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GUNNAR LUETZOW
 

DAS UNBEKANNTE MALEN

Tyra Tingleff: "Blurred", oil on raw linen, 100 x 85 cm, 2013. Photographer: Victor Staaf. Copyright Tyra Tingleff.
Die junge Norwegerin Tyra Tingleff versucht sich auf der Suche nach sprachlosem Staunen in Berlin an einer Neuerfindung der abstrakten Malerei

Berlin bleibt bunt. Das ist nirgendwo deutlicher als im einst roten Wedding, wo sich in den früher von den Berliner Verkehrsbetrieben genutzten Uferhallen eine internationale Künstlercommunity angesiedelt hat. Versteckt zwischen den Studios von Größen wie John Bock und Monika Bonvicini arbeitet in einem Hinterhof die junge norwegische Künstlerin Tyra Tingleff, die zwischen London, Oslo und Berlin oszilliert und sich mit wachsendem Erfolg am Erbe der Abstraktion versucht. Doch bevor man sich auf den langen Marsch durch den berüchtigten Gesundbrunnen-Kiez begibt, lohnt es, sich an Tyra Tingleffs ersten Berliner Auftritt zu erinnern. Vor vier Jahren waren ihre Arbeiten erstmals im "Freien Museum Berlin" an der Potsdamer Straße zu sehen. Dort im Rahmen der Ausstellung "Erasing Darkness" zu entdecken: Verstörende figurative Malereien auf rohem Untergrund, die Fans von Francis Bacon gefallen hätten.

Inzwischen jedoch die drastische Wendung: Reduziert auf kryptische Chiffren, die hinter Farbschleiern verschwinden oder frei schwebende Formfragmente scheint die Ausdrucksform der am Londoner Royal College of Arts ausgebildeten Malerin eine Kehrtwende genommen zu haben. Warum? Ihr gehe es um die "spontane, niemals planbare Interaktion mit dem Werk", die sich als langwieriger, manchmal monatelanger Prozess in vielen Schichten wiederhole und auf diese Weise Tiefe erzeuge, erklärt die in existenzialistisches Schwarz gewandete, durch zahlreiche Besuche des Munch-Museums mit den Nuancen skandinavischer Melancholie bestens vertraute und dennoch quirlige Künstlerin. Das Pathos ihrer kunsthistorischen Vorgänger, zu denen sie den frühen Mark Rothko zählt, unterläuft sie mit ironischen, humorigen oder verwirrenden Titeln und sucht doch mit großer Ernsthaftigkeit die Auseinandersetzung. Befördert wurde die radikale, auch Übermalungen ganzer Werke einschließende Revision eigener Praxis von dem Wunsch, Geschichten "auf weniger offensichtliche Weise" zu erzählen - bisweilen "mit einem einzigen Pinselstrich".

Ihr Credo, das sie auf direkte Anfrage nur verschlüsselt herausgibt, findet sich im Klartext übrigens in ihrer Magisterarbeit mit dem Titel "Eine Leinwand ist niemals leer" - dort heißt es: "Wenn ich ein Bild male, geht es mir nicht darum, zu malen, was ich weiß. Eher versuche ich jene Dinge zu berühren, die ich nicht weiß und die vielleicht gar nicht gewusst werden können. Dem Unbekannten und dem, was wir über Bilder nicht wissen können, inhärent sind Schweigen und Ruhe (...) Eine Arbeit fängt für mich an der Stelle an aufregend zu werden, wo die Abwesenheit von Sprache beginnt." Was ein wenig nach einem Eigenbau aus Zen-Buddhismus und Wittgenstein klingt, aber auch darauf verweist, wo sich die junge Künstlerin auf ihrem Weg in die Welt und die Berliner Malerei nach der erfrischenden Bestandsaufnahme des letzten Jahres gerade begegnen: Am Start.