GEGEN DIE WÄNDE
Heiner Franzen @ Heldart: Schichter/Findling, © Photo: Jan Windszus
und Video zu einer höchst eigenwilligen Geheimsprache
Es gibt sie noch, die exklusiven Abende: Neulich beispielsweise unweit
des Hackeschen Marktes, als sich in einer unscheinbaren Seitenstraße
zur Eröffnung der Ausstellung "Perspective" wie von Geisterhand
gesteuert ein derart interessanter und obendrein nicht unglamouröser
Haufen zusammenfand, dass Berlin selbst bei Winterwetter wieder Spaß
machte. Mittenmang der amerikanische Kurator Drew Hammond, der nach
Stationen in Peking, Los Angeles und Rio de Janeiro jetzt in der
Hauptstadt Kunst kommuniziert und hier eine besondere Entdeckung
gemacht hat, die dann gleich zusammen mit Kunstmarkt-Größen
wie Ai Wei Wei gehängt wird: Die Rede ist vom 51 Jahre jungen Heiner
Franzen, den man schon bei Ausstellungen wie John Bocks
"Klütterkammer" oder auf Schloss Beesenstedt hätte entdecken müssen,
der aber von den meisten aber wahrscheinlich erst über seine
Einzelausstellung bei Heldart in Kreuzberg wahrgenommen worden ist.
Hammonds ehrliche Begeisterung über Franzens Werk, das auf jeglichen
Anspruch auf direkte Zugänglichkeit verzichtet und gerne aus
den vermeintlichen Untiefen der Comic-Kultur bedient, versetzt den
studierten Kunsthistoriker in die Lage, aus dem Stand einen
halbstündigen Vortrag über Raum und Linie zu halten. Essenz: "Heiner
ist der Künstler, der den Mut hat, alle tradierten Vorstellungen zu
überwinden und sein eigenes, innengeleites Regelwerk zu entwickeln."
Auch ein aufstrebender Berliner Sammler, der an Franzen das
"Unauffällige und Ungefällige" liebt, ist fasziniert und erläutert:
"Franzen zeigt, wie Erinnerung funktioniert, wie das Nebensächliche,
Unscharfe überdauert, das oft für Dritte unentzifferbar bleibt. Obwohl
die Räume Franzens offen sind, der Betrachter in das Kunstwerk
hineingehen muss, bleibt es verschlossen und verweigert sich. Heiner
Franzen thematisiert so die Vergeblichkeit der Kommunikation. Dies
ist existentialistische Wandmalerei. Eine Kapelle der Leere und
Poesie, der Einsamkeit und des Schweigens."
Höchste Zeit also, dem Künstler einen Hausbesuch abzustatten: Der
arbeitet auf 130 Quadratmetern in den Weddinger Uferhallen und fährt,
auch wenn die Nachbarn schon auf Porsche Carrera umgestiegen sind, auf
dem Drahtesel vor. Ein schneller Blick durchs Atelier: "Es ist immer
schon jemand hier, wenn ich reinkomme", erläutert er angesichts
angefangener Werke. Dann lässt er wieder und wieder einen kurzen,
gespenstischen Filmloop über seinen Hightech-Bildschirm laufen, neben
dem säuberlich aufgereiht zahlreiche DV-Bänder warten. Denn: "Es ist
immer im Moment ein Dreieck: Objekt, Zeichnung und Video. Ich glaube,
dass das klassische Medium als Genre gar nicht mehr existiert - der
Maler, oder der Zeichner usw. Für mich gibt es nur Leute, die sich mit
einer bestimmten Vorstellung durch verschiedene Medien durchkämpfen.
Es wäre blöd, an bestimmten Stellen Wände hochzuziehen."
Überhaupt nicht blöd hingegen ist es, an Franzens Atelierwänden auf
Entdeckungsreise zu gehen: Kryptische Notizen wie "Wand - Hand",
melancholische Post-Punk-Zitate wie "At home he ́s a Tourist" und
zahllose, endlos überstrichene Spuren ergeben ein komplexes
Gesamtbild, das nur in kleinteiliger Detektivarbeit zu entschlüsseln
ist - und sich ab dem 17. Februar 2013 in neuer Form im renommierten,
eng mit dem Werk von Joseph Beuys verbundenen Schloss Moyland zeigt.
Dort installiert Heiner Franzen im Rahmen der Ausstellung "SUPER
Visions - Zeichnen und sein" einen vier Räume durchquerenden, mit
Collagen, Malereien und Zeichen-Fragmenten gespickten Haus-Tunnel von
immerhin 20 Metern Länge - der seinen Kopf darstellt: "In Moyland ist
es kein Dickkopf, sondern ein Langkopf" kommentiert der vom
ostfriesischen Dorf kommende Künstler lakonisch. Kein Wunder,
dass Franzens Preise langsam anziehen und zwei korrespondierenden
Zeichnungen ordentlich gerahmt schnell 2,500 Euro kosten. Doch wer
sich auskennt und zu helfen weiß, bestellt einfach die vom Künstler
gestaltete Vinyl-Ausgabe des Debütalbums der Berliner Alternative-Band
"Seins", hängt sie sich gerahmt an die Wand und betrachtet sie fortan
als Edition - was für die lokalen Verhältnisse noch immer exklusiv
genug ist.
"Perspective" (bis 31. Januar)
Galleria Nove
Anna-Louisa-Karsch-Straße 9
10178 Berlin
Telefon: +49 30 24 78 16 36
Fax: +49 30 24 78 16 37
www.galleria9-berlin.com
SUPER Visions – Zeichnen und Sein
17. Februar bis 30. Juni 2013
Museum Schloss Moyland
Am Schloss 4
47551 Bedburg-Hau
Telefon +49 (0)2824 9510-60
Telefax +49 (0)2824 9510-99
www.moyland.de