicht Teil des Stipendiums und damit des institutionellen Kreislaufs und dessen Abhängigkeitsstrukturen ist. Durch reale Arbeit erwirtschaftet er einen pekuniären Mehrwert, den er aufgrund der staatlichen Förderung nicht bräuchte, der also überschüssig, ist, ‚frei‘.
Zugleich ist diese Aktion natürlich ebenso eine Performance, und wird als solche filmisch dokumentiert. Das Video verdeutlicht das strukturelle Moment des Experiments; im Moment der Begegnung gehen Passant und Künstler eine Beziehung zueinander ein, indem sie sich das Bedürfnis gesehen und anerkannt zu werden, spiegeln. Einer gibt und ein anderer nimmt, einer hat und der andere braucht. Derjenige, der etwas geben möchte, braucht den, der etwas haben will und umgekehrt. In dieser Verstrickung sind beide aufeinander angewiesen.
Dieses Geld will Aminde im zweiten Teil verwenden, um eine Prostituierte dafür zu bezahlen, dass sie für ihn singt. Auch hier stellt er wieder ein Tauschverhältnis her, bei dem es allerdings um weit mehr als die Befriedigung körperlichen Begehrens geht. Indem Aminde die Prostituierte nicht für Sex bezahlt, sondern fürs Singen, verschiebt er den Fokus auf die die nicht ausgesprochenen Anteile des Geschäfts, wie sie beispielsweise im Ausdruck der „käuflichen Liebe“ anklingen. Der Kunde bezahlt die Prostituierte dafür, dass sie ihm für eine kurze Zeit (die Illusion) Nähe und Intimität schenkt; sie lässt sich dafür bezahlen, dass sie sich für diese Projektion zur Verfügung stellt. Wenn sie nun singt, hofft Aminde darauf, dass durch ihre Stimme und deren Ausdruck ihr eigenes Begehren freigelegt wird.
Schlussfolgerung
Mit dem Herstellen solcher Situationen zielt Ulf Aminde auf einen Vorgang ab, der in der Psychoanalyse ‚Übertragung‘ genannt wird. Die Struktur dieses Aufeinandertreffens von „Menschen an der Grenze zur Krise“, wie er seine Vorgehensweise beschreibt, entspricht einer Pendelbewegung, in der er sich zugleich radikal selbst ins Zentrum des Werks setzt und in der er sich der Unvorhersehbarkeit seiner Verwirklichung ausliefert. ‚Übertragung‘ beschreibt das Ereignis des ‚Dazwischen‘, und sie gelingt nur, wenn der Einzelne sein Begehren auf sein jeweiliges Gegenüber projiziert und umgekehrt. Im Raum einer solchen glückenden Übertragung entsteht Liebe. Und nur dort liegt Wahrheit.