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KATHRIN GANSER
 

ECHOES, 09.10. – 14.11. 2020, SOLOAUSSTELLUNG KAUFBEURER KÜNSTLERSTIFTUNG (REVIEW II)

Medienbasierte Bilder der Erde vermitteln uns den Eindruck wissenschaftlicher Perfektion. Ob Ansichten weitläufiger Panoramen, Landschaften, Städte, Architekturen, oder Ausschnitte kleinster Details, unser Vertrauen in die Richtigkeit angebotener Visualisierungen von Google Earth und Google Maps ist größer als jeder Zweifel an den Umständen ihrer Entstehung. Innerhalb nur weniger Jahre haben sich nicht bloß Darstellungsformen, sondern mit ihnen auch unsere Sehgewohnheiten globalisiert. Das animierte Bild der Welt ist das, das alle überall in gleicher Weise verfügbar haben. Ihm gilt unser visuelles Vertrauen, die Vogelperspektive ist zur digitalen Bildschirmansicht in 3D geworden.

In ihrer Ausstellung Echoes in der Kaufbeurer Künstlerstiftung beschäftigt sich Kathrin Ganser mit diesem Phänomen genauso, wie mit den Fehlern algorithmisierter Visualisierungsprogramme, die im Prozess ihrer Anwendung immer wieder auftreten. Ganser arbeitet sie ästhetisch auf: Angeschnittene Hausgiebel und Architekturen ragen fragmentarisch ins Bild, metallisch glänzende Strukturen flattern wie Drachenbänder durch die Luft, sich ineinander blendende Schärfen und Unschärfen kreieren rätselhafte, kaum auszumachende Umgebungen. Wie schon zuvor in der Kunsthalle Kempten (2018) und in der Augsburger Neuen Galerie im Höhmannhaus (2019) bilden digitale Bildkarten des Internets den Ausgangspunkt für künstlerische Um- und Neuformulierungen, die das gefundene fotografische Material in eigene fotografische Bilder transformieren. Fast zwangsläufig ergibt sich daraus auch die spezifische Ausstellungsstrategie der Künstlerin. Die von ihr verwerteten virtuellen Bilder werden in den Kaufbeurer Gewölberäumen nicht nur klassisch gerahmt in musealer Hängung präsentiert, sondern an Wänden, auf dem Fußboden und in Vitrinen auf Papier, Stoffbahnen und unterschiedlichen Bildträgern aufeinander Bezug nehmend arrangiert. Einzelne Bildräume werden zu Modulen eines großen Raumganzen, das so komponierte Raumbild zu einem eigenen, komplexen Kunstraum, der die Distanz zwischen Architektur und Kunstwerk aufhebt, und zu einer originären temporären Gesamt-Installation an Ort und Stelle werden lässt.

All die von Kathrin Ganser herangezogenen, ungefragt Präzision und Sicherheit vorgebenden virtuellen Bilderzeugnisse, soweit sie visueller Kartographie und Zuordnung dienen, werden von ihr als eine Art gefundener Vorzeichnungen benutzt, als im Netz aufgestöberte digitale Skizzenbücher, die sie zu eigenen künstlerischen Bildern aus- und ästhetisch umformuliert. Ob ihre oft abstrakten, hoch ästhetischen, nur manchmal noch dinghaft Erkennbares oder Lokalisierbares enthaltenden Kompositionen defekte Bilddateien zeigen – Rudimente ‚geplatzter‘ Bilder also – oder digital selbst eingezeichnete Linien, Strukturen, Bildkörper, all das lässt Ganser bewusst offen. Es ist deutlich mehr als ein nur subtiles ästhetisches Spiel im Raum, das der Besucher hier erfährt, sondern nicht weniger ein wahrnehmungskritisches (Selbst)Experiment, zu dem die Künstlerin den Betrachter beim Navigieren durch ihre Ausstellung einlädt.

Raumwahrnehmung, Raumprojektion, Raumkonstruktion, Raumdekonstruktion – Kathrin Gansers Echoes, der Nachklang ihrer künstlerischen Bilder, erfasst die Zentren wie Peripherien all dieser Momente zwischen realer Sichtbarkeit und virtueller Bilderzeugung. Und damit zugleich diejenigen der Frage nach den geographischen, soziokulturellen und politischen Grenzen realer Räume im Verhältnis zur davon anscheinend gänzlich losgelöst behandelbaren Grenzenlosigkeit der virtuellen Welt. Ohne dass dies explizit formuliert würde, spiegelt sich darin durchaus auch eine medienkritische Dimension, die auf den Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt des medial vermittelten Bildes an sich genauso abzielt, wie auf unseren Umgang mit ihm. Die Empfänglichkeit des Auges für immer neue Bildwelten, und mit ihr ein genauso stetig neu sich generierender „Hunger nach Bildern“, (wie Wolfgang Max Faust und Gerd de Vries ihn schon 1982 in Bezug auf die damalige Malerei der Gegenwart ausriefen) bleibt ein wesentlicher Kristallisationspunkt, den auch Kathrin Ganser stets im Kalkül hat. Ihre eigenständig faszinierende Bildsprache baut neben allem visuellen Kritizismus nicht zuletzt auch darauf auf.

Text: Thomas Elsen (Kurator, H2-Zentrum für Gegenwartskunst Augsburg)