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PAULA BÖTTCHER
 

EINE HAND WÄSCHT DIE ANDERE ZWEI MOSKAUER AUSSTELLUNGEN UND DEREN FOLGEN(LOSIGKEIT)

Januar 2003, Moskau, Sacharow-Museum. »Dies ist mein Blut!« stand auf einem Coca-Cola-Plakat, das mit dem Konterfei des Herrn persönlich versehen war. Kein böser Werbe-Gag sondern ein Kunstwerk von Alexander Kosolapow. Exponat der Ausstellung »Vorsicht, Religion!«, welche die Gemüter bewegte und nur von kurzer aber dafür folgenschwerer Dauer war. Arutjun Zulumjan, der Kurator der Ausstellung, die sich kritisch-ironisch mit der Orthodoxie auseinandersetzen sollte, hatte noch mehr zu bieten: drei Kreuzigungen in Öl auf Leinwand zum Beispiel, eine davon natürlich ans »heilige« Kreuz, eine an den roten Stern und eine weitere ans Hakenkreuz. Oder den Wandteppich von Ira Waldron, der das Christus-Lamm als Klonschaf Dolly darstellte. Dass solche Provokationen den braven Bürger und Ausstellungsbesucher schockierten, war für die russisch-orthodoxe Kirche natürlich ein gefundenes Fressen.
So zählte man eins, zwei, drei, vier, fünf, SECHS Messdiener ab und schickte sie mit ihrer Mission am vierten Tag nach Ausstellungseröffnung ins Museum. Diese bewarfen die Exponate mit Farbbeuteln und sprühten Parolen wie »Ihr, Hasser der Russischen Orthodoxie, seid verdammt!« an die Wände der Ausstellungshalle. Den Ausstellungsmachern und Künstlern wurde ein Pakt mit dem Teufel vorgeworfen, Hohn auf den Glauben. Binnen kurzer Zeit glich die Ausstellung einem Schlachtfeld. Sie fiel den geistlichen Bilderstürmern zum Opfer. Museumsdirektor Samodurow erhob Anklage, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Vandalismus in die eine Richtung. Das Patriarchat erhob Anklage wegen »Gotteslästerung« und »Schändung christlicher Symbole«, so ermittelte die Staatsanwaltschaft auch in die andere Richtung.
Warum das alles? Wahrscheinlich würden die Ausstellungsmacher die Gründe gar nicht so weit stecken, doch der Schulterschluss von Staat und Kirche im postsowjetischen Russland wie seine Folgen sind ein nahe liegendes und ebenso heikles Thema. Eben genau das Naheliegende macht eine solche Ausstellung unmöglich. Besonders auf dem Territorium des Moskauer Patriarchats. Also in einem Land, in welchem seit Bröckeln der Sowjetunion sehr schnell die roten Sterne gegen die goldnen Kreuze eingetauscht wurden und die Kirche in dem massiven Zulauf der Bevölkerung eine segensreiche Möglichkeit erkannte, ihre Macht auszubauen. In einem Land, in dem der Staat mit dieser Macht der orthodoxen Kirche spekuliert, weil man ein gemeinsames Ziel hat: Die Samen des Neo-Nationalismus weiter zu streuen und im Volk wieder die Sehnsucht nach einer russischen Nation und Großmacht wachzurufen. Dem Volk klar zu machen, dass es seine Heiligen und dazu die Monarchie braucht, damit alles unter Kontrolle bleibt und besser wird. Daran glaubt der Moskauer und der Russe vielleicht mehr als an Gott selbst. Weil der Moskauer in einer Stadt lebt, die nicht mehr kontrollierbar scheint, so schick und wohlhabend er und sie auch geworden sein mag. Weil im Hinterland, da wo sich Moskaus Prunk und Pomp in ein weites Feld von Armut und Enttäuschung verwandeln, die billigen Plastik-Ikonen neben dem Wodkaflaschengeist die einzigen Lebenselixiere zu sein scheinen und der Jugend dort nurmehr noch die Wahl bleibt zwischen Weiter-Leben im Kloster oder Tod beim/nach dem Militär.
Weil dieses Land einen solch »glaubwürdigen« Präsidenten hat, der einst als Geheimdienst-Chef dem kommunistischen Regime diente und heute als braver Christ sein Volk führt. Der jedoch auch seine ehemaligen Kollegen nicht vergass und sie mit einer neuen eigens für FSB-Mitarbeiter errichteten Kapelle an der Lubjanka bedachte. Und die orthodoxen Priester dürfen und sollen den Glauben im bedürftigen Volk propagieren und bekommen dafür »Wirtschaftsspenden« zum Bau neuer Gotteshäuser. Als Gegenleistung segnen sie Soldaten, Panzer, Waffen und einen Krieg. Segnen einen Völkermord als »Feldzug gegen Unmenschen«. Sprechen einen jungen Soldaten heilig, der im Tschetschenienkrieg sein Leben liess und nun als Ikone fortleben darf. Einer, der nun gerade nicht ins Kloster wollte...
August 2003. Die Ermittlungen wurden eingestellt, Museumsdirektor Samodurow musste die Anklage fallen lassen.
Ungefähr zur selben Zeit wurde Dorota Nieznalska, eine Künstlerin aus Gdansk, von einem Gericht dafür verurteilt, dass sie mit einem ihrer Kunstwerke angeblich die "religiösen Gefühle" einiger Leute verletzt habe. Dies war das erste Gerichtsverfahren dieser Art im "freien" Polen.
Dezember 2003. Die Nationalisten haben sich bei den Wahlen zur Staats-Duma ihre uneingeschränkte Regierungsmacht gesichert. So wundert es nicht, dass gleich zwei Wochen später die Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen Samodurow, seine Mitarbeiter sowie die Künstler erhob und die Ermittlungen wieder aufnahm. Herangezogen wurde Paragraph 282: »Erregung von Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung der Würde einer Gruppe hinsichtlich ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit.« Nach einem von staatstreuen Kompentenzen verfassten Gutachten wird den Ausstellungsmachern »Förderung erniedrigender und beleidigender Beziehungen zur christlichen Religion im allgemeinen und zur orthodoxen Kirche im besonderen in demonstrativer Form« vorgeworfen.
Januar 2004. Das Verfahren gegen die Ausstellungsmacher wurde zu Jahresbeginn eröffnet. Ihnen droht bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe und Schliessung des Museums.
Es sind nicht die ersten russischen Künstler, die aufgrund von Hinterfragung und Kritik des christlichen Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Erinnern wir uns an Awdej Ter-Oganjan, welcher, seit er auf der Kunstmesse Art Manege 1998 die Zerstörung von Ikonen als künstlerische Dienstleistung anbot, im Prager Exil leben muß. Oder an Oleg Mawromati, der sich nach seiner »Kreuzigung« mit den Worten »Ich bin nicht Gottes Sohn« bei der Moskauer Nikolaus-Kirche zu Ostern 2000, nach Sofia flüchtete. Es werden nicht die letzten sein, die das Land verlassen mussten.
Oder denken wir daran, als im Dezember 2000 ein Parlamentsabgeordneter der rechten Polnischen Allianz erwirkte, dass die Papst-Skulptur von Maurizio Cattelan aus der Schau in der Warschauer Galerie Zacheta entfernt und die Direktorin Anda Rottenberg entlassen wurde. Sein Brief an den Premierminister und Kulturminister enthielt antisemitische Anwürfe gegen Rottenberg. Sie wird nicht die Letzte sein, die ihren Job verlor.
Nach Jahrzehnten kommunistischer Zensur erfährt die Kunst in den ehemaligen Ostblockländern nun massive Angriffe aus der rechtsgerichteten Politikecke. Mir fällt nur ein Wort dazu ein: Klerikofaschismus. Das darf ich nur aussprechen, weil ich in Berlin sitze.


Gesellschaftskunde auf Russisch

Man erinnere sich wieder an den Paragraphen 282 (»Erregung von Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung der Würde einer Gruppe hinsichtlich ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit.«) und daran, dass Russland im Süden seines Imperiums noch immer wegen Nationalität und Religionszugehörigkeit nicht nur die Würde einer Gruppe erniedrigt, sondern ein Volk vernichtet.
Man fragt sich immer wieder, wie das »Es-Nicht-Wissen«, das »Es-Nicht-Wissen-Wollen« oder das »Dazu-Schweigen« eines solch großen und intellektuell reichen Volkes möglich ist. Wie es sein kann, dass neben schnellster Aneignung kapitalistischer Werte und Gesetze eine auch nur ansatzweise Aneignung demokratischer Werte unmöglich scheint.
Keiner kann es in Russland derzeit wagen, die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit staatlicher und kirchlicher Werte anzuzweifeln - wer es wagt, wird zum Schweigen gebracht. Artikel 29 der Konstitution der Russischen Föderation, welcher die Freiheit des Gedanken und des Wortes gewährleisten sowie die Zensur verbieten soll, ist eine Farce. Das in Russland öffentlich zu machen und somit die Konstitution der Russischen Föderation direkt in Frage zu stellen, kommt Lebensmüdigkeit gleich.
Statt dessen ist den Kuratoren Peter Boys, Sergei Denisov und Ivan Kolesnikov die glorreiche Idee gekommen, das russische Gesetzesbuch mit zeitgenössischen Illustrationen zu versehen. Im Illustrieren haben die russischen Künstler Übung, war doch einst die Kinderbuchillustration den Dissidenten des Sowjetregimes der einzig mögliche wie unverfängliche Broterwerb.
Unverfänglich ist das richtige Wort. Darum scheint es auch im Projekt »Art-Konstituzija« zu gehen. 137 Werke zeitgenössischer Kunst wurden auserwählt, jeweils einen der 137 Artikel der russischen Verfassung zu illustrieren. Der heilige Gral des Projektes ist natürlich das dicke Buch: Die »Erste Illustrierte Ausgabe der Konstitution der Russischen Föderation«, geplant und realisiert zum 10. Jubiläum ebendieser, 400 Seiten, Übersetzung in vier Sprachen, farbenprächtig und qualitativ hochwertig. Und teuer: 3600 Rubel (100 Euro) kostet das gute Stück.
Diese 137 Werke wurden nun in einer Ausstellung bis Mitte Januar im Moskauer Museum für zeitgenössische Kunst präsentiert. Wenn der Bürger das Ausstellungshaus betrat, musste er durch einen Security-Check, ganz so als könnte er Staatsfeind Nummer Eins sein. Konnte der Bürger sich die »illustre« Ausgabe nicht leisten oder war ihm das Kilowerk zu schwer, bekam er beim Kauf der Eintrittskarte ein Heftchen in die Hand gedrückt, die im Buchhandel erhältliche Ausgabe der Konstitution für 14 Rubel (40 Cent). Der Bürger lief nun in die zweite und dritte Etage, dann etwas ratlos durch die beiden Hallen mit den vielen Kunstwerken und versucht beflissen, den Sinnzusammenhang zwischen den Gesetzesversen und den ihnen zugewiesenen Bildbeigaben herzustellen. Manchmal lächelte er gehorsam. Meistens jedoch schüttelte er unmerklich aber verständnislos den Kopf.
Der in der russischen zeitgenössischen Kunst bewanderte Bürger traf auf viele alte Bekannte wie z. B. Oleg Kulik und seine zu melkende Dogge (Big melking, 1999), die Artikel 132 (»...die Organe der örtlichen Selbstverwaltung verwalten selbständig das Gemeindeeigentum...«) bebildern durften. Oder Dmitry Gutovs Flagge von 1999, auf welcher ein Pudel an den Baumstamm pisst - erzählte auf einmal von Vollmachten örtlicher Macht.
Man hätte auf einen subversiven Gehalt der Ausstellung gehofft, zumal im Konzept der Kuratoren zu lesen war: »Das Ziel der Kunst war immer die Suche nach Wahrheit.« Aber das kann man nur dann erwarten, wenn die Suche nach Wahrheit unverfänglich wäre - und das ist sie nie.
Eine Arbeit ist noch erwähnenswert, weil die einzig verfängliche: Oleg Smirnows Fotografie vom Dezember 1996 mit dem Titel: »Rückzug aus Tschetschenien«. Das Bild zeigte einen Panzer auf einer Landstraße, auf dem Panzer sassen junge Soldaten und auf dem Metall des Panzers stand in großen russischen unbeholfenen Buchstaben geschrieben: »Es kann sein, dass sie unrecht hat, aber es ist unsere Heimat!« Diese Fotografie stand für Artikel 60 der Verfassung: »Der Bürger der Russischen Föderation kann ab dem 18. Lebensjahr selbständig seine Rechte und Pflichten in vollem Umfang wahrnehmen.« Die Fotografie hing klein und schwarz-weiss in einer Nische. Sie ging unter im bunten Pulk heiterer Hofkunst.
Natürlich handelte es sich bei einigen Arbeiten wie jenen von Kulik, Gutov, Smirnow oder auch anderen (zum Beispiel Maxim Iliukhins Graffitti »Ruhm der Arbeit!« von 2002, Anatoly Osmolovskys Transparentaktion »Gegen alle!« auf dem Leninmausoleum von 1999, Tatyana Nazarenkos auf Sperrholz gemalte postmoderne Bettler von 1995 oder der große zerfetzte Teppich, eine Arbeit von Svetlana Malysheva, Boris Prudnikov und Yuri Fesenko von 1998 mit dem Titel »Heimat«) durchaus um wirksame und gesellschaftskritische Positionen.
Jedoch wurden diese Werke an den Haaren herbeigezogen und mussten dafür herhalten, nicht nur sinnentstellt sondern sinnentleert den Staatsapparat wie dessen heilige Schrift zu hofieren. Und die Künstler gaben ihr Einverständnis dazu. Denn es gilt da wie überall: Dabeisein ist alles.


Paula Böttcher, Februar 2003


Abbildung: Illustration des Artikel 26 über "Recht und Freiheit des Menschen und Bürgers";
© Wladislaw Mamyschew-Monroe, S-ART Gallery, Moskau