MALEREI ALS PROZESS DR. JÜRGEN SCHILLING
Malerei als ProzessMit seinen ungegenständlichen Gemälden bezieht Marc Schmitz eine Position, die sich nachdrücklich von in der aktuellen Malerei vorherrschenden Trends abhebt und knüpft zugleich an eine Tradition an, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts einsetzt und bis in die Gegenwart konträre Dispute evoziert. Seit Kasimir Malevitsch sein Schwarzes Quadrat auf einen weißen Hintergrund setzte – nach seinen Worten „[...] die nackte Ikone meiner Zeit [...] Das Königliche in seiner Wortkargheit“ – unternahmen verschiedenartig motivierte Künstler Anläufe, die Hegemonie der Farbe über das mimetische Abbild zu stellen. In Malewitsch’s Behauptung, jede malerische Fläche sei „lebendiger als jedes Gesicht, in dem ein paar Augen und ein Lächeln stecken. Das auf einem Bild gemalte Gesicht ist eine klägliche Parodie auf das Leben und lediglich eine Andeutung, eine Erinnerung an das Lebendige“, kulminiert eine Haltung, die ihren Ausgang im Schaffen Gustave Courbets nahm, der durch die Nobilitierung alltäglicher Sujets veranschaulicht hatte, dass es keine Grenzen hinsichtlich der „inhaltlichen“ Konzeption einer Darstellung geben dürfe. Die von den Avantgarden des 20. Jahrhunderts betriebene Abkehr vom Abbildhaften in der Malerei mündete schließlich seit den fünfziger Jahren in eine künstlerische Recherche abstrakt arbeitender Künstler, welche die Materialität des Bildes und die jeweils divergierenden Vorgänge bei seiner Herstellung methodisch thematisierte. Den amerikanischen Colourfield- painters – z. B. Jules Olitzki oder Larry Poons – und jenen Malern, die unter Begriffen wie Radical oder Fundamental painting, Analytische, oder Essentielle Malerei eingeführt wurden, ging es unter unterschiedlichen Vorzeichen um eine Reduktion auf wesentliche Elemente des Mediums, also die Substanz der Farbe ebenso wie die Art und Weise ihres Auftrags, ihre Organisation im Binnenraum der Leinwand sowie den Charakter des Bildträgers. Auf dieser planen Fläche, die – um mit dem Maler Maurice Denis zu sprechen – „in einer bestimmten Ordnung mit Farben bedeckt ist“, um sich zum Gemälde zu wandeln, soll – Clement Greenbergs Doktrin der modernistischen Malerei zufolge, welche die Negation des Illusionismus postuliert – deutlich werden, dass der „eigene und eigentliche Gegenstandsbereich jeder [...] Kunst genau das ist, was ausschließlich in dem Wesen des jeweiligen Mediums angelegt ist.“ Es sind folglich die Ausdrucksträger selbst, welche die Eigenart eines Bildes, seinen „Inhalt“ wie auch seine „Idee“ verkörpern und deren Effekte in ihrer Funktion als Darstellungsgegenstand erlebt sein wollen.
Marc Schmitz geht es gleichfalls um die Demonstration körperhafter Präsenz von Farben, ihre Konsistenz, emotionale Ausstrahlung und ihre wechselseitige Beeinflussung. In zahlreichen Schichten trägt er sie übereinander auf, beobachtet das Verhalten jeder Farblage, um ihre Erscheinung sodann durch einen erneuten Eingriff zu modifizieren bis das Ergebnis seiner Vorstellung entspricht. Die ungleiche Deckkraft dick- oder dünnflüssig angesetzter Farbgemengen hat zur Folge, dass überlagerte Schichten partiell bis zum Abschluss der Arbeit am Bild durchschimmern können oder als minimale Spuren an seinen Kanten aufscheinen. Diese – auch durch Zugabe von Terpentin verursachten – changierenden Transparenzen bewirken, dass sich auf der farbgetränkten Oberfläche pulsierende Vibrationen und wolkig wabernde Formationen konstituieren und den Eindruck sich auf den ersten Blick homogen darstellender Ebenen relativieren. Die monochrome Verdichtungen der Farbhaut werden auf abwechslungsreiche Weise aufgelockert: Er schüttet über zentrale Partien kleine Mengen Farbe oder Terpentin, deren ablaufende oder abperlende Ströme ihre Formierung und Ausdehnung dem gelenkten Zufall verdanken. Derartige Zusätze beeinflussen als unabhängig wirksame Strukturen die Bildräumlichkeit ebenso wie jene begrenzten malerischen Interventionen, mit denen der Künstler auf deren Atmosphäre Einfluss nimmt: Er setzt mit vom Grundton der Oberfläche abweichenden Farben minimale Signale wie Punkte und Striche, konstruiert komplexe zeichnerische Systeme mit figurativen Anklängen, deutet kritzelnd repetitive chiffrierte Schriftzeilen an und notiert mit raschen Pinselzügen lapidare Kurzsätze wie „I am still alive“ oder „change your life“, als handele sich nicht um die Gestaltung eines Gemäldes, sondern um ein für eine Häuserwand konzipiertes Graffito. Mit derartigen versatzartigen Zusätzen mischt sich Marc Schmitz in die verhaltene Stille des Bildgeschehens ein, indem er persönliche Spuren hinterlässt, welche über jene behutsamen chromatischen Überarbeitungen hinausgehen, die prinzipiell seine Oberflächengestaltung ausmachen. Diese ist determiniert durch einer überlegte, unprätentiöse Disposition der Farbe. Horizontal oder vertikal geführte, teilweise ineinander verlaufende oder zu optisch undurchdringlichen, soliden Massen verschmelzende Strichfolgen lassen auf die malerische Handlung schließen, welche darauf hinzielt, die materielle Fläche in einen immateriellen Bildraum zu umzuformen.
Ein gleichmäßig-harmonischer Rhythmus der Pinselführung gliedert die koloristisch sparsame Textur; das gezielte und doch beiläufig erscheinende Einflechten kleinteiliger, aber kompositionell relevanter Details wie eine kleine, die Ganzheit des Eindrucks konterkarierende Fehlstelle, eine vorgeblich unbewusst vollzogene Abschabung oder in den Verlauf eines gesättigten Pinselzuges integrierte farblich konträre Schlieren vermitteln das Gefühl von kontrollierter Spontaneität im Kontext eines strikt rational entworfenen all-over- Gefüges. Indem er das Augenmerk auf irritierende Einzelheiten der Faktur lenkt, unterstreicht Schmitz den Einfluss eines prozesshaften, auch Unvorhergesehenes einbeziehenden Vorgehens, welches letztlich zum Resultat führt. So staut und ballt sich vom oberen Rand über das Weiß einer Leinwand geschüttetes Schwarz zunächst, um sich dann ungeordnet in schmalen, sich verjüngenden Bahnen und über die vertikale Fläche zu ergießen. Diese unterteilen den Raum in Teilabschnitte und zeigen die Bedeutung der weißen Grundierung als eigenständig wirksames Farbelement auf. Das gilt gleichfalls, wenn Schmitz sie in den vibrierenden Räumen zwischen mit breitem Strich waagerecht gezogenen dunklen Bahnen stehen lässt oder wenn sich helle Streifen an unteren Zonen behaupten, die von faserigen Rinnsalen während des Arbeitsprozesses herunter geronnener Farben rhythmisch durchtrennt, vitalisiert und in Gegensatz zu dominierenden hermetischen Zonen gebracht werden.
Durch seine Fähigkeit, nicht nur die materiellen Konditionen, sondern auch den malerischen Gestus – zumindest hypothetisch – nachvollziehbar zu machen, vereinnahmt Marc Schmitz den Betrachter als aktiven Partner, dem er Geduld und Einfühlungsvermögen abverlangt, gleichzeitig jedoch ermöglicht, ästhetische Qualitäten zu erfühlen und an seiner individuellen, aus Erfahrung und Inspiration geborenen Idee teilzuhaben, deren energetisches Potential sich physisch erfahrbar manifestiert. Er konfrontiert ihn mit einer Malerei, die von sich selbst, dem konkreten Eigenleben ihrer Ingredienzien, den Kriterien ihrer sensiblen und wandelbaren Stofflichkeit sowie ihrer Manipulierbarkeit erzählt und durch Provokation der Sinne das Wahrnehmungsfeld erweitert. Im Zusammenspiel von Kolorit, Lumineszenz und struktureller Beschaffenheit wird das Wesen eines Werkes charakterisiert und die Aussage formuliert. Informationen über die Wandelbarkeit von Farbklängen – etwa durch Patina – und eine abwägende Nuancierung der Tonalität, welche die Bildfläche atmen lässt, auch ablesbare Hinweise auf Schmitz‘ Planung und Realisierung des Malaktes – von der Zeitbezogenheit seiner intuitiv nachvollziehbaren Gesten beim Auftragen der Substanzen, Anlegen der Lasuren und Disposition kalter und warmer Kontraste – bündeln sich zum Wissen über das Werk selbst. Beim Versuch, sich Marc Schmitz‘ Arbeit anzunähern, könnte eine Bemerkung Samuel Becketts über einen von diesem geschätzten Maler, Bram van Velde, hilfreich sein: „Er behauptet. Er stellt fest. Seine Mittel haben das Besondere eines Spekulums, sie existieren nur in Zusammenhang mit ihrer Funktion. Er interessiert sich nicht genug dafür, um sie in Frage zu stellen. Er interessiert sich nur für das, was sie widerspiegeln.“