BEGLEITTEXT ZUR AUSSTELLUNG "ICH BRAUCHE WENIG WIRKLICHKEIT" IN DER GESELLSCHAFT FÜR AKTUELLE KUNST GAK BREMEN, 2014 VON JANNEKE DE VRIES
Die künstlerische Arbeit von Nina Hoffmann (*1980, lebt in Berlin) kreist wesentlich um Begehrlichkeiten. Was begehren wir und warum? Wünschen wir uns, was faktisch vorhanden ist oder laufen wir eher einer Vorstellung hinterher, unseren Projektionen? Wie und wo verläuft die Grenze zwischen Realität und Projektion/Ideal und kann man sie sichtbar machen? Das sind einige der Fragen, denen Nina Hoffmann nachgeht. Sie interessieren die Geschichten, die unser Leben schreibt und die uns bei aller Individualität verbinden: Unser tägliches Tun, unsere Zielsetzungen, das, was unsere Auffassung von den Dingen prägt, die Wege, die wir einschlagen, um zu bekommen, was uns erstrebenswert erscheint...Für ihre erste institutionelle Einzelausstellung Ich brauche wenig Wirklichkeit (ein Interview-Zitat von Heinrich Böll) inszeniert sie in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst unterschiedliche Stationen des Begehrens und spielt verschiedene „Narrationen von Liebe“ (Nina Hoffmann) durch. Liebe als das große Thema der Menschheit, das unser tägliches Leben so sehr prägt, die Erwartungen und Ideale, die an sie geknüpft sind, die Enttäuschungen, die wir alle ihretwegen auszustehen hatten, sowie ihre Überladung mit Klischees aus Werbung, Film oder Boulevard – all dies wird von Hoffmann in einem vielfältigen Parcours aus Text und Fotografie, Film und Installation, Readymade und Diaprojektion nicht nur umgesetzt, sondern präzise in die Räume der GAK eingepasst.
Dabei pendeln ihre Arbeiten beständig zwischen den Polen von durchdachter Inszenierung und Zufälligkeit oder Autobiografie und Allgemeingültigkeit. Ausgangspunkt ihrer Werke können etwa die unerfüllten Lieben der Künstlerin, ihre Freunde und Familienmitglieder sein. Doch wird die private Ebene nicht eingesetzt, um ein Bild ihrer eigenen Befindlichkeit zu entwerfen, sondern genutzt, um vorzuführen, was wir alle tun, wünschen, kennen und wissen. Und sie wird immer wieder konterkariert mit kollektiv gültigen Bildern von Hollywoodklischees, Urlaubssehnsüchten oder dem Aufbruch zu neuen Ufern. Im Ergebnis wird Ich brauche wenig Wirklichkeit von einer Atmosphäre geprägt, die die umgebende Architektur und deren Lichtverhältnisse als Material mit einbezieht und getragen wird von einer eigenwilligen Mischung aus Melancholie, Schonungslosigkeit, Humor und Zartheit:
Den Auftakt macht die zweiteilige Arbeit Ich brauche wenig Wirklichkeit, die der Ausstellung ihren Titel gibt. Dafür hat Nina Hoffmann Personen, in die sie einmal unglücklich verliebt war, aufgesucht und mit ihnen Gespräche geführt, um einen Abgleich zwischen (ihren) Wunschbildern und der gelebten Realität vorzunehmen. Die Interviews sind in einer kleinen Publikation zusammengefasst, die mit in die Ausstellung genommen werden kann. Ergänzend verstellen im Eingangsbereich der Präsentation mehrere Drehwände den Besucher/innen den Weg. Sie dienen als Displays für Fotografien, die von Hoffmann nachinszenierte Sehnsuchtsmomente der unterschiedlichen, unerfüllten Beziehungen mit den betreffenden Personen zeigen. Um ihren Weg durch das Werk und in die Ausstellung zu finden, müssen die Besucher/innen die Drehwände bewegen und werden somit zu Mitgestalter/innen der Installation. Dadurch verlässt die Arbeit die rein biografische Ebene, kreist nicht mehr um intime Momente aus dem Leben der Künstlerin, sondern bezieht uns alle ein mit unseren Erfahrungen und den Bildern, die wir in uns tragen.
Wie sehr unsere Vorstellungen von Liebe, zwischenmenschlichen Beziehungen und Leidenschaft von Stereotypen bestimmt werden, thematisiert die anschließende Projektion You Kiss By The Book. Sie zeigt Ausschnitte aus Hollywoodblockbustern und reiht deren Kussszenen zu einem gefühlt unend-lichen Loop aneinander: Richard Gere küsst Julia Roberts küsst Edward Harris küsst Mary Elizabeth Mastrantonio küsst Kevin Costner küsst Jennifer Aniston usw. Die Tonspur des Filmes besteht aus einem eigens komponierten Lied – eine einfache Melodie, die von Nina Hoffmann wie bei einer Probe mitgesummt und leise gesungen wird, inklusive kleiner Tonwackler oder Verspieler des Pianisten. Der Ausdruck „You kiss by the book“ beschreibt einen Zustand, etwas vorschriftsmäßig, wie auswendig gelernt, nach Schema F zu tun. Neben den Vorbildern, die uns Hollywood als Liebe vorgibt, wird hier der Leistungsdruck formuliert, der sich selbst in zwischenmenschlichen Bereichen einschleichen kann: „Sehe ich gut aus?“, „Küsse ich gut?“, „Bin ich gut im Bett?“ , „Bin ich klug/lustig/sympathisch genug?“ etc.
Dieser Faden wird im anschließenden, in gedämpftem Zwielicht gehaltenen Mittelteil der Ausstellung weiter gesponnen. Underperformer ist da zunächst mit großen Schrifttafeln spiegelverkehrt in die Fenster der GAK gestellt. Der englische Ausdruck bedeutet so etwas wie „Versager“, „Jemand, der seine Performance nicht bringt“. Er steht damit für eine Leistungsbeurteilung, die sich nicht ausdrücklich auf ein Ergebnis konzentriert, sondern die Art und Weise einbezieht, wie man sich darstellt, wie man „performt“, welchen Anschein man bietet. Den Anschein von etwas formuliert auch der zweite Teil der Arbeit: Auf zwei einander gegenüberliegenden Wänden zeigt sich das Schattenbild einer Mannes in klassischer Pose, die Hände in den Hosentaschen. Ein leerer, antikisierender Sockel steht in der Mitte des Raumes. Er ist so konzipiert, dass sein Schattenbild sich mit den beiden Wandprojektionen verbindet. Das Ergebnis sind die Projektionen einer männlichen Figur in zwei unterschiedlichen Perspektiven auf einem idealisierenden Podest, das tatsächliche Podest dagegen ist verlassen. Wer in dieser Konstellation der titelgebende „Underperformer“ ist, bleibt bewusst offen: Sind es diejenigen, die die spiegelverkehrte Schrift in den Fenstern nicht entziffern können? Ist es die nur in der Projektion wahrzunehmende, also real abwesende männliche Figur? Oder ist es die Person, die sich mit Wunschbildern beschäftigt, die sich nicht auf die Wirklichkeit übertragen lassen, also imaginiert, was nicht existent ist?
Ebenfalls mit idealisierenden Wunschbildern und der Unmöglichkeit ihrer Erreichbarkeit beschäftigt sich Alle Lust will Ewigkeit im letzten Ausstellungsteil. Ausgangspunkt war hier die Sage von Pygmalion, der sich in eine von ihm selbst geschaffene Frauenstatue verliebt. An solche Gedanken knüpft auch der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit an, wenn er die Frauenkategorien unterscheidet, an denen sich Männerfantasien entzünden: Mutter, Hure, Krankenschwester und Statue. In Alle Lust will Ewigkeit sind es im Umkehrschluss antike Männerskulpturen, deren Bilder an die Wand geworfen werden. Neben ihnen ist eine Projektion der Künstlerin Nina Hoffmann zu sehen, die versucht, nach dem Ideal (also der Statue) zu greifen. Doch diese entzieht sich ihrer Berührung, indem ihre Darstellung auf der Wand langsam verblasst.
Der weitere Raum ist angefüllt mit Postkarten in unterschiedlichen Stadien und Zuständen: Auf einer blauen Wand finden sich angefangene, nicht zu Ende geschriebene Postkarten, die Nina Hoffmann über eine längere Zeitspanne gesammelt hat. Ihre beschriebene Seite kehrt sich den Betrach-ter/innen zu und bleibt so lesbar, ihre Bildseite wurde groß abgezogen und als hinterfassender Grund auf die Wand gebracht (Aller Anfang). Die Projektion Meine Haare sehen wie ein Kornfeld aus fügt Zitate aus weiteren, gefundenen Postkarten hintereinander und lässt so ein Portfolio typisch menschlicher Themen entstehen, das sich aus „Freundschaft“, „Schicksalsschlägen“ „Liebe“ oder „Sehnsucht“ zusammensetzt. Und mit der Arbeit Achim schließlich markiert Nina Hoffmanns Ausstellung den Sprung aus der Ausstellungsinstitution in den Außenraum. Ein Fernglas auf der Fensterbank der GAK animiert zum Blick nach draußen, auf die Weser. Genau gegenüber, auf der anderen Flussseite, liegt ein kleines, weißes Ruderboot zwischen den Bremer Ausflugsschiffen vertäut. Wer durch das Glas schaut, wird den Namen des Bootes entziffern können: „Achim“. Er markiert zum einen den Wechsel menschlicher Befindlichkeiten, wie sie im gesamten Verlauf der Ausstellung durchgespielt wird, in etwas Anderes, etwas Dingliches. Oder anders: Menschliche Befindlichkeiten werden durch die Namensgebung an das Dingliche gekoppelt, in das Dingliche übertragen. Um so mehr, als sich der Name nachvollziehbar herleitet aus einer der Postkarten auf der blauen Wand, die die Sorge um einen Freund zum Ausdruck bringt und eine Situation beschreibt, deren Ende wir nicht kennen...
Für die Hilfe bei der Entstehung ihrer Ausstellung dankt die Künstlerin folgenden Personen:
Akiko Bernhöft, Alexander Gheorghiu, Janneke de Vries, Bodo Schlack, Cristina Gimenez, Eva Sonntag, Filip Caranica, Iris Janke, Svea Kellner, Johannes Kullen, Sirko Möge, Jasper Kettner, Kathrin Sonntag, Konrad Florian Emeis, Sven Klinkerfuß, Roland Brauchli, Mariechen Danz, Michael Brauchli, Sharman Riegger, Silva Agostini, Z. Schmidt, Soetje Marie Beermann, Vredeber Albrecht, Sebastian Heidinger, Anna Nezel und Christina Suckel