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MAJA WEYERMANN
 

BAUNETZWOCHE #385, OKT. 2014, DIE MODERNE ALS RENDERING - DIE KUNST VON MAJA WEYERMANN; SOPHIE JUNG

Ihr Medium ist das Rendering: Mit künstlichen Welten zeigt Maja Weyermann, wie
der Computer unsere Wahrnehmung verändert hat. Ihr Thema ist das Unbehagen an
der Moderne, als die Nachkriegsarchitektur in typisierter Monotonie zu erstarren drohte. In ihren Renderings blickt Weyermann aus heutiger Perspektive auf diesen Moment
der Krise.

Die Architekturzeichnung hatte immer etwas Visionäres. noch bevor ein Gebäude errichtet wird – und häufig ohne dass es jemals errichtet wird – gibt die Zeichnung eine Vorstellung davon, wie das Leben an diesem Ort in Zukunft sein könnte. Die Zeichnung ist eine Imagination der sozialen, technischen und ästhetischen Möglichkeiten der Architektur. Und manchmal geht sie darüber hinaus und reicht ins Utopische. So projizierte Schinkel mit seinen Bildern des Alten Museums ein hellenistisches Ideal-Berlin, das mit der städtischen Realität jener Zeit wenig zu tun hatte.
Inzwischen wurde die Zeichnung längst von Renderings abgelöst, von digitalen Darstellungen, die mit mathematischer Präzision die Realität simulieren. Manchmal haben sie noch etwas Imaginäres, wie bei der Elbphilharmonie von Herzog & De Meuron, doch meist bleiben sie näher an der Gegenwart. Lässig sehen zum Beispiel die tablet-Journalisten in den Renderings des neuen taz-Gebäudes von E2A Architects aus. „Sie schauen auf Bildschirme, halten Smartphones ans Ohr, man sieht sie einzeln, in Gruppen, auf Sofas lümmeln und an Schreibtischen arbeiten“, beschreibt Dirk Knipphals von der Literaturredaktion der taz. „Toll sieht das aus, aber auch ein bisschen nach Starbucks. so wie sich Architekten eben vorstellen, wie wir uns als moderne Medien-Menschen unser Leben und Arbeiten wünschen.“
Die Architekturzeichnung ist in der Kunstgeschichte ein eigenes künstlerisches Genre, das noch immer von vergangenen Sehnsüchten und Visionen erzählt. Im Architektur-Rendering hat die Zukunft dagegen nur selten einen Platz, meist zeigt es eine Variation der Gegenwart. Fast so, also ob die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe schon Herausforderung genug sei.
Es ist, wie es Dirk Knipphals mit seinem Starbucks- Vergleich andeutet, ein Werbemedium.
Die Berliner Künstlerin Maja weyermann beschäftigt sich mit dieser Ambivalenz, ihre Arbeiten untersuchen die Bedingungen des Renderings, aber als künstlerisches Medium. Ursprünglich aus der Schweiz stammend, lässt sie mit ihren Bildern schon seit 1998 künstliche Architekturen entstehen. Deren Vorbilder findet sie in existierenden Bauten, auf die sie neue Sichtweisen eröffnet. Ihr Gegenstand ist die Moderne, also jene Epoche, die so visionär sein wollte wie keine je zuvor. Ihre digitalen Simulationen sind jedoch eigenwillig; ihre Räume sind leer. Menschen werden darin nur durch Spuren angedeutet. Die Perspektiven ihrer Renderings überlagern sich, als Betrachter ist man irritiert. Bedient sich Maja Weyermann eines Werbemediums, so befreit sie es zugleich von dieser Aufgabe. Die Geschichte und Symbolik der modernen Architektur wird dadurch gleichsam dekonstruiert.
„Wie wirkt sich die Einführung des virtuellen Raums auf unsere Wahrnehmung und Darstellung desgleichen aus – diese Frage habe ich mir gestellt, als ich 1998 anfing, mit 3D-Programmen zu arbeiten. Die Erfindung der Zentralperspektive zu Beginn der Renaissance hat zum Beispiel das Raumverständnis völlig verändert,“ sagt Maja Weyermann.
Das Farnsworth House (1951) von Mies van der Rohe und das Miller House von Eero Saarinen (1953) sind Ikonen, die den ästhetischen Dogmen der Moderne folgen: offener Grundriss, Flachdach, Stahl- und Glaskonstruktion. Anhand von Plänen und eigenen Untersuchungen simulierte sie in mehreren Serien deren Innenräume, zunächst jene des kleineren Farnsworth House (2000, 2004), dann die des repräsentativeren Miller House (2012, 2013). Ihre Interieurs zeigen lichte Räume mit Blick ins parkähnliche Grün der Gärten. Panoramafenster und Stahlträger reduzieren die Architektur auf klare Achsen. Das Mobiliar – Designklassiker wie ein Plastic-Side- Chair von Eames oder ein Mies’scher Barcelona-Chair – ist sachlich. Doch die
Bilder sind überblendet, die Sicht ist unscharf. In ihnen spiegeln sich verschiedene Blicke auf den Raum. Die Mythen einer modernen Ästhetik – Transparenz, Klarheit und Funktionalität – erfahren in Weyermanns Renderings eine vielfache Reflektion und werden so relativiert.

„Es geht um eine Auseinandersetzung mit der kulturellen Erinnerung, die mit den Räumen assoziiert wird. Saarinen nimmt bei der Residenz für den Industriellen und Architekturförderer J. Irwin Miller und seine Frau Xenia Miller Bezug auf die Stahl-und-Glas-Architektur von Mies van der Rohe, insbesondere auf das Farnsworth House. Wie in den Renderings, gibt es auch bei der Wahl der Gebäude eine gewisse Symmetrie und Spiegelung.“
Während Mies und Saarinen in den USA Wohn- und Ferienhäuser für reiche Mäzene errichteten, entstanden in Europa nach dem Krieg wuchtige Wohnkomplexe, in denen sich der soziale und kulturelle Neuanfang räumlich manifestierte. Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille, Mario de Renzis und Saverio Muratoris Wohnquartier Tuscolano in Rom, Ernst Mays Siedlung für die Neue Heimat in München und Hamburg: freistehende Zeilenbauten und Punkthochhäuser auf grüner Fläche, rechtwinklige Präzision und klare Raster über zwanzig Etagen – der Nachkriegsfunktionalismus prägte für Jahrzehnte eine neue Ästhetik des Wohnens.
Die Totalität dieser Erneuerung machten vor allem italienische Regisseure schon bald zur Kulisse ihrer neorealistischen Filme. In Viscontis „Rocco und seine Brüder“ von 1960 zerbricht eine traditionelle Familie in der Szenerie eines Mailänder Sozialwohnungsbaus. Und Antonionis Protagonistin Giuliana verfällt in „Rote Wüste“ von 1964 angesichts der Monotonie der Betonarchitektur von Ravenna in eine Neurose.
In ihrer Giostra-serie von 2013 zitiert Weyermann erneut die Codes modernistischer Interieurs. Doch zugleich dringen Filmstills jener neorealistischen Regisseure in ihre Bilder. Schemenhaft taucht die Fassade einer Hochhaussiedlung aus Antonionis „l’Avventura“ im hellen Salon auf oder spiegelt sich das Bild eines Paars aus Cassavetes’ „shadows“ in einem Panoramafenster. Die Villa und die Wohnsiedlung – „beide Formen modernistischer Architektur zusammen und gleichzeitig zu sehen, das hat mich bei meinen jüngsten Arbeiten interessiert.“
In dieser räumlichen Überlagerung wird die ästhetische Utopie der Moderne zu einer rissigen Illusion. Der Verlust von Identität schwingt in den Filmstills psychologisch mit. „Die Filme von Fellini, Antonioni und Cassavetes, aus denen diese Szenen stammen, sind alle um 1960 entstanden, also kurz nach der Vollendung des Miller House“, erklärt Weyermann. „sowohl Antonioni als auch Fellini vermischten als neue narrative Technik surreale Elemente mit einer realistischen Darstellung. In ihren Filmen porträtierten sie auf unterschiedlichen ebenen eine stagnierende Gesellschaft im Zustand des Unter- oder Übergangs.“

Die von Weyermann zitierten Regisseure nahmen schon jenes Unbehagen an der Moderne vorweg, das später die Nachkriegsarchitektur und den Massenwohnungsbau in Verruf geraten ließ. längst in typisierter Monotonie erstarrt, wurden beide schon in den Siebzigern als entfremdend und unmenschlich kritisiert. In ihren Renderings blickt Weyermann aus heutiger Perspektive auf diesen Moment der Krise. Nicht von einer idealisierten Gegenwart handeln ihre synthetischen Bilder, sondern von der Geschichtswerdung einstiger Visionen und ihres Scheiterns.

Auch mit ihrer Chandigarh-serie (2006 – 2009) thematisiert Maja Weyermann eine Dimension der Moderne, die vom Idealbild abweicht, nämlich ihre koloniale Verflechtung als westliches Exportprodukt. es ist paradigmatisch für die Epoche zwischen 1930 und 1960, dass europäische Architekten oft zunächst außerhalb ihrer Heimatländer ihre Ideen realisieren konnten. In den Dreißigern waren Bruno taut, Martin Wagner oder der Schweizer ernst Egli in der jungen Republik Türkei tätig, ernst May war in Südafrika, die Briten Maxwell Frey und Jane Drew bauten im damals britischen Ghana und Nigeria. In den Fünfzigern arbeiteten dann George Candilis und Shadrach woods im französischen Protektorat Marokko und vor allem Le Corbusier in Indien, wo er mit Chandigarh den neuen Regierungssitz der Provinz Punjab entwarf. „Chandigarh ist teil einer europäischen Stadtgeschichte und gründet auf einem europäischen Raumkonzept,“ sagt Weyermann. „Mich hat die Stadt als hybrides Konstrukt interessiert“.

Le Corbusier ordnete Chandigarh in rechteckige Sektoren, die von breiten Straßen durchzogen sind. eine Harmonie auf dem Plan, eine „ursprüngliche Geometrie“, so der Architekt, „die auf der Schrittlänge eines Menschen beruht“. In der Architektur verband er moderne Formen mit einer traditionellen, regionalen Baukultur: wie eine abstrakte Skulptur wächst der High Court mit seiner massiven, langsam konkav sich wölbenden Fassade aus der grünen Landschaft des Punjab.
Weyermanns Blick auf Chandigarh zeigt menschenleere Interieurs und perspektivisch verschachtelte Räume. Wie geometrische Muster setzen sich die klaren Linien der Architektur ins Bild, schneiden sich Fensterachsen, Betonträger und Treppengeländer. Die Oberflächen sind roh und unbearbeitet, doch gegen die strengen Formen treten die Vegetation und auch Spuren des Verfalls. Für ihre Renderings hat sie ausgewählte Gebäude – darunter Wohnhäuser, eine Museumsbibliothek und die Architekturfakultät – in multiplen Perspektiven überlagert. Dabei konfrontiert sie die Ästhetik der Moderne mit zeitgenössischem leben: Kochtöpfe, ornamentierte Teppiche, patiniertes Holzmobiliar oder ein stiller Ventilator. Sie zeigt so die Ambivalenz Chandi- garhs, das zwischen der Absolutheit des Plans und den kaum planbaren Auswüchsen des indischen Alltags oszilliert. „Diese Bilder zeigen meine persönliche Annäherung an die Stadt“, so Weyermann.
Für ihr Chandigarh-Projekt hat Weyermann auf ein traditionelles Medium zurückgegriffen: Raumdarstellungen der Mogulzeit aus Nordindien waren häufig das Vorbild für die Perspektiven in ihren Bildern. Erneut treffen hier also vergangene Raum-Visionen auf Weyermanns zeitgenössischen Blick. Anstatt aber wie in der klassischen Architekturzeichnung oder den heutigen Renderings eine klare Vision vorzugeben, in der Identitäten und Sehnsüchte direkt angesprochen werden, reduziert die Künstlerin ihre Bilder auf Andeutungen und Schemen. Das werbende Rendering gibt Antworten, Maja Weyermanns Bilder stellen Fragen.