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GUNNAR LUETZOW
 

MINIMALINVASIV DIE BERLINER KÜNSTLERIN ALEXANDRA BAUMGARTNER ZEIGT ABGRÜNDE IM ALLTAG UND VERFREMDET IDYLLEN ZUR KENNTLICHKEIT

Alexandra Baumgartner: o.T. (Kaiserin Elisabeth 1837 -1898), Postkarte, Feuer, 10,5 x 15cm, 2013. Courtesy the Artist.
Leicht beunruhigend ist sie schon, die Installation "Entreakt", die die in Berlin lebende österreichische Künstlerin Alexandra Baumgartner jüngst bei "Berlin Weekly" in der Linienstraße präsentierte: Nicht nur tanzten Stühle wie wild durch den Raum und ließen erahnen, dass die meisten Dinge leben - und sich einfach nur meistens nicht bewegen. Obendrein blickte von den Wänden eine der im ausgehenden 19. Jahrhundert von dem französischen Neurologen Jean-Martin Charcot gerne öffentlich im Pariser Hôpital de la Salpêtrière vorgeführten Hysterikerinnen in Lebensgröße herab und macht auf einer großformatig abgezogenen Fotografie von Albert Londe einen gleichermaßen verstörten wie verstörenden Eindruck. Wer es lieber ein oder zwei Nummern kleiner hat, riskiert, mit noch größeren Schrecken davon zu kommen: Gerade ihre klein- und kleinstfromatigen, auf gefundenen oder im Rahmen von Flohmarktbesuchen und Wohnungsauflösungen erstandenen Fotos basierenden Collagen nämlich erschüttern nachhaltig.

In ihnen verfremdet die Künstlerin vermittels minimaler, aber massiver Eingriffe banale Alltagsszenen und idyllische Ansichten zur Kenntlichkeit und verweist auf Abgründe, die manch schöner Schein verdeckt. Eine Praxis übrigens, die sie erstmalig an eigenen Familienfotos ausprobierte. Einerseits ein Zufall, den die ausgebildete Fotografin Alexandra Baumgartner trotz ihres ausgeprägten Interesses an psychoanalytischer Theorie und Praxis nicht überinterpretiert wissen will, andererseits eine gute Gelegenheit, einmal nachzuhaken, worum es der insbesondere in der freien Projektraumszene präsenten Künstlerin geht. Sie berichtet: "Thema meiner Arbeiten sind sowohl die psychischen und moralischen Abgründe als auch der physische Verfall des Menschen. Die Frage nach der
Existenz, Themen wie Vergänglichkeit, die eigene Sterblichkeit, Beziehungsgeflechte, Grenzzustände, Kontrollverluste, Abhängigkeiten und Ängste. Es ist ein Analysieren der zerbrechlichen Beziehungen zwischen den zutiefst persönlichen Empfindungen und den äußeren gesellschaftlichen Zwängen."

Und dann ist da ja, wie wir spätestens seit Freud wissen, auch noch die leidige Sache mit den Trieben: "Die Natur, die uns bestimmt und der Mensch, der versucht, alles zu kontrollieren, aber im Grunde dennoch unterlegen und unbeholfen bleibt. Dieser ewige Kampf im Leben, den jeder mit sich und den anderen führt. Das Tier in uns, das Animalische das man zu kontrollieren versucht, und das doch immer wieder durch kommt und sich seinen Weg sucht, ob wir wollen oder nicht." So weit, so Wien. Dennoch finden sich unter all den kopflosen Kindern, ausgebrannten Augen, akkurat vernähten Mündern und mutierten Tentakelwesen, die einander umarmend erwürgen, durchaus Spuren eines eher schwarzen Humors - und Sorgen scheint man sich trotz ihrer morbiden Sujets auch keine um die Künstlerin machen zu müssen. Sie selbst, erklärt Alexandra Baumgartner lächelnd, finde die Arbeit damit eher beruhigend.