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MORITZ HIRSCH
 

NAVIGATIONTOOLS <EM>RALF HANSELLE</EM>

Fotografien sind Zeichen. Eine komplexe Wirklichkeit wird auf der fotografischen Fläche zu einem vermeintlich lesbaren Code verdichtet. Die Anordnung von Formen, Linien und Farben scheint die Welt fassbarer zu machen. Im Idealfall entschlüsselt sich alles mit einem einzigen Blick. Der sterbende Mann etwa auf Robert Capas «Loyalistischer Soldat» codiert den Wahnsinn des modernen Krieges; Dorothea Langs «Migrant Mother» zeigt die visuelle Struktur einer modernen Pieta. Nicht immer ist die Lesbarkeit der Welt derart simpel wie auf diesen Ikonen. Doch es scheint, als hätte sich die Sprache der Fotografie in den zurückliegenden Jahrzehnten mehr und mehr standardisiert und verdichtet.

Die Zeichenhaftigkeit der Fotografie scheint auch Moritz Hirschs Serie «Navigationtools» zu durchziehen. Wer in den 80er Jahren mit Kassetten und Videorecordern aufgewachsen ist, der kennt die Bedeutung der farbigen Pfeile, Linien und Quadrate dieser generativen Bilder ganz genau. Hier scheint kein Spielraum mehr für Missdeutung oder Interpretationen zu sein. Die Zeichen auf den Funktionsknöpfen zeiteditierender technischer Geräte sind längst zu Symbolen unseres Alltags geworden; vertraut wie die Formen und Linien eines alphabetischen Codes.

Und doch, auch die fotografierte Welt ist nicht immer so simpel wie sie erscheint. Wenn man die Symbole, wie Hirsch es getan hat, isoliert und von ihrer reinen Funktion befreit, stellen sich plötzlich ganz neue Fragen: Wie etwa konnte es dazu kommen, dass wir in den fast suprematistischen Formen eindeutige Botschaften und Handlungsanweisungen zu erkennen glauben? Und was bezeichnen die auf den quadratischen Fotopanels abgebildeten Zeichen eigentlich genau? Antworten lässt Hirsch zunächst offen. Statt sich mit dem visuell Dargestellten zu beschäftigen, verweist der Künstler auf die mediale Darstellungsweise. Schaut man sich die «Navigationtools» nämlich genauer an, dann erkennt man die ihnen eingeschriebene Prozesshaftigkeit ihrer Entstehung: Hirsch hat seine «Navigationtools» zunächst digital auf dem Computer erzeugt, anschließend analog vom Monitor abfotografiert und in einem dritten Schritt als Handabzug in der Dunkelkammer ausbelichtet. Das Ergebnis ist eine Verfremdung und Verzerrung, die sich aus der Überlagerung additiver (RGB) wie subtraktiver (CMY) Farbmischungen ergeben hat. In die Oberfläche der zeiteditierenden Zeichen hat sich die Zeit selbst editiert.

Ist das nur eine technische Spielerei? Keineswegs. Mit seinen «Navigationtools» verweist Moritz Hirsch auf eine durch Fotografie und andere Speichermedien veränderte Zeiterfahrung. Das vermeintliche «Medium des Augenblicks» hat einen bis dato unbekannten Zeit-Raum eröffnet. Die Möglichkeit, das Gewesene zu konservieren und an einem beliebigen Punkt in der Zukunft erneut ins Bewusstsein zu bringen, hat die Zeitachse in sich selbst verschiebbar gemacht. Wir können vor- und zurückspulen; löschen und dank Bildbearbeitungstools sogar überschreiben und ungeschehen machen. Wir bedienen die Zeit wie ein Pilot ein Flugzeug. Die «Navigation Tools» verhandeln also weniger jene Zeichen, die sich auf den hinter Glas kaschierten Fotoprints abgebildet haben; sie verhandeln die Zeichenhaftigkeit des Mediums selbst. Fotografien sind Zeichen – Zeitzeichen.