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PAULA BÖTTCHER
 

AUS DEM “WHITE CUBE"! OFFENER BRIEF DER GALERIE PAULA BÖTTCHER

Die Ausstellung “Attackierende Poesie" von Elena Kovylina, welche am 21.11.2003 eröffnet wurde, ist die letzte Ausstellung der galerie paula böttcher. Ich sehe diese Entscheidung als die einzig mögliche Konsequenz, sowohl für mich persönlich als auch für alle unmittelbar wie mittelbar Beteiligten.

Ich beginne biografisch: Von 1991 bis 1998 studierte ich an verschiedenen Kunstakademien, ich trat diese Studien mit dem Traum an, Künstlerin werden zu wollen. Ich hing den Traum an den Nagel, weil ich das, was ich sagen wollte, nicht mit künstlerischen Mitteln sagen konnte. Umso mehr achtete ich jene, welche die Konsequenz und das Selbstbewusstsein dafür haben, durch Kunst ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. Das war das erste Motiv dafür, dass ich im Sommer 1997 eine galerie eröffnete. Dieser Schritt war ebenso naiv wie das zuvor begonnene Kunststudium, aber es war zumindest ein bewusster Schritt. Ich wollte denen, die ihr Denken und Tun als Berufung konsequent leben, eine Plattform und einen Rückenhalt geben. Eine heilige und geschützte Halle für ihre Ideen und formulierten Gedanken bauen, die gleichzeitig eine Tür hat. Eine Tür zur Öffentlichkeit, zur Gesellschaft, um mit ihr in Kommunikation zu treten. Es ging mir in erster Linie um Austausch in dem Sinne, dass das was gesagt und gezeigt wird, durch Gesehen- und Verstandenwerden und einer damit verbundenen emotionalen und/oder geistigen (Be)rührung / Bewegung der “Aussen"welt einem Sinn zugeführt wird und zugleich Sinn stiftet.
Mein Blick auf all das hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Ich habe viele Illusionen verloren. Ich habe sie gern verloren, weil der Verlust beschenkt einen mit einer neuen Klarheit. Der zu Anfang genannte Schritt ist sehr bewusst gesetzt und hat mit Naivität nichts mehr zu tun.

Als galeristin bin ich Teil in einer Maschinerie geworden, die äußerlich zwar bunt und lieblich erscheinen mag, aber an Monstrosität den größeren Konstruktionen, denen sie devot auch zu Diensten ist, in keiner Weise nachsteht. Die galerie als Element des Kunstmarktes dient rein wirtschaftlichen Zwecken. Vermeintlich auch jenen wirtschaftlichen Zwecken, die das Überleben der zum Künstlersein Berufenen sichert. Das ist ein gut funktionierendes Alibi für eine Maschine, die fließbandartig marktorientierte Trivialästhetik und opportune Haltung produziert bzw. produzieren lässt, Trends vorgibt und bedient, die nichts anderem dienen als dass die Kontrolle der Kultur durch Ökonomie und Ideologie gewährleistet ist. Längst sind Kunstwerke zu spekulativen Wertpapieren degradiert worden und die Kunstwelt selbst ist nur mehr als Puffer- und Spekulationszone für Wirtschaft und Politik ein Funktionsteil.
Die Galeristen sind die kleinen Rädchen, die sich begierig und geschäftig im Takt drehen. Sie tummeln sich ihren großen Läden und auf ihren kleinen Märkten und sind die schöngeistigen Erfüllungsgehilfen einer Kultur des Konsums und der Gewalt.
Gibt es darüber hinaus etwas zu sagen? Ja, und da lagen meine eigentlichen Ambitionen. Nämlich “das Andere", meinetwegen das Absurde und Unbequeme, dem Kunst Raum und Form geben kann, ausfindig zu machen und es in die Welt zu werfen. Daran mitzuwirken, dass einer satten, aber maroden Gesellschaft wieder ein (kulturelles) Bewusstsein gegeben wird. Die dem Galeristen zugestandene Rolle als “gate-keeper" zwischen Kunst und Gesellschaft ernst und wahr zu nehmen. Die Tatsache ist jedoch, dass auch in Zeiten untragbarer gesellschaftlicher Desaster kaum einer das Kaufmannsladenspiel hinterfragt oder gar unterbricht. Denn: “Wir sind doch nur Galeristen." Das ist ein kleingeistiger Rückzug in eine scheinbare Verantwortung, die aber eigentlich Interessengebiet ist und sich der wirklichen Verantwortung verschließt.
In der Art und Weise, wie ich die galerie führte, habe ich versucht, als Sandkorn im Getriebe zu fungieren. Nämlich dem Revoltieren vor dem Bedienen, dem Veranschaulichen vor dem Verkaufen den Vorrang zu geben. Mir ist dabei ein großer Teil meiner Kraft und Energie verloren gegangen. Weil ich mich mentalen und menschlichen Enttäuschungen ausgesetzt sah und weil der permanente Druck, in dieser Maschine zu überleben und das Überleben der Künstler zu gewährleisten, den differenzierten Blick wie die Möglichkeit zur Reflexion und zur Einnahme einer dissidenten Haltung erst verklärt und dann unmöglich macht. Damit sehe ich für mich den weichspülenden, ja destruktiven Aspekt einer Galerie als entlarvt und stelle unter solchen Gesichtspunkten die Rolle eines Galeristen und dessen Wirksamkeit in heutiger Zeit in Frage. Somit mein Wirken und meine Wirksamkeit selbst.
Gibt es einen Weg da heraus? Diese Maschine angreifen und sie vernichten könnte nur eine Form, die autark ist. Die sich jenseits von Abhängigkeiten und korrupten Verbandelungen mit lauter Stimme erhebt. Geschichte und Gegenwart führen uns immer wieder vor, dass solche Formen von der Maschine vereinnahmt und für ihre Zwecke manipuliert werden - und: sich vereinnahmen und manipulieren lassen. Und als nivellierter, gefügig gemachter Schmuck dienen. Oder sie werden verstoßen, annulliert. In beiden Fällen sind sie vernichtet.
Die Konsummaschine produziert den Horror Vacui Nummer Eins und beruhigt ihn perfide mit trivialem Dekor, in Bildern und Scheinen. Ich weiß keinen Weg da heraus, aber mache einen Schritt zur Seite.

Der erfolgreiche postmoderne Künstler wird nicht mit Tiefe und Gehalt seiner Botschaft identifiziert, sondern mit der Medien- und Konsumwirksamkeit seiner narzisstischen Gebärden. Je leichter konsumierbar diese Gebärden sind aber je spektakulärer sie daher kommen, umso mehr Erfolgsaussichten hat der Künstler. Sein Werk wird zur Ware, sein Name zur Marke. Da die Kunstwelt aber sehr groß und eine hierarchische Pyramide ist, gibt es ebenso ein weites Heer produzierender Eklektiker. Welcher Künstler sich wo in der Pyramide einrichten kann, hängt davon ab, wie gut er Manager seiner selbst ist, wie schnell er Tendenzen aufnimmt und seine wankelmütigen Positionen wechseln kann. Um das Heer ruhig zu halten, müssen Stipendien und Preise geschaffen und für die Flut der Objekt gewordenen Gebärden müssen immer mehr Depots bereitgestellt werden. “Aber ich bin doch nur ein Künstler!" Woran es mangelt, ist die Möglichkeit, in dieser schwammigen Fülle den Künstlern, die sich nicht hinter diesem Satz verkriechen, Öffentlichkeit zu ermöglichen. Würde ich an die Existenz solcher Künstler nicht glauben, hätte ich nicht sieben Jahre versucht, eine galerie zu führen. Ich weiß um ihre Existenz im Gestern wie im Heute und Hier, ahne ihre Existenz in verborgenen Gebieten, und hoffe auf ihre Existenz im Morgen.
Aber das Problem liegt da, wo der Künstler sich einzig über diese Medien- und Konsumwirksamkeit definiert und sich mit der Szene arrangiert. Uniformiert mitmarschiert. Mit süffisantem Lächeln das Spektakel zelebriert. Dabei sein ist alles. Die heutige Kunstszene suggeriert den auf modernen Hochglanz polierten morbiden Hauch dekadenter Lebensart ebenso wie den leichten und schnellen merkantilen Erfolg. Säuselt von Glamour und Ruhm. Sie ist eine hübsch und sauber verkleidete Armee, die von bestimmten imperialen Mächten der ersten Welt formiert, finanziert, gesteuert wird und in einen Feldzug zieht, das mediale Spektakel zu propagieren und Formen, die sich dem und somit diesen Mächten widersetzen, einzunehmen und damit / oder zu vernichten.
Die Kunstszene als Spektakel produziert den Horror Vacui Nummer Zwei und beruhigt ihn durch eine lächerliche und trügerische Maskerade. Mein Schritt aus der galerie ist gleichsam ein Schritt aus dieser Szene heraus, der ich so und so immer Fremde war.

Gibt es jenseits des Spektakels noch ein kulturelles Bewusstsein und in wie weit impliziert es gesellschaftliche Verantwortung? Ist es die Tragödie der Kunst, dass sie nur mehr Komödie sein darf? Ist Kunst uns ein maßlos strapazierter und anglisierter Begriff geworden, von dem man nichts mehr zu erwarten hat? Weiß sie in die Wirklichkeit einzugreifen oder transportiert sie nur noch sich selbst? Ist sie noch wesentlicher Bestandteil unser aller Leben oder ist sie Luxusartikel? Kann Kunst noch Waffe sein oder beruhigt und nivelliert der Filter des Artifiziellen lediglich? Wenn es die “Tat als Kunstwerk" gibt, kann diese nicht nur als Kamikazetat authentisch und wirkungsvoll sein?
Ich habe Kunst als etwas Heiliges betrachtet und behandelt, deswegen sperrte ich sie in den schönen “white cube" der galerie und in die hässlichen “white cubes" der Kunstmärkte. Das ist mein Denk- und Handlungsfehler gewesen. Schottet man beides voreinander ab, wird Kunst hohl und das Leben leer. Das meiste, was uns als Kunst verkauft wird, hat mit dem Leben nichts mehr zu tun. Da, wo Kunst die Wirklichkeit berührt, schlachtet sie sie aus und wir missbrauchen die Kunst, um die Wirklichkeit nicht sehen zu müssen. Verlasse ich die heiligen Hallen der schönen Künste, schaue ich wirkliche und verheerende Tragödien. In tausend Formen und überall. Sekündlich wird Horror produziert und angewandt. Indem wir uns verschließen und (uns) weiter im Reigen mit Markt und Szene produzieren, wird die Kunst durch uns und wir werden mit ihr zum Handlanger (und zum Opfer) der Katastrophe.
Ich habe am heutigen Tag wieder erfahren müssen, wie Kultur(-Politik) zum indirekten Kriegstreiber werden kann. Der Ekel, der mich dabei befällt, ist nichts im Vergleich zu jenem, der uns auf den Strassen befallen müsste. Doch er ist schlimm genug. Hört man endlich auf, sich mit illustren Beruhigungsmitteln voll zu pumpen, spürt man diesen Ekel vehement. Er befreit von Ohnmacht nicht, kann aber läuternd wirken und einen ersten Schritt ankündigen: Zum Beispiel, dass es höchste Zeit ist, den weißen Kübel, der mittlerweile nichts weiter als eine Mischung aus “guter Stube" und “Wechselstube" ist, zu verlassen. Und ihn schlussendlich als das zu belassen, was er ist: leer.

Paula Böttcher, 27. November 2003