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HANNA HENNENKEMPER
 

EINE ART ARCHÄOLOGIE DES DRUCKENS, LUDWIG SEYFARTH, 2018

erschienen in: O PODER DA MULTIPLICAÇÃO/ DIE MACHT DER VERVIELFÄLTIGUNG, KERBER VERLAG 2018 Deutsch/ Portugiesisch

Objekt I, 2017, Radierung, 30 x 30 cm
Verschüttung 1-5 aus der Serie "Nacht", je 2018, Radierungen, 120 x 60 cm
Hanna Hennenekemper, Porto Alegre/ Brasilien 2017
EINE ART ARCHÄOLOGIE DES DRUCKENS
(Ludwig Seyfarth)


Auch wenn sich Hanna Hennenkempers Werk vor allem in den Medien Zeichnung und
Druckgrafik bewegt, ist es nicht durch das typisch „Grafische“ gekennzeichnet. Die Linie
und das „Grafische“ spielen in ihrem Werk weniger eine Rolle als das Interesse an der
Wiedergabe von Körpern und Volumina. Ihre Formenwelt bewegt sich dabei stets zwischen
Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen Organischem und Technoiden, oft auch fast
vexierbildhaft mit Positiv- und Negativform, mit Flächigkeit und Räumlichkeit spielend.
Das Zeichnen und das Drucken sind bei Hanna Hennenkemper körperliche Aktivitäten, die
sich auch im Resultat im direkten Wortsinn „abzeichnen“ sollen. Dabei spielt nicht nur der
eigene Körper, sondern auch die Körperlichkeit der Dingwelt eine Rolle, die aber durch
Übersetzungs- und Übertragungsprozesse eine fast surreale Verrätselung erfährt.
Während ihres Arbeitsaufenthalts Ende 2017 in Porto Alegre nutzte Hanna Hennenkemper die über viele historische Maschinen verfügenden Werkstätten des Museu do Trabalho und verwendete die klassischen Verfahren der Radierung in experimenteller Weise. Sie legte verschiedene Gegenstände oder auch Teile des eigenen Körpers auf Kupferplatten, um sie dann mit Kolophoniumstaub zu bedecken. Anschließend entfernte sie die Gegenstände oder Körper vorsichtig von den Platten. Das auf den Platten verbleibende Kolophonium wurde danach wie bei dem traditionellen Radierverfahren in die Platte eingebrannt und die Platten zuletzt mit Säure geätzt.
Dass der Vorgang, bei dem Platten mit Harzstaub „beregnet“ werden, an Körper erinnert,
die wie in Pompeji vom Ascheregen verschüttet und später ausgegraben wurden, ist eine
beabsichtigte Assoziation. Es geht der Künstlerin um eine archäologische Dimension,
um eine „Archäologie“ der Kulturtechnik des Druckens, die in digitalen Zeiten mehr und
mehr zu verschwinden droht. So sind die Dinge, die sie auf diese Weise „abgedruckt“
hat, auch alle Werkzeuge, die beim Drucken selbst zum Einsatz kommen.

Die fertigen Drucke präsentiert sie nicht an der Wand, sondern auf kleinen Podesten,
auf denen man sie von oben anschauen kann, wie bei archäologischen Fundstücken,
die später in Vitrinen präsentiert werden. Die wie eine Skulpturengruppe im Raum
verteilten, aus Ziegelsteinen gebildeten Podeste erinnern an eine Ruinenlandschaft.
Und wie bei archäologischen Fundstücken können die in dieser Weise überlieferten Gegenstände nicht immer eindeutig identifiziert werden und erscheinen zum Teil sonderbar fremd und distanziert. Dieses rückt die Verschiebung der Dinge durch ihren Übersetzungsprozess in den Vordergrund, eben das, was zwischen ihnen, ihrer Bedeutung und ihrem Gebrauch steht.

Um dieses „Dazwischen“ geht es auch in einer weiteren Serie von „Abdrucken“, bei der Papiere
auf Gitter gelegt wurden, die die Künstlerin anschließend von unten mit Feuer beflammte. Die
Papiere wurden durch den aufsteigenden Russ unterschiedlich geschwärzt, während die vom Gitter abgedeckten Stellen dabei zumeist weiss blieben. Wieder scheint hier ein „Dazwischen“ auf, das Gitter, der Draht, der vor dem andrängenden Schwarz des Feuers hell aufblitzt.

Dieses Vorgehen erinnert an ein Fotogramm, bei dem ein Fotopapier ohne Kamera direkt belichtet wird. Auch die „Radierungen“, bei denen die von den Gegenständen bedeckten Stellen negativ, also hell aufscheinen, könnte man zunächst für Fotogramme halten. Und wenn schemenhaft der Oberkörper der Künstlerin zu sehen ist, erinnert das an die Durchleuchtung des Körpers bei einer Röntgenaufnahme. Es mag aber auch eine weitere, zeitnähere archäologische Assoziation aufkommen, nämlich an die Umrisse der Opfer, die durch Helligkeit des Atomblitzes in Hiroshima in den Boden eingebrannt wurden.
Letztlich bleibt das, was wir sehen, aber für viele Interpretationen offen. Die weißen Leerstellen, die auf die verschiedenen Dinge verweisen, die auf den Platten gelegen haben, lassen ihr Aussehen nur noch schemenhaft erahnen und lassen teilweise auch an organische Materie denken, etwa an Knochen, die bei einer archäologischen Ausgrabung gefunden und zu ihrer Klassifizierung einzeln hingelegt wurden.

Das bildnerische Resultat hier lässt sich mit dem Ausgangspunkt eines anderen markanten
Projekts von Hennenkemper vergleichen. Als Stipendiatin im Edvard Munch-Haus in Warnemünde sah sie 2012 dort eine Ausstellung des renommierten norwegischen Malers und Zeichners Olav Christopher Jenssen. Dessen über 100 Blätter umfassende Zeichnungsserie folgte gleichsam den biografischen Spuren seines berühmten Landsmanns. In Munchs Sommerhaus im norwegischen Åsgaardstrand zeichnete Jenssen die Umrisse diverser Gegenstände, die zu Munchs Haushalt gehörten und noch heute für Besucher dort zu sehen sind. Jenssens Zeichnungen geben die Konturen der Dinge wieder, aber nicht ihr genaues Aussehen und ihr körperliches Volumen. Das inspirierte Hanna Hennenkemper dazu, Jenssens Blätter als Vorlagen zu nehmen und sie mit fein modellierten Bleistifttexturen gleichsam „auszufüllen“. Man kann darin eine Art Stiller Post sehen, bei der über Lücken und persönliche Notation und Handschrift am Ende möglicherweise etwas völlig anderes steht als am Anfang.
Damit spielt die Künstlerin auch auf die blinden Flecken und Lücken an, die jeder Form der
Übersetzung und Übertragung, auch der historischen Überlieferung, immanent sind.


Ludwig Seyfarth, 2018
erschienen in: O PODER DA MULTIPLICAÇÃO/ DIE MACHT DER VERVIELFÄLTIGUNG,KERBER VERLAG 2018

Ludwig Seyfarth ist Kunsthistoriker und Publizist, Kurator für KAi 10 / Arthema Foundation in Düsseldorf, lebt in Berlin.