DIE RUSSISCHE ANTWORT AUF DEN BIENNALE-BOOM DAS KUNSTFESTIVAL "ART KLIASMA"
Die Biennalen, die als Aufputschmittel neoliberaler oder tot(alitär)er Wirtschaften aus weltweitem Boden schießen, haben sich schon längst selbst paralysiert. Aber noch immer schreit jede Kleinstadt nach ihrem "Sophisticated Disneyland" und reißen sich die "Established Curators" um die hoch dotierten Bestimmerposten. Dass man kultureller Bandbreite mit Genuss und Freude begegnen kann, ohne Glaubwürdigkeit und Originalität zu vermissen, beweist das russische Kunstfestival "Art Kliasma", welches vom 10. bis 12. September 2004 zum dritten Mal statt findet. Der Zeitpunkt ist perfekt gewählt: Anfang September kehrt das Volk erholt und kulturhungrig aus der Sommerfrische zurück. Die Dauer des Festivals wohldosiert: Drei Tage sind genug, um Intensität zu erzielen. Der Ort optimal: Die "Bucht der Freude", 20 Kilometer nördlich von Moskau. Das Naherholungsgebiet erlebte in den 60ern seine Blütezeit und erfährt nun seine Renaissance als Bühne für das "Big(gest) Project" der russischen zeitgenössischen Kunst.Man kann "Art Kliasma" eine umfassende und auch faire Enzyklopädie der künstlerischen Positionen des heutigen Russland nennen, die durch Einbeziehung von Künstlern aus anderen Ländern (in diesem Jahr aus Deutschland vertreten: Tatjana Doll, Future7, Horst Gläsker, MK Kähne, Jean Lee und Christof Zwiener) in einen internationalen Kontext gesetzt werden. Das Festival wird mehr als 200 Künstlerprojekte - auch im Bereich des Theaters und der Musik - umfassen. Das diesjährige Thema - "Neue Russische Realität" -lässt eine kollektive künstlerische Reflektion neuer Paradigmen der russischen Gesellschaft verbunden mit einer Klangleiter kritischer Stimmen erwarten.
Ruinen sowjetischer Architekturutopien, Wald, Sand und Wasser als ungewöhnliche Präsentationsräume animieren die Künstler zu einer ortspezifischen Arbeitsweise. Kein Künstler wird eingeladen, jeder kann sich bewerben. Die Initiatoren (V. Dubosarsky und A. Vinogradov) sowie Gastkuratoren nehmen keine Protegierung oder Ausmusterung sondern eine dem Ort und Konzept entsprechende Platzierung der Künstler vor.
Die Beschreibung tönt nach einer "Russischen Woche der absoluten Bastelfreiheit". Doch bei aller und überall zu beobachtenden inhaltlichen wie ästhetischen Agonie zeitgenössischer Kunst und deren Wiederbelebungsversuchen in den sterilen Gärten und Palästen des Kunstimperiums kommt dieses Festival mit ungewohnter Konsistenz und dringend nötiger Vitalität daher. Die Erfahrungen aus den letzten zwei Jahren zeigen, dass sich Arbeiten und Künstler, so verschieden sie auch sein mögen, im Zwiegespräch miteinander, mit der Landschaft sowie in ihrem Zusammenspiel kräftigen. "Art Kliasma" ist ein Festessen für jene Rezipienten, die Vor- und Wiedergekautes verweigern. Eine beispielhafte Alternative zum Potpourri der Biennalen.
Für den Januar nächsten Jahres ist die erste offizielle Moskau-Biennale angekündigt, von Staatsgeldern großzügig finanziert und von einigen Verdächtigen der westeuropäischen Kunstszene kuratiert. Und schon erreichen uns Gerüchte über erste Mobbing-Opfer aus Moskaus Reihen. Bleibt zu hoffen, dass sich jenes Festival der andern Art gegen den Mainstream, der nun auch in Russlands Metropole Einzug halten soll, zu behaupten weiß und dass der korrupte Klüngel nicht bis zur "Bucht der Freude" wird vordringen können.
Art Kliasma: International Festival of the contemporary Art, 10.-12. September 2004, Klyazminskoye Vodokhranilishche (Bukhta Radosti), Moskau.
Paula Böttcher, August 2004