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GUNNAR LUETZOW
 

RECLAIM THE STREETS

Fiorentina de Biasi: "New York", Photocollage, Metallklammern, 16x33cm, 2007. Courtesy the artist.
Fiorentina De Biasi beschwört in ihren Photocollagen den Geist einer
durch Wachstum vom Untergang bedrohten Metropole: New York City

„Leaving New York never easy – I saw the light fading out...“ – vom
tragischen Gefühl, New York City zu verlassen, kann nicht nur Michael
Stipe ein Lied singen: Immer mehr New Yorker Künstler und Kreative
müssen aufgrund der ökonomischen Bedingungen ihren Ort außerhalb einer
der weltweit wichtigsten Kulturmetropolen suchen. Die Liste der von
Schließung oder Sanierung betroffenen und bedrohten Unternehmen,
Institutionen und Orte scheint endlos. Dazu gehören zahllose kleine
und mittelgroße Galerien, die im Wettbewerb der Giganten nicht mehr
mithalten können, bedeutende Venues der Underground-Kultur wie der
durch Auftritte von Blondie, Patti Smith, den Talking Heads und den
Ramones bekannt gewordene Musikclub CBGB auf der Bowery – und nicht
zuletzt Five Pointz, das Zentrum der Sprayer-Szene in Long Island
City, Queens.

Eine gute Vorstellung der unvergleichlichen urbanen Energie, die
aufgrund einer auf die Interessen von Investoren und Tourismus
ausgerichteten Stadtpolitik von Vertreibung und Vermarktung
unwiederbringlich verloren zu gehen droht, vermittelt das Werk der in
der Nähe von Neapel aufgewachsenen Künstlerin Fiorentina De Biasi, die
seit nahezu zwanzig Jahren in New York City lebt und arbeitet. Ihren
Photocollagen gelingt es, gleichzeitig krass und fragil zu sein: Nur
von den Klammern eines Tackers zusammengehalten verbinden sich Prints
verschiedener Fotografien zu immer neuen Bildern der Stadt, die
niemals schläft und niemanden schlafen lässt.

„Diese neue Form von Collage ist ein Piercing des Kunst-Körpers. Die
Arbeit mit dem Tacker symbolisiert, wie der harte Teil der Realität
die weiche Haut der Bilder durchdringt“, erläutert die von William S.
Burroughs ́ Cut-Up-Methode inspirierte Künstlerin, die sich einerseits
den inzwischen klassischen Autoren der Beat Generation und den
Fluxus-Künstlern verbunden fühlt, anderseits ihre Arbeit in Beziehung
zur Sampling-Tradition des Hiphop sieht – und auch dem radikal
rebellischen Punkrock-Spirit eines Sid Vicious etwas abgewinnen kann.

New York City, kritisch gesehen und neu zusammengesetzt von Fiorentina
De Biasi, hat daher wenig zu tun mit der Schaufenster-Stadt der
mächtigen Flagship-Stores oder romantischen Lifestyle-Idyllen, wie sie
sich seit den 2000er Jahren im Umfeld von sentimentalen Rückwendungen
zu naturverbundenen Lebensformen in Brooklyn entfaltet haben. Ihre
Stadt hingegen ist „oldschool“: Die sowohl mit Geschichte und
Gegenwart von SoHo als auch D.U.M.B.O. vertraute Künstlerin erzählt
vom Urgrund der Hiphop-Kultur, wenn sie Spurensicherung in Sachen
Graffiti betreibt und dokumentiert fotografisch den Widerstand der
betroffenen Künstler, wenn in Manhattan eines der letzten
Atelierhäuser umgewandelt werden soll: „Yuppies go to hell“ ist dort
unmissverständlich zu lesen. Nostalgie ist indes nicht das Thema der
Künstlerin: „Ich freue mich auf die Zukunft und blicke nicht zurück.“
Wo diese Zukunft für sie und andere New Yorker liegen könnte, lässt
eine aktuelle Arbeit erahnen: Die Photocollage „Out of Time“besteht
aus Aufnahmen, die in einem alten Kraftwerk an der Spree entstanden
sind. Nicht grundlos gaben R.E.M. dem neuen Sehnsuchtsort der Künstler
in einem ihrer jüngeren Songs einen neuen Namen: Überlin.