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ELLEN BLUMENSTEIN
 

UN TEATRO SIN TEATRO, MUSEU D'ART CONTEMPORANI DE BARCELONA

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Vorstellung davon, was sich unter dem Begriff „Theater“ verstehen lässt, erheblich erweitert. Während zwar nach wie vor alles, was mit der Institution Theater (und ihren Inszenierungen) in Verbindung steht unter dem Begriff der „Theatralität“ gefasst werden kann, lässt sich dieser inzwischen auch allgemeiner als ein „spezifischer Modus der Zeichenverwendung durch Produzenten und Rezipienten, der menschliche Körper und die Objekte ihrer Umwelt in theatrale Zeichen verwandelt“ definieren.#A1 Wenn in diesem Sinne sowohl eine Ausstellungssituation wie auch reale Alltagssituationen prinzipiell als theatral wahrgenommen werden können, dann können Theatralitätskonzepte ohne Zweifel sowohl zu aktuellen Diskussionen um ästhetische Wahrnehmung wie auch zu gesellschaftspolitischen Debatten um zeitgenössische Subjektivität beitragen. In beiden Fällen ist das entscheidende Moment die Aktivierung des Betrachtersubjektes. Im Sinne des Rancière’schen „emanzipierten Betrachters“#A2 wird der Fokus sowohl in der Ausstellungssituation wie auch im Alltag auf die Handlungsmöglichkeiten und die Verantwortlichkeit des Einzelnen gerichtet.
So scheint es wenig verwunderlich, dass sich in diesem Jahr gleich mehrere Museumsausstellungen mit dem Thema „Theater und Kunst“ beschäftigen. Mit der Ausstellung „A Theater Without Theater“ widmete sich das MACBA in Barcelona den „dramatischen Wurzeln der Kunst als konstitutives Element der westlichen Moderne“.#A3 Dabei ging es zum einen darum, die Geschichte der Berührungen und Überschneidungen von Kunst und Theater im 20. Jahrhundert zu erzählen. Zum anderen wollten die Ausstellungsmacher die Bedeutungsverschiebungen des Begriffes von Theatralität selbst nachvollziehen und sichtbar machen und ließen ausgewählte Exponate exemplarisch für theoretische Debatten einstehen.
Die Veröffentlichung des Artikels „Art and Objecthood“ von Michael Fried (1967) wird in diesem Sinne als Ereignis verstanden, das einen Perspektivenwechsel hin zum Betrachter ausgelöst hat. Etwa zur gleichen Zeit wie auch in den anderen Kunstgattungen der Zuschauer in den Mittelpunkt rückte, löste Fried in Bezug auf die Minimal Art und ihre Nachfolger eine Debatte über deren „Theatralität“ – was hier eben meint: den konstitutiven Einbezug des Betrachters – aus. Was Frieds Vorwurf ex negativo so produktiv gemacht hat, war die Erkenntnis, dass tatsächlich das modernistische Diktum der autonomen Kunst überholt war und seither Künstler/innen wie Betrachter/innen sich mit der performativen Struktur von Werken beschäftigen müssen. Insofern sind die wenigen ausgestellten Werke der Minimalisten, Konzeptualisten und anderen besonders im Hinblick auf ihre performativen Qualitäten zu betrachten. Während die Minimalisten die theatrale Beschaffenheit ihrer Objekte selbst noch negierten, wendeten sich die Künstler der nächsten Generation bewusst diesem Thema zu. So konzentriert sich die Auswahl aus Michelangelo Pistolettos Werkzyklus „Ogetti in Meno“ auf dessen Spiegelobjekte. Im Spiegel (vertikal, als runde Scheibe auf dem Boden, oder horizontal, als Zitat eines freistehenden Schlafzimmerspiegels) werden Raum und Betrachter verdoppelt: das schauende Subjekt ist konfrontiert mit dem auf es selbst zurückgeworfenen Blick, der aus dem Raum heraus und gleichzeitig in ihn hinein führt. Hinter dem gespiegelten Betrachter scheint der in dessen Rücken liegende Ausstellungsraum auf, so dass sowohl der Bereich, der im, wie der, der außerhalb des Blickfelds liegt, gleichzeitig gesehen werden kann. Die Wahrnehmung wird also auf die Ausstellungsbedingungen und die Subjektposition innerhalb dieser Konstellation gelenkt. Leider scheinen die Kuratoren die eigens ins Spiel gebrachte Dimension der Theatralität der Ausstellungssituation im Anschluss selbst aus dem Blick zu verlieren. Anstatt das Zusammenspiel der Einzelpositionen im Raum ins Zentrum zu rücken und den bereits begonnenen Diskurs weiter zu verfolgen, bricht diese Strategie in der Folge abrupt ab.
Besser nachvollziehbar erscheint die zweite Stossrichtung der Ausstellung, die die Berührungs- und Überschneidungsmomente von Kunst und Theater im 20. Jahrhundert in den Blick nimmt. Die Rekonstruktion der „Reifentänze Installation“ (1927) von Oskar Schlemmer und das Modell von Schwitters’ „Normalbühne Merz“ (Nachbau 1984) eröffnen den Parcours. Auch die Originaldokumente der Manifeste von Dada und Futurismus belegen beeindruckend, wie die Künstler der historischen Avantgarden in ihrer Auflehnung gegen die bürgerliche Gesellschaft der 20er Jahre im und für das Theater gearbeitet haben und damit nicht nur das Theater selbst, sondern auch die Möglichkeiten und Mittel der Kunst entscheidend veränderten und erweiterten.
Während in den zwanziger Jahren die Bühne als in sich geschlossene Einheit noch nicht in Frage gestellt wurde, sondern die wichtige Verschiebung von referenziellen hin zu performativen Funktionen der Aufführungen stattgefunden hatte, eroberten künstlerische Praktiken der 50er und 60er Jahre den sozialen Raum. So machten Fluxus, Happenings und Wiener Aktionismus den Zuschauer zum konstitutiven Element ihrer „Life Acts“.
Vor diesem Hintergrund wird auch die Entstehung des Genres „Performance Art“ in die Erzählung der Ausstellung eingebunden. Hier zeigten sich jedoch die Versäumnisse der Ausstellung. Zwar gibt es einen Film zur Situationistischen Internationale von Guy Debord, und auch die holländischen Provos werden dokumentiert, es taucht jedoch (keine der anderen zahlreichen aktivistischen Gruppierungen auf. Auch kommen Allan Kaprow, Yves Klein und Otto Mühl in der Ausstellung zwar vor, werden jedoch weder kontextualisiert noch aufeinander bezogen. Zentrale Protagonisten wie Marina Abramovic, Vito Acconci oder Nam June Paik, wie auch wichtige Positionen aus Musik und Tanz wie Laurie Anderson, Merce Cunningham oder Trisha Brown werden nicht gezeigt bzw. erwähnt. Dabei hätte ein Verweis Künstlerinnen wie Laurie Anderson, Merce Cunningham oder Trisha Brown möglicherweise bereits gereicht. Vertreterinnen feministischer Positionen, ohne die die Entwicklungsgeschichte der Performance nicht denkbar ist, wie Yoko Ono, Carolee Schneemann, Adrian Piper, Hannah Wilke, Mary Kelly oder gar jüngere Positionen wie Janine Antoni oder Tania Bruguera – um nur einige zu nennen – sind überhaupt nicht vertreten.
Insgesamt fehlt in der Ausstellung das letzte Drittel des Jahrhunderts, in dem sich die Installation Art als eigenes Genre etabliert hat. Was in den 60er und 70er Jahren als „live-Erfahrung“ aus dem Theater in den Kunstkontext übernommen worden war und aus dem Museum heraus geführt hatte, wurde mit ihr wieder in den Ausstellungsraum zurück überführt.
Besser, die Ausstellungsmacher hätten nur den einen der beiden thematischen Stränge verfolgt. So verliert sich die Schau darin, die bekannten und bereits hinlänglich diskutierten historischen Zusammenhänge von Kunst- und Theatergeschichte nachzuvollziehen, anstatt die Theatralität – die sich ja, wie die Kuratoren selbst argumentieren, längst von der Institution Theater gelöst hat – und damit das Interesse am Subjekt im Blick zu behalten.

Anmerkung:
A1 Erika Fischer-Lichte, "Inszenierung und Theatralität", in: Inszenierungsgesellschaft, Herbert Willems und Martin Jurga (Hg.), Opladen, 1998, S. 81-9A0. S. 86
A2 Jacques Ranciere, „The emacipated spectator“, at the opening of the 5th international summer academy in Frankfurt on August 20, 2004.
A3 Pressetext MacBA, Übersetzung der Autorin