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GUNNAR LUETZOW
 

POST-HEROISCH

Daniela Trixl: "Competition", Tinte auf Papier, 42cm x 30,5cm, 2014, Courtesy the Artist
Höhere Wesen befahlen: Linke untere Ecke grün malen! Ein Tauchgang mit der Berliner Künstlerin Daniela Trixl durch die Untiefen der postheroischen Abstraktion unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Frage.

Was ist denn hier los? Und: Wie sieht es hier denn aus? Das letzte unsanierte Treppenhaus von Prenzlauer Berg tut im Frühjahr 2014 so, als hätte Jean Baudrillard gerade erst den "Aufstand der Zeichen" ausgerufen, als befände man sich in einem dieser Arthouse-kompatiblen Abrisshäuser der New Yorker Alphabet City, irgendwann zwischen den späten Siebziger und frühen Achtziger Jahren, als Keith Haring und Jean-Michel Basquiat den Groove der urbanen Hieroglyphen entdeckten und innerstädtisches Leben noch wild und gefährlich war - und keine Einladung zum "Latte to Go": ICKE, ER, SIE UND DER PATE haben mit Edding und Sprühlack ihre markigen Spuren auf dem abblätternden Putz hinterlassen, die 2KCREW ist auch am Start und zwischen BIG LOVE 4EVER und weniger romantischen Botschaften wird klar, dass die eigentliche Message eher in der Existenzbehauptung liegt: Sometimes it ́s like a jungle and I wonder / how I keep from going under.

Im Atelier der Künstlerin dann atmosphärisch das Gegenteil: Cool, calm and collected fühlt es sich dort an, wo die ehemalige Zahnarztpraxis den Charme einer ehemaligen Zahnarztpraxis versprüht und sich statt der großen Geste riesiger Leinwände in einem klassischen Fabrikloft die intensive Atmosphäre mehrerer kleiner, mit Zeichnung, Malerei und Plastik bestückter Kabinette entfaltet. Bereits in den Zeichnungen wird deutlich, wie sehr die Künstlerin im Zweifel für den Zweifel optiert: Auch wenn die menschliche Figur bei ihr in Gruppen auftritt, so vermittelt sich trotz optimistisch anmutender, ein diskursives Moment implizierender Titel wie "Café Futur" doch kein Anschein einer möglichen kollektiven und allgemein verbindlichen Handlungsweise. Auch typographische Spielereien, die flott zwischen zwei- und dreidimensionaler Anmutung hin- und herspringen, brechen die den zitierten Begriffen innewohnende Euphorie gerne - das handwerkliche Können wird zwar andeutungsweise vor- aber nicht komplett ausgeführt.

Ebenfalls verweigert werden eindeutige Antworten auf gesellschaftliche Fragen: Die Arbeit "Competition" deutet einen skizzierten Automaten, einen willkürlichen Zählerstand und ein verwirrendes Diagramm einander überkreuzender Linien an, die aber nicht länger auf nachvollziehbare Kausalitäten verweisen, sondern in ihrer inneren Verdrahtung hermetisch bleiben und maximal preiszugeben bereit sind, was jeder aufmerksame Beobachter der Verhältnisse seit mindestens seit drei Jahrzehnten weiß: Moderne Kunst kann man verstehen, moderne Welt nicht. Ähnlich desillusioniert stellt im Nebenzimmer eine scheinbar aus den Überresten eines Atelierfestes entstandene Plastik stumm die traurigste Frage aller Fragen - auf die übrigens auch schon Jean Baudrillard keine Antwort wusste: "What are you doing after the orgy?"

Im Zentrum ihres Werkes steht jedoch Daniela Trixls Malerei, für die es sich lohnen könnte, eine neue Kategorie zu etablieren: Wie wäre es mit "postheroischer Abstraktion"? Immerhin gelingt es ihr, in einer ihrer Arbeiten gleichzeitig auf spielerische Weise Ikonen des 20. Jahrhunderts wie Barnett Newman ("Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau") und Josef Albers ("Hommage to the Square") auf die Schippe zu nehmen. Großmeister Polke, dem einst höhere Wesen befahlen, die rechte obere Ecke schwarz zu malen, bekommt von der Künstlerin eine linke untere Ecke in grün nachgereicht und was auf den ersten Blick wie die Flagge einer Fantasierepublik aussieht, entpuppt sich bei Betrachtung der quer zum Verlauf der drei mächtigen Balken gesetzten Farbstreifen als Ausdruck der Subversion: Diese Künstlerin segelt unter keiner Flagge.

Statt dessen platziert sie auch gerne im Zentrum einer Arbeit ein starkes, X-förmiges Kreuz in roter Farbe, wie man es aus der Ikonographie der jüngeren Protestgeschichte zu kennen glaubt. In diesem "X" versteckt sich jedoch nicht nur die freudige Verweigerung, es verweist auch auf die Befindlichkeit einer ganzen Generation, die mit Douglas Coupland ihren Kultuator und mit "Generation X" ihr Kultbuch gefunden hat - und das, obwohl keiner der Dazugehörigen jemals zugeben würde, sich mit irgendwem oder irgendetwas zu identifizieren. Schließlich ist mit der Gruppe der zwischen den frühen 1960er und den frühen 1980er Jahren Geborenen eine neue skeptische Generation in die Gegenwart eingetreten, die es vozuziehen scheint, sich auch in fortgeschrittenen Lebensphasen höchstens an Figuren wie Melvilles Bartleby zu orientieren: "Ich möchte lieber nicht."

Ihnen ist die Rhetorik der großen Erzählungen höchst verdächtig, doch genauso unverständlich wie den von Kohl und Kollegen sozialisierten Angehörigen einer zwischen Revolte und Resignation eingequetschten Alterskohorte der gnadenlose historisch-politische Fortschrittsglaube ihrer mit Marx und Coca Cola gedopten Vorgänger ist, desto verdächtig erscheint ihnen die bedingungslose und aus ihrer Perspektive neoliberal anmutenden radikale Auslieferung des Selbstwerts an die Märkte an eine immer schneller getaktete, global zirkulierende Aufmerksamkeitsökonomie. So zieht sie der großen Geste die mikropolitische Intervention vor, versieht den schönen Klang hehrer Parolen gerne mit entwaffnenden Anführungszeichen und versucht täglich aufs Neue in der konkreten Situation das Verhältnis von Haltung zu Handlung auszubalancieren - es sieht also ganz so aus, als hätte hier eine Generation zu ihrer Kunst gefunden.

Katalogtext aus "Vier gewinnt", Daniela Trixl
Präsentation am 2.7. ab 20h im Rahmen der Reihe "Info on Books"
Bar Babette
Karl-Marx-Allee 36
Berlin-Mitte