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MEIKE JANSEN
 

LEGAL/ILLEGAL - WENN KUNST GESETZE BRICHT NEUE GESELLSCHAFT FÜR BILDENDE KUNST, BERLIN EIN GESPRÄCH ZWISCHEN SVEN BECKSTETTE UND MEIKE JANSEN

MJ: Deutschland im Jahr 1920: Das Militär putscht gegen die Republik. Die Revolution wird erwartet, da kapert der Dada-Schriftsteller Franz Jung einen Fischkutter - zu Lande wäre die illegale Reise in die Sowjetunion unmöglich gewesen. Und so beginnt "legal/illegal. Wenn Kunst Gesetze bricht" in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst mit den gefälschten Ausweispapieren Jungs. Auch wenn eigentlich zuvor noch der Print eines Plakats einzuordnen ist, das einen Boxkampf zwischen dem Poeten und Boxer Arthur Cravan im Jahr 1916 mit dem damals amtierenden Weltmeister ankündigt. Der illegale Akt, der hier zugrunde liegen soll, bleibt jedoch unklar. Überhaupt: Wo fängt Illegalität an, wann geht es um moralische oder kunstimmanente Grenzen? Etwa wenn Aufnahmen von G. W. Bush, deren Verbreitung untersagt wurde, die aber bereits von Michael Moore in "Fahrenheit 9/11" ausgeschlachtet wurden, hier als künstlerische Position präsentiert werden? Daneben werden mit rasiermesserscharfen Klingen versehene Plastikspielzeuge, die "Killer Cars" von Antonio Riello, gezeigt, die eindeutig nicht für Kinder geeignet, aber nicht illegal sind. Die Dokumentation einer Aktion Tony Labats aus dem Jahr 1978, bei der er einen kalifornischen Gouverneurskandidaten zu entführen versuchte, ist dagegen eindeutig. Etwa 20 Werke spiegeln so mehr den englischen Titel der Ausstellung "Art beyond Law/Kunst jenseits der Gesetze" wider, als dass man über das Für und Wider legaler oder illegale künstlerische Aktionen diskutieren möchte. Wünschenswert wäre in diesem Rahmen auf jeden Fall eine aktuelle künstlerische Aktion gewesen. Zudem ist es fast ärgerlich, dass verbotene Kunst so überhaupt kein Thema ist. Die Zeit des Dritten Reichs wird einfach komplett ausgespart und auch auf die Überschreitung religiöser Gesetze wird verzichtet. Nichtsdestotrotz: das Thema ist allemal spannend. Nur eben etwas unkonkret aufbereitet.

SB: Da stimme ich Dir zu und muss Dir dennoch widersprechen. Ich glaube, dass der Titel etwas unglücklich gewählt ist und die Ausstellung etwas ganz anderes zeigen will. Vergleicht man alle Kunstwerke, so handelt es sich bei den versammelten Stücken immer um vergangene oder geplante Aktionen. Materielle Kunstwerke sind die Arbeiten nur insofern, als sie Zeugnis über die entsprechenden Taten geben. Daher bin ich mir gar nicht sicher, ob der Untertitel "Wenn Kunst Gesetze bricht" wirklich zutrifft. Natürlich spielt der Satz mit einer Widersprüchlichkeit und ist wahrscheinlich deshalb gewählt: Kunst an sich ist weder "legal" noch "illegal" (das gilt im übrigen auch kunstimmanent betrachtet) und kann deshalb nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen, sondern immer nur der Künstler, Besitzer oder Verbreiter einer Arbeit in einem bestimmten juristischen Rahmen. Allerdings, warum nicht mal ein Kunstwerk verklagen? Mit dem Tod des Autors ist es doch eigentlich sowieso völlig auf sich alleine gestellt, da wäre es doch nur logisch, wenn es auch rechtlich belangt werden könnte und nicht immer der Urheber oder Eigner herhalten muss. Aber im Ernst: Auch der Katalog ist ja eigentlich voll von weiteren Beispielen, bei denen Einzelne oder Gruppen (nicht alle sind Künstler im klassischen Sinne) mit Handlungen gegen feststehende Normen und Gesetze verstoßen und damit im harmlosesten Fall Irritation bei ihren Mitmenschen hervorrufen. Deshalb versteht sich das kleine Büchlein ja auch als ein "Ideen-Handbuch der Guerilla-Art", das ausdrücklich zur Nachahmung anregen soll. Ich stimme daher mit Dir vollkommen überein, dass man auch die Ausstellung mutiger hätte gestalten sollen. Einfach Kunstwerke zu präsentieren, die sich bereits im Gefängnis der historischen Absicherung befinden, ist nicht gerade subversiv für eine Ausstellung, die gleichzeitig zum zivilen Ungehorsam aufruft.

MJ: Ich glaube ja eher, dass man hier dazu gezwungen wird "Gesetze" nicht nur im Sinne eines judikativen Rechtbegriffs zugrunde zu legen. Geht es hier nicht auch um moralische und gesellschaftliche Richtlinien? Kunstimmanente Begrenzungen hingegen interessieren mich nicht. Da kommen wir ansonsten auch auf die überflüssigste Diskussion, die ich mir denken kann: was ist Kunst und was nicht. Obwohl gerade in diesem Zusammenhang die Frage wichtig wird. Nimm etwa das Plakat zu Cravans Boxkampf. Der wollte wegen dem Geld mit dem amtierenden Weltmeister in den Ring steigen. Okay, der eine war ein schwarzer, der andere ein weißer Mann. Sollte das etwa in der damaligen Zeit eine gesellschaftliche Grenzüberschreitung gewesen sein? Boxen war in den Zwanzigern ja ansonsten nicht wirklich unschick. Zudem hat Arthur Cravan schon seit Jahren aktiv geboxt. So entzieht sich mir hier eigentlich der Bruch mit jeglicher Gesetzgebung. Vielleicht bin ich aber auch schlecht informiert. Aber die Präsentation ist ohnehin nicht ausreichend begleitet, denn auch in dem Buch lässt sich nicht viel zu Cravans Intentionen über das Geldverdienen hinaus finden. Und somit komme ich auf die nächste Frage: Ist Kunst, die ausschließlich zum Geldmachen produziert wird keine Kunst mehr? Vielleicht haben die OrganisatorInnen auch die eher zu erwartenden linken BesucherInnen mit diesem unüberschaubaren Wust an Grundsätzlichkeiten bewusst in die Enge treiben wollen. Wären dort nur knallegeile, zeitgenössische Positionen zu sehen, würden doch alle "Juchhu!" schreien und selbst was machen wollen. Das wäre viel deutlicher als eine Aufruf im Begleitmaterial zu verstecken. So bleibt die Kunst im Kopf, etwaiger Aktionismus wird in Theorie erstickt. Eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wohl die meisten KünstlerInnen bei ihrer Arbeit im Sinn hatten.

SB: Das sehe ich auch so. Darüber hinaus stellen sich mir bei diesem Thema noch weitere Fragen: Auffallend ist doch, dass es eigentlich immer die gleichen Anschuldigungen sind, mit denen auf Kunst losgegangen wird: Pornographieverdacht, Beleidigung von Obrigkeiten (religiöse und weltliche), Gewaltverherrlichung und die üblichen anderen Anklagepunkte, die der Kunst von je her vorgeworfen werden. Auf der anderen Seite ist das Bild des Künstlers als Agent provocateur genauso zum Klischee erstarrt und greift deshalb vielfach nicht mehr. Und das ist auch ein Dilemma, das bei diesem Thema deutlich wird: Wie wirkungsvoll ist Kunst als gesellschaftsveränderndes Instrument überhaupt? Auch eine blöde Frage, natürlich, und ich bin der Meinung, dass die Tat mehr zählt als resignatives Nichtstun, aber trotzdem hat sich die Ohnmacht bei den US-Wahlen wieder einmal deutlich gezeigt. Da können noch so viele Künstler Aktionen gegen Bush machen, Michael Moore kann seine Filme noch so oft im Fernsehen zeigen, es hilft alles nichts, im Endeffekt ist und bleibt die Kunst eine stumpfe Waffe, ganz egal wie viele Messer sie an Kinderspielzeug befestigt. Und deshalb ist es genau die Arbeit von Antonio Riello, präsentiert in einer Vitrine, die das Sinnbild der Ausstellung ist: Die Kunst schützt sich vor sich selber.

MJ: Da bist Du wieder am Anfang: Kunst in den Knast. Auch wenn es hier ein selbst gewählter Glassarg ist und die KuratorInnen leider ein wenig an die PrinzessInnen erinnern, die die Kunst wach küssen, indem sie ihm einen Rahmen - Ausstellung und Überschrift - geben. Ich will aber keine künstlerischen Positionen, die allein auf KunsthysterikerInnen abzielen. Ich hätte mir schon provozierendere, mutigere Statements gewünscht. Sonst kann man auch eine Blümchentapete an die Wand kleben und behaupten, das verdeutliche, wie unpolitisch die Welt ist oder eben das Luftballons, wie von der US-Amerikanischen Künstlerin Ann Messner 1979 in U-Bahnen aufgeblasen, an illegale Kunst grenzen. Und solange man in diesem Pleitestaat nicht konkret daran arbeitet Haschisch zu legalisieren und so über Steuern vielleicht etwas Geld ins marode Säckle zu wirtschaften, der Besitz kleinerer Mengen aber gleichzeitig geduldet wird, ist der "Vaporizer," von Georg Winter recht belanglos. Etwas in der Art kann man in Kiffermagazinen bereits seit Jahren bestellen. An der ausgestellten Inhalier-Bar nur mit Pfefferminze oder andere Kräuter zum Inhalieren aufzuwarten, das interessante Röhrchen mit THC-haltigem Marihuana allerdings leer zu lassen, ist schon ziemlich schlicht.

SB: Ich weiß nicht, ob man dabei mit einer Verweigerungshaltung weiterkommt, bloß weil ein einziger Sachverhalt sich in rechtlicher Schieflage befindet. Aber da sind wir eigentlich beim Grundprobelm angelangt: Welche Formen des Protestes sind eigentlich heute zeitgemäß? Niemand käme auf die Idee, private Fernsehanstalten zu sabotieren oder Kaufhäuser anzustecken. Graffitis mit politischen Parolen im öffentlichen Raum werden ebenfalls eher als bloße Schmiererei denn wirkliche individuelle Meinungsäußerungen wahrgenommen. Auch traditionelle Protestveranstaltungen wie die sogenannte "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" gleichen inzwischen einem verspäteten Karnevalsumzug als das sie tatsächlich inhaltlich motivierte Akte des Aufruhrs sind. Verlagert sich der "Widerstand" auch hier ins Internet, indem Server von Großkonzernen temporär lahmgelegt werden? Vielleicht besitzt die Kunst als Protestmittel aber einen Vorteil gegenüber diesen Handlungen: Eben weil sie sich in einem rechtsfreien Raum befindet, ist es ihre Distanz, die sie zu einem Reflexionsmedium werden lässt, mit dem sich konkrete Fragen veranschaulichen, diskutieren und kritisieren lassen. Denn etwas gilt nach wie vor: Think - it ain't illegal yet.

(Zur Ausstellung ist ein Buch erschienen: 256 Seiten, 17 €)