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IVONNE DIPPMANN
 

ZU DEN ARBEITEN IVONNE DIPPMANNS, AUTOR JAN KUHLBRODT 2013

Der künstlerische Diskurs ist seit Anbeginn meiner Arbeit sehr stark mit der Ästhetik und Erscheinungsform meines Umfeldes verhaftet, sagt Ivonne Dippmann über ihre eigenen Arbeiten. Allerdings tauschte sie ihr Umfeld beständig. Geboren und aufgewachsen ist sie in Karl-Marx-Stadt, einer Stadt, die innerhalb von fünfzig Jahren zwei Mal den Namen gewechselt hat, mindestens einmal ihr Gesicht verloren und deren zumindest jüngere Bewohner sehen, dass sie wegkommen, so bald sich eine Möglichkeit bietet. Die Kontinuität dieser Stadt ist sichtbar in Resten. Kein Ort also, der Garantie für Konstanz wäre, es sei denn für eine Konstanz der Veränderung und des Verlustes. Vielleicht aber hat sie gerade deshalb eine Reihe beachtlicher Künstlerinnen und Künstler hervorgebracht.

Seit Dippmann ihre Geburtsstadt verlassen hat, machte sie Ausbildungsstationen
in den USA in Spanien und lebte in Tel Aviv und Berlin. Man kann es aus der Herkunft nicht erklären, was in ihren Arbeiten passiert, und es wäre auch eindimensional, in dem Bündel, das ihre Kunstwerke ausmacht, Technik, Ausdruck, Stil und Farbe, ein Wollen und eine politische Leidenschaft die sich Raum sucht, deren Kraft sich in Bilder transformiert, eine einfache und vereinfachende Basis zu suchen. Dennoch spielt der Ort, an dem eine Zeichnung, eine Grafik oder eine andere bildgebende Arbeit entsteht eine besondere Rolle.

Dippmann geht meist von eher kleinformatigen Zeichnungen aus. Ein Starting
Point, aber eben ein Anfang, denn die kleinen Formate werden auf eine andere
Situation treffen, einen Ausstellungsraum, eine Bühne oder auf ein Buch, sie werden sich verwandeln, dem neuen Raum anpassen und damit auch den Raum verändern, denn jeder Anpassungsprozess verläuft wechselseitig. Nichts bleibt wie es war, und wenn Dippmann Vorlagen, die als Illustrationen für ein Buch dienten, zu großformatigen Wandbildern umarbeitet und mit bunten Garnen, die im Raum gespannt sind, kombiniert, entsteht ein einzigartiger Effekt. Denn sie formuliert ein Niemandsland, was zugleich politisch und geografisch zuordenbar ist. Ein paradoxes Überall.

Die Begegnung mit Arbeiten der Künstlerin liegt für mich noch gar nicht so lange zurück. Rein biografisch hätten wir uns schon lange begegnen können, denn wir sind in ein und der selben Stadt aufgewachsen, zeitlich ein wenig versetzt, aber
nicht soweit, dass wir uns nicht hätten begegnen können. Legte man ein Raster gebildet aus unseren Schritten über diese Kommune, die damals den stolzen Namen Karl-Marx-Stadt trug, würden sich mannigfache Überschneidungen und Ballungen erkennen lassen, und es ergäbe ein Bild. Ähnlich dem eines Kleiderschnitts, wie man ihn zuweilen in den Frauenzeitschriften eingelegt fand oder finde. Die Schnittmusterbogen übten auf mich in meiner Jugend einen merkwürdigen Reiz und eine Anziehung aus. Meine Fantasie machte aus den Linien und Stricheleien eine Landkarte, wohl weil ich die dargestellte Bluse, oder den Rock im Bogen nicht erkennen konnte. Aber er war da und für den Handwerker sichtbar. Ein verborgenes textiles Moment. Dieses textile Moment tritt in den Arbeiten Dippmanns häufig zu Tage und vielleicht ist es das, was sie an ihren Herkunftsort bindet oder besser mit ihm verbindet. Denn Chemnitz, wie Karl-Marx-Stadt heute wieder (oder noch, wer traut sich am Anfang dieses Jahrhunderts an historische Kontinuität zu glauben) heißt, war lange Zeit ein Zentrum der Textilindustrie, deren Resten man dort überall begegnet. Aber eben dieses Überall ist auch ein Rest.

Eine von Dippmanns letzten Arbeiten ist die grafische Umsetzung eines Gedichtes von Ron Winkler. Das Gedicht heißt: Umgebung für Personen mit diskontinuierlicher
Heimat. Und allein dieser Titel bringt das, was Dippmann in ihrem bildnerischen
Werk veranstaltet im Grunde auf den Punkt. Ich aber investierte andere Zeichen, heißt es in Winklers Text. Und Dippmanns Umgang damit ermöglicht dem Leser/Betrachter eine weitere Varianz, indem die grafische Umsetzung Lesarten
ermöglicht.

Review / Meine Feindseligkeiten Sind Gerechtfertigt Verteilt (My Hostilities Are Distributed In A Justified Way) "Zu den Arbeiten Ivonne Dippmanns", von Jan Kuhlbrodt, 2013