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GUNNAR LUETZOW
 

SOYEZ REALISTES, DEMANDEZ L ́IMPOSSIBLE!

Peter Stauss: Die schöne Seele als Karikatur des absoluten Wissens, Mischtechnik auf Papier, 29,5 x 42cm, 2011. Courtesy the Artist.
So schön verstrahlt und mehr als das: Peter Stauss leuchtet in seinen Zeichnungen die dunkleren Ecken Utopias aus; seine hybriden, eher postheroisch gelaunten Protagonisten oszillieren zwischen Tragödie und Farce - und wollen am Ende des Tages dennoch wissen, wo du stehst (und welchen Weg du gehst)... höchste Zeit also für einen Anruf in Wien. Oder zwei.

Von Gunnar Lützow

Einfach mal ans Eingemachte. Dorthin, wo der Verstand tagsüber das Vorhängeschloß hinhängt und nur nächtens Fragmente entweichen, die zu dekodieren Schwerstarbeit bleibt und bisweilen sogar bei Großmeister Freud auch nur eine Erkenntnis wie diese hervorbrachte: "Das ist eine verdrehte Welt und eine verrückte Gesellschaft." Jenes Kleingeld der Surrealisten also - und was haben Artaud, Bréton und Kollegen nicht probiert, um dem Unbewußten auf die Schliche zu kommen? Und was unternehmen Künstler bis heute, um für ein paar Sekunden ihr Hirn zu befreien? Von einem der angesagtesten Abstrakten wird kolportiert, er bedröhne sich bis über beide Ohren mit kleinkriminellem Sprechgesang von Haftbefehl, Kollegah und Konsorten. Hauptsache: Jung, brutal und gutaussehend. Und ordentlich aggro.

Anders der Berliner Künstler Peter Stauss: Er geht schlicht ans Telefon, wenn es klingelt, notiert sich wichtige Details wie "Mumok Wien", "Lebuser 15, 10243 B" oder "Mi (ab) 9.30" und auf einmal hat der lausige Affe aus der linken unteren Ecke Flügel. Seine im doppelten Wortsinn gezeichneten, überkaputten Protagonisten sind, um den Titel einer Single von "Frankie Goes to Hollywood" zu bemühen: Warriors of the Wasteland. Eine Nummer, die gleichermaßen von T.S.Eliot und Mad Max 2 inspiriert und als Seven-Inch mit einem an archaische Höhlenmalerei erinnernden Cover versehen war, das an die mahnenden Worte Albert Einsteins erinnert: "Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“ Die prekären Antihelden aus Stauss ́Feder alleine als einen Widerhall dunklerer Tage der Zivilisation zwischen dem Mittelalter mit all seinen wunderlichen Vögeln und der spätviktorianischen Ära mit ihren Schattenkönigreichen der Unterwelt zu begreifen, griffe nämlich ein paar hundert Jahre zu kurz: Wenn die Sache mit unserer hochgerüsteten Zivilisation schief geht, sind diese fiesen Trickster, smarten Lumpenfürsten und ihre dumpfen Gehülfen Sendboten einer Zukunft, die als "ungemütlich" nur unzureichend beschrieben wäre.

Vor einer allzu wörtlichen Lektüre seiner Arbeit warnt der Künstler indes: "Man darf das Zeichnen und das Meinen nicht immer verbinden. Das Zeichnen passiert auf einer ganz bildnerischen, motivischen und räumlichen Ebene. Das, was gemacht wird, ist beinahe sinnfrei, der Sinn des Gelesenen ist höchstens ein Leitfaden, der gelegentlich aufblitzt." So bleibt manch über sich hinaus gedachter Körper ein Fragment, formiert sich mit anderen zu stummen, selbstgenügsamen Hybriden. Aber: Wir müssen wir reden. Über das Ende der Utopien, wie wir sie kennen, beispielsweise. Oder wie Mike Watt schon vor zwanzig Jahren wußte: "The kids of today should defend themselves against the Seventies!" Schließlich tummeln sich in Stauss ́Zeichnungen ganze Kommunen aus der Zeit gefallener Hippies, deren Westcoast-Traum eines ewigen, gut gedopten Rumchillens zwischen Pool und Party sich in den Alptraum ewiger Stumpfheit verwandelt hat.

Auf den langen Marsch nach Haight / Ashbury hat den Künstler ausgerechnet das alte Europa gebracht: "Diese Figuren sind natürlich nicht ohne Vorbild, bis hin zu Jesus als dem ersten Lebensreformer. Mich hat insbesondere die deutsche Lebensreformbewegung von vor etwas über einhundert Jahren interessiert, als mitten in der tobenden Moderne versucht wurde, die Reproduktion von Ursprünglichkeit zu betreiben." Seiner Einschätzung nach eine sehr fragwürdige Negation der Moderne - und auch ein fragwürdige Rückkehr zu einem nahezu reaktionären Naturalismus. Und dennoch bleibt Stauss seinen erschöpften, in der Tretmühle des Hedonismus gefangenen Helden auf gewisse Weise verbunden: "Trotz ihres Selbsmitleids und ihrer Wehleidigkeit ist diese Figur ein wichtiges Bild - für die Position des Künstlers und vielleicht auch für die Position des Menschen im Allgemeinen, da sie diese beiden Dinge in sich vereinigt: Alles zu wollen und nichts zu können."

Peter Stauss @ NGORONGORO Artist Weekend
Lehderstraße 34
13086 Berlin
Geöffnet 26.-29. April 10 bis 24 Uhr
www.artistweekend.com