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GUNNAR LUETZOW
 

MEIN LEBEN ALS HUND

Peter Stauss: Brunnen. Bronze, 9,5 x 6 x 4,6 cm, 2010. Courtesy the Artist.
Apokalypse? Wau! Der Berliner Künstler Peter Stauss verhandelt in seiner Arbeit das schwierige Verhältnis von Mensch, Tier und Melancholie

Von Gunnar Luetzow

Artaud, Deleuze, Kafka. Das sind die schweren Namen, die leicht im Gespräch mit dem Berliner Maler und Bildhauer Peter Stauss fallen. Schließlich geht es dem 1966 in Sigmaringen als Sohn eines Steinmetzes geborenen Künstler, der in einem zwischen Drogenstrich und Dönerstand gelegenen Hinterhof-Atelier in Tiergarten arbeitet, um das große Ganze. Wo auf den ersten Blick die hingeworfene Leichtigkeit einer banalen Telefonzeichnung erscheint, versteckt sich, wie der Künstler erklärt, hochgradige Ambivalenz: "Eine Form ohne begriffliche Widmung, also beispielsweise einen Fleck, kann ich für mich so erst einmal nicht legitimieren. Was ich legitimieren kann, ist die Form, die aus der Zerstörung dieser Signifikanz entsteht: Wenn ich eine unerträglich illustrative Figur habe und ich knalle da einen Fleck drauf, dann kann ich weder den Fleck noch die Figur legitimieren - aber beides zusammen kann ich legitimieren."

So bleiben Rufummern, kryptische Notate und die Spuren einer ungeschickt abgestellten Kaffeetasse nicht lang allein: Sie verdichten sich im Dialog mit Skizzen von Tieren, Menschen und Fabelwesen zu einer ausgewachsenen Hippie-Apokalypse, deren Dramatik von wild gewordenen Tintenklecksen befeuert wird. Auch nicht gerade heiter geht es in seinen von post-heroischer Melancholie durchtränkten großformatigen Ölgemälden zu, die in ermatteten Farben gebrochene Helden einer prekärer werdenden Gegenwart zeigen, deren Fortschreibung nur noch als Dystopie denkbar ist. Auch hier geht es dem von Heroen wie Picasso und Moore inspirierten Künstler nicht nur um eine gelungene Lösung formaler Fragen, sondern auch um die großen Themen.

Stauss erklärt anhand einer Arbeit: "Wie Kant bereits dargelegt hat, gibt es Fragen, denen der Mensch nicht ausweichen kann, die aber gleichzeitig seinen Horizont des Wissbaren bei weitem überschreiten. Diese Aporie ist die Quelle des melancholischen Gefühls. Die Helden sind nicht wirklich Helden, weil sie immer in ihrer heroischen Geste von ihren Zweifeln gebremst werden. Der Verkäufer am Strand mit zehn Handtüchern und vier Hüten auf dem Kopf, das ist natürlich eine absolute Übercodierung. Die Lumpen-Armee ist eine hochmotivierte Armee - ohne Mittel."

Verführt bereits seine Malerei, die derzeit noch einmal gründlich die Werke holländischer Meister auf der Suche nach bisher ungeahnten Abgründen umpflügt, zu einer gewissen Skepsis, betreibt er in seiner skupturalen Praxis Desillusionierung als Schwerstarbeit: Ausgerechnet Rodins "Denker" interpretiert er in verschiedenen Fassungen und Konstellationen neu - und zwar als denkenden Hund, der unweigerlich an jenen unorthodoxen griechischen Philosophen erinnert, der sich Alexander dem Großen einst als "Diogenes, der Hund" vorgestellt haben soll und das Leben, das Universum und den ganzen Rest von schräg unten her gedacht hat.

Damit der subversive Kern seiner Botschaft nicht aus Versehen durch die Erhabenheit einer Bronze verloren geht, hat Stauss für die aktuelle, gemeinsam mit Martin Walde bestrittene Ausstellung "The Phantastic 4,4444" ein eher ungewöhnliches Material für seine Plastiken, die gemeinsam mit den Trümmern einer Quadriga gezeigt werden, gewählt: Tierdung, versetzt mit Acrylbinder. Klingt amüsant, hat aber ebenfalls einen ernsthaften Hintergrund. Stauss: "Es geht um die Animalitas, das Menschentier, das hier bezwungen wird. Das Bemühen, die Position des Menschlichen in Abgrenzung von seinem von seinem eigenen Tierstatus zu bestimmen, ist wesentlich für die Antike. Das, was dabei negiert, bekämpft, tabuisiert wird, ist der Abgrund des Körpers und des Chaos." Vielleicht ist gerade der Mut, sich diesen oft verdrängten Themen offen zu stellen, einer der Gründe für die auch weit über Berlin hinaus spürbar wachsende Wertschätzung, die seine Arbeit erfährt. Eine Wertschätzung, die übrigens sogar noch in der Kritik von Betrachtern widerhallt, die im selben Satz erwähnen, auch mit Goya nichts anfangen zu können. Goya.


Peter Stauss, Martin Walde: "The Phantastic 4.4444"
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Di- Sa: 13-18h
10. Juli – 20. August 2014